Wahl zwischen staatlicher Bürgschaft und Systemkollaps

Gas-Lieferungen aus Russland werden knapp, die Kosten für die deutsche Energieversorgung steigen. Es ist damit zu rechnen, dass viele Kunden ihre Jahresrechnung nicht bezahlen können. Was dann?

Deutschland hat sich, ohne auch nur den Ansatz einer Exit-Strategie für den Erdgas-Bezug aus Russland zu haben, in eine zunehmende Versorgungskrise manövriert, aus der man ohne massiven Gesichtsverlust und Schwächung der eigenen Position nicht mehr herauskommen dürfte.

Angedachte Gas-Ersatzlieferanten, die die Lieferungen aus Russland ersetzen könnten, sind weder so schnell wie erhofft zu finden noch sind die technischen Voraussetzungen für die Ersatzlieferungen zur Anlandung von LNG gegeben.

Zudem muss sich Deutschland entscheiden zwischen langfristigen Lieferverträgen und dem Einkauf auf dem Spotmarkt, wo Gas kurzfristig gehandelt wird und andere Kunden mehr Geld bieten. Keines der Unternehmen, die in Deutschland mit Gas handeln, kann diesem Risiko standhalten, wenn der Steuerzahler nicht unbegrenzt bürgt.

Das ist jedoch ein zweischneidiges Schwert. Wenn der Staat und damit der Steuerzahler die Forderungen der Spekulanten absichern, kann es noch richtig teuer werden, denn die Anbieter und damit auch die Spekulanten sitzen auf absehbare Zeit am längeren Hebel.

Zögert die Politik jedoch zu lange, entsprechende Zusagen zur Absicherung der Energiehändler zu machen, besteht die Gefahr, dass die Händler und in der Folge auch die Infrastrukturbetreiber in die Insolvenz rutschen, so wie dies mit der Betreibergesellschaft von Nord Stream 2 kürzlich geschehen ist. Alle Mitarbeiter wurden entlassen und somit fehlt das Personal, das die Anlagen der Pipeline bedienen könnte.

Da Nord Stream 2 auch bislang für den deutschen Teil keine zertifizierte Betriebsgesellschaft hat, werden alle Wünsche, die Pipeline in Betrieb zu nehmen, wohl kaum realisierbar sein.

Unternehmen sollen Notstromaggregate anschaffen

Von der Situation spürbar irritiert erscheint die politische Lageeinschätzung von Politikern, wenn sie nun Unternehmen auffordern, zur Absicherung vor einer Gasknappheit Notstromaggregate anzuschaffen. So meldete der Spiegel im Zusammenhang mit der Verknappung der Gaslieferungen:

Derweil empfiehlt die Bundesregierung Unternehmen die Anschaffung von Notstromaggregaten als Vorbeugemaßnahme gegen eine Zuspitzung der Gasknappheit. Mit den Generatoren sollten mögliche Stromausfälle aufgefangen werden, berichtet die "Bild" unter Verweis auf eine Antwort von Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen (Grüne) an den CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Pilsinger.

"Empfehlenswert ist die Ausstattung mit Notstromaggregaten insbesondere für Betreiber von kritischer Infrastruktur", zitiert das Blatt aus einem Schreiben von Graichen. Grund sei, dass es im Krisenfall keine Abschaltreihenfolge gebe.

Spiegel

Der für die Notstromgeneratoren benötigte Diesel wird in absehbarer Zeit auch knapp und teuer werden, wenn beispielsweise kein Diesel mehr aus Indien geliefert wird, wo man derzeit verstärkt russisches Mineralöl raffiniert und auf dem Weltmarkt verkauft. Die Mineralölbeschaffung für mehrere deutsche Raffinerien liegt zudem zu beträchtlichen Teilen in der Hand von Rosneft.

Politik in Berlin uneinig, wie der Schaden begrenzt werden soll

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnte, allein die Ersatzbeschaffung auf dem Gasmarkt könne schon zu Liquiditätsproblemen auch bei großen Konzernen führen, wenn die Unternehmen die Preise nicht zeitnah an ihre Kunden weitergeben können.

Grimm hält es für notwendig, dass die höheren Preise an die Kunden weitergegeben werden, denn es sei wichtig, dass die Verbraucher ihre Nachfrage schon jetzt reduzieren, sodass möglichst viel Gas eingespeichert werden kann.

Mit Blick auf den in Not geratenen größten deutschen Gasimporteur Uniper, der in finnischer Hand ist, wird Scholz wie folgt zitiert: "Wir prüfen jetzt mit dem Unternehmen zusammen, was man tun kann." Die Aussage, dass mit Uniper der größte Gashändler in Deutschland infolge des Ukrainekriegs in eine existenzielle Schieflage geraten sei, ist eine doch sehr unvollständige Beschreibung der aktuellen Situation.

So wurde ein Teil der Reduktion der Lieferungen aus Russland durch die Weigerung der Ukraine verursacht, russisches Gas durchzuleiten, ein weiterer Teil geht auf die Weigerung Kanadas zurück, eine dort zur Wartung befindliche Turbine wieder freizugeben.

Das Risiko, das von der Schieflage von Uniper ausgeht, ist die Tatsache, dass sie die gesamte Gashandelsinfrastruktur gefährden kann. Hunderte Stadtwerke, regionale Energieversorger und Unternehmen sind auf die Lieferungen von Uniper angewiesen. Der jetzt provozierte Ausfall der russischen Gaslieferungen könnte zu einer Explosion der Gaspreise führen, die sowohl die Kunden als auch ihre Versorger in existenzielle Nöte bringen dürfte.

Wenn Blockheizkraftwerke, die sowohl Wärme als auch Strom liefern, jetzt für den Gasverbrauch zusätzlich zu den stark gestiegenen Preisen auch noch eine Strafabgabe bezahlen sollen, weil sie nicht auf Steinkohle umstellen können, gehen die Preise für die zwangsweise angeschlossenen Fernwärmekunden durch die Decke.

Wer sich jetzt als privater Endkunde freut, dass er einen Versorgungsvertrag mit 12- oder 24-monatiger Preisgarantie hat, sollte dennoch die weitere Entwicklung sorgfältig beobachten, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Preisgarantien nur noch kurzfristig eingehalten werden, weil die Beschaffungskosten gewaltig steigen.

Es sind derzeit Preissteigerungen auf das Sechsfache im Gespräch. Dass dadurch viele Kunden überfordert werden, ist allen Beteiligten klar. Rettung scheint hier nur der Steuerzahler bieten können.