Wagenknecht-Rückzug: Die Linke und das ominöse Neue

Sahra Wagenknecht will nicht mehr für Die Linke kandidieren. Es wäre auch nicht klar, welcher Landesverband sie aufstellen würde. Foto: Die Linke / CC-BY-2.0.

Wer würde mit der sozialkonservativen Initiatorin des "Aufstands für Frieden" ein neues Projekt starten? Gibt es überhaupt eines – und was bleibt dann von der "alten" Linkspartei?

Eine echte Überraschung war es nicht, als die wohl bekannteste Politikerin der Partei Die Linke, Sahra Wagenknecht, am Freitag bekanntgab, nicht mehr auf deren Listen zu kandidieren. Zumindest in NRW, wo sie zuletzt Spitzenkandidatin der Bundestagswahlliste war, wäre sie wohl auch nicht mehr aufgestellt worden. Schließlich wurde ihr dort vor einigen Monaten sogar verweigert, auf dem Landesparteitag eine Rede zu halten.

Es stimmt schon, dass die Unterschiede zwischen den Gremien der Linken und ihr mittlerweile so groß sind, dass "die Vorstellung, wie das noch einmal zusammenfinden soll", ihre Fantasie überfordern kann, wie es Wagenknecht nun gegenüber dem Tagesspiegel ausdrückte.

Dort griff sie vor allem die Spitze der Linkspartei noch einmal scharf an, weil diese die maßgeblich von Wagenknecht initiierte Friedenskundgebung am Brandenburger Tor nicht unterstützt und teilweise sogar wegen einer mangelhaften Abgrenzung nach rechts kritisiert hatte.

Seit dem letzten Parteitag ist der Flügel um Wagenknecht praktisch nicht mehr im Vorstand vertreten. Nachdem führende Vertreter dieser sozialkonservativen Linie durchgefallen waren, hatten andere ihre Kandidatur zurückgezogen. So wurde faktisch der Riss zwischen Parteivorstand und Bundestagsfraktion vertieft.

Denn in der Fraktion hat Wagenknecht weiterhin viele Anhänger. So hat die Ko-Vorsitzende der Linksfraktion, Amira Mohamed Ali, nicht nur das "Manifest für Frieden" unterschrieben. Sie zeigte sich auch zufrieden über die Kundgebung am 25. Februar und die hohe Teilnehmerzahl, die vermutlich bei rund 30.000 lag – dies berichtete etwa die taz, während die Veranstalterinnen von 50.000 und die Polizei von nur 13.000 Teilnehmern ausgingen.

Es ist lange her, dass Die Linke Kundgebungen in dieser Größenordnung mit organisieren konnte. Aber es war wohl schon der Name von Wagenknecht, der für einige in der Partei zur Ablehnung führte. Sie ist für manche dort das sprichwörtliche "rote Tuch", schon bevor sie den Mund aufmacht.

"Oder es gibt was Neues"

Doch wird der Verzicht auf eine erneute Kandidatur zur Beruhigung in der Linken führen? Wohl eher nicht. Schließlich ist es ein Verzicht auf Raten. Aus der Partei ausgetreten ist Wagenknecht noch nicht. Und dass sie sich auf ihre publizistische Arbeit und den Auftritt in Talkshows beschränken wird, ist auch nicht anzunehmen.

Das hatte sie in der letzten Zeit schließlich auch schon getan. Auch bei der Bundestagsdebatte, die sich in der letzten Woche mit der umstrittenen Friedenskundgebung befasste, war sie nicht anwesend. In ihrer Erklärung hat sie sich auch eine Option offengelassen, in dem sie sagte, sie wolle sich nach Ablauf der Legislaturperiode aus der Politik zurückziehen "oder es gibt was Neues".

In diesem Halbsatz ist eine Kampfansage an die Partei enthalten, in der sie noch Mitglied ist – und an deren Basis sie unverändert beliebt ist, was auch aus zahlreichen Leserbriefen in der parteinahen Zeitung Neues Deutschland hervorgeht. Umfragen prophezeien einer bisher fiktiven Partei mit Wagenknecht an der Spitze bis zu 19 Prozent der Wählerstimmen.

Schon seit Monaten wird immer wieder ein bundesweites Treffen der Linken, die Wagenknechts Linie unterstützen, angekündigt, ohne dass es bisher einen Termin gab. Nach der aus deren Sicht erfolgreichen Friedenskundgebung könnte die Zeit gekommen sein.

Dann wird sich auch zeigen, ob sich diese auch in sich heterogene Gruppe auf "etwas Neues" einigen kann - und wie es gegebenenfalls aussehen soll. Eine Art Neuauflage der Friedensliste, wie es sie nicht besonders erfolgreich in den 1980er-Jahren gab? Letzteres wird vor allem in Kreisen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) favorisiert.

Wagenknecht dürfte auf Größeres aus sein. Sie dürfte aber auch wissen, dass es schwerer ist, eine neue Wahlformation aufzubauen, als eine Kundgebung zu organisieren. Manche sagen schon, sie könnte doch das Team Todenhöfer ergänzen, dass dann als Team Todenhöfer-Wagenknecht vielleicht sogar Achtungserfolge erzielen könnte. In der Friedensfrage sind sie sich zumindest ziemlich einig.

Wer aus der Linkspartei würde das "Neue" wagen?

Die Frage ist auch, wie viele aktive Mitglieder der Linken mit Wagenknecht das Neue wagen, das auch ein neues Scheitern sein könnte. Dieter Dehm wäre sicher bereit – aber den als Egoshooter verrufenen Schlagermillionär und Ex-Bundestagsabgeordneten hält auch Wagenknecht auf Distanz.

So widersprach sie vor wenigen Tagen der Spiegel-Behauptung, Dehm, der dem ultrarechten Compact-Magazin ein Interview gegeben hatte, sei ihr "Verbündeter": "Ich habe mit diesen Machenschaften nichts zu tun. Wer Compact Interviews gibt, hat nicht mehr alle Tassen im Schrank", erklärte Wagenknecht in einem Tweet

Eine Rolle spielen könnten eher Politikerinnen wie Sevim Dagdelen, die immer auf Wagenknechts Seite standen. Doch reicht das, um eine wahrnehmbare Kraft zu werden? Bisher zurückgehalten haben sich Politiker wie Sören Pellmann, der in Leipzig mit einem von drei Direktmandaten dazu beitrug, dass Die Linke bei der letzten Wahl überhaupt wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen konnte, obwohl sie knapp unter fünf Prozent geblieben war.

Sonderparteitag eine Option?

Dabei ist noch gar nicht ausgemacht, ob das ominöse Neue eine Abspaltung von der Linkspartei bedeutet. Michael Brie, der im Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung sitzt, forderte erst vor wenigen Tagen einen Sonderparteitag zum Ukraine-Konflikt und kritisierte den aktuellen Vorstand wegen seines Umgangs mit der Friedenskundgebung vom 25. Februar scharf:

Statt dazu beizutragen, dass die breite gesellschaftliche und politische Linke diese Demonstration dominiert – mit vielen roten Fahnen und mit Ordnungskräften, die entsprechend den Vorgaben durch die Initiatorinnen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht das Zeigen rechtsextremer Symbole unterbinden –, wird Abstinenz ausgerufen und Zerstreuung in viele kleine, weitgehend wirkungslose Aktionen empfohlen.


Michael Brie, Neues Deutschland

Es ist durchaus denkbar, dass die Ankündigung von Wagenknecht ihre Anhänger in der Partei mobilisiert. Sie würden dann versuchen, ihre Niederlage vom letzten Parteitag zu revidieren. Das wäre allerdings mit dem Austritt des Flügels verbunden, der Waffenlieferungen an die Ukraine nicht abgeneigt ist.

IN den letzten Wochen sind in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Linken-Politiker der zweiten und dritten Reihe aus der Partei ausgetreten, weil der Parteivorstand aus ihrer Sicht nicht proukrainisch genug agiert. Allerdings waren deren Positionen kaum von denen der Grünen zu unterscheiden

Kampf zwischen zwei sozialdemokratischen Linien

So dürfte sich der Streit in der Linkspartei zunächst verschärfen und sie weiter schwächen. Das sind schwierige Zeiten für den Teil der Parteilinken, die die aktuelle Mehrheitslinie genauso kritisieren wie den Kurs von Wagenknecht und Co. Zu ihnen gehört einer der Bundessprecher der Strömung Antikapitalistische Linke, Thies Gleiss.

Er verteidigte vergangene Woche in einem Interview mit der jungen Welt die Friedenskundgebung gegen den Querfront-Vorwurf, sparte aber auch nicht mit Kritik:

Ansonsten ist die Initiative politisch schwach und ambivalent. Sie wurde von oben und ohne wirkliche Verankerung in der Gesellschaft losgetreten. Eine neue nachhaltige Antikriegsbewegung entsteht nicht auf diese Art.

Bewegung heißt für mich: Mitgliederstrukturen in allen Orten und Ebenen; Streiks und Blockaden gegen konkrete Waffenlieferungen; Kampf um die Mehrheit in den Gewerkschaften für einen konsequenten Antikriegskurs.

In Berlin war nur eine »Friedensbewegung« zu sehen, die schnell wieder heimgeholt und tot geschrieben werden kann, wenn sie nicht zu einer echten "Antikriegsbewegung" wird


Thies Gleiss, Antikapitalistische Linke

Er bringt den Gegenstand der Auseinandersetzung auf den Punkt:

In der Partei Die Linke tobt ein Kampf zweier sozialdemokratischer Linien, die sich zum Beispiel an der Alternative "Mit SPD, Grünen und Nato den Krieg gestalten", wie von Ramelow, Lederer und Co. proklamiert, oder "Die deutsche Souveränität als Ausgangspunkt der Politik nehmen", wie es der Flügel Wagenknecht-Lafontaine empfiehlt. Beide Ansätze sind falsch und nicht links.


Thies Gleiss, Antikapitalistische Linke

Fest steht: In der Auseinandersetzung zweier reformistischer Fraktionen haben es unabhängige Linke, die sich auch im Ukraine-Konflikt auf die Seite von Arbeitern und Deserteuren beider Seiten stellen und allen Nationalismen eine Absage erteilen, schwer.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.