Wann beginnt eine terroristische Straftat
In Griechenland zog ein Geschworenengericht noch eine Grenze zwischen gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei und dem Terrorismus
Die Geschichte begann im Mai vergangenen Jahres, als es Anarchisten bei verschiedenen gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei gelang, mehrere Polizeischilde, Helme und Gasmasken zu erbeuten. Der Fall erregte vor allem deswegen Aufsehen, weil die Polizei den Raub der Ausrüstung zunächst dementiert hatte. Die Bilder von Polizeischilden vor anarchistischen Fahnen, die die Täter daraufhin im Internet veröffentlichten, machten die Runde durch sämtliche griechischen Medien und die griechische Polizei lächerlich.
Es war jedoch nicht die bloßgestellte Polizei, sondern die Justiz in Gestalt der Staatsanwaltschaft, die auf die harte Bestrafung der Täter drängte. Als man drei mutmaßliche Straßenkämpfer festnehmen konnte, forderte sie ein Verfahren nach dem griechischen Antiterrorgesetz. Ganz wie bei seinem deutschen Vorbild fehlt in diesem eine eindeutige Definition von „Terrorismus“. Stattdessen wird eine Reihe von Straftaten, darunter die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ mit dem Ziel, vitale Interessen des Staates zu schädigen, als tatbestandserfüllend aufgezählt.
An den drei Anarchisten sollte ausprobiert werden, inwieweit sich die Keule des Terrorismusvorwurfes allgemein auf gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht anwenden lässt. Eine Vorgehensweise, die bei europaweit immer einheitlicheren Regelungen auch für Deutschland von Bedeutung ist. Stehen hier doch im Sommer die wohl nicht immer gewaltfreien Proteste gegen den G8-Gipfel an.
Im hinsichtlich der Kriminalisierung von Widerstand zu den eher sensiblen Ländern Europas zählenden Griechenland erlitten die Verfechter einer harten Linie allerdings bereits im Vorfeld des Verfahrens eine Niederlage. Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei stellten noch keine terroristische Straftat dar entschied das zuständige Untersuchungsgericht und verwies den Fall nicht an ein für Terrorverfahren zuständiges, ausschließlich mit Berufsrichtern besetztes Gericht, sondern an ein in Griechenland übliches Geschworenengericht.
Eine Geschichte, zwei Versionen
Aber auch ohne den Terrorismusvorwurf nutzen zu können, versuchte die Staatsanwaltschaft in dem am letzten Freitag zu Ende gegangenen Prozess ein bedrohliches Szenario glaubhaft zu machen, das den Angeklagten lange Jahre hinter Gittern hätte einbringen können. Danach seien sie mit dem Ziel ausgezogen, das Ansehen der Polizei zu schädigen. Als Mitglieder eine Bande hätten sie dazu im Mai 2005 in Athen Sondereinheiten der Polizei angegriffen, ihnen Schilde und Helme entwendet und die Bilder der vermummten Täter mit ihrer Beute ins Internet gestellt. Verschiedene Pistolen und Jagdgewehre wären besorgt worden, um bei zukünftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei zum Einsatz zu kommen.
Die Aussagen von Angeklagten und Verteidigung dagegen ergaben ein völlig anderes Bild. Giorgos Kalaitzidis erklärte, an den Straßenschlachten nicht beteiligt gewesen, sondern wenige Wochen danach von einem Genossen gebeten worden zu sein, die entwendeten Schilde und Helme zu „entsorgen“. Der Hauptangeklagte war zusammen mit Petros Karasarinis im Juli 2005 bei dem Versuch, die in Stücke geschnittene Polizeiausrüstung in verschiedenen Müllcontainern zu deponieren, von der Polizei festgenommen worden. Zwei der vier bei ihm zu Hause gefundenen Waffen habe er für einen Freund aufbewahrt, die dritte sei unbrauchbar und ein reines Ausstellungsstück. Der Aufforderung der Staatsanwältin, den Überbringer der Schilde und den Besitzer der Waffen zu verraten, kam Kalaitzidis trotz drohender drakonischer Strafen nicht nach. Im Gegenteil, der bekannte griechische Aktivist entlastete auch seine Mitangeklagten. So habe Petros Karasarinis nicht gewusst, was in den Müllsäcken gewesen sei, die er in seinem Auto transportierte. Der wenige Tage später verhaftete Panajiotis Aspiotis dagegen habe keine Kenntnis davon gehabt, dass in dem von ihm gemeinsam mit Kalaitzides gemieteten Bankschließfach Patronen aufbewahrt worden waren.
Die als Zeugen der Anklage geladenen Polizeibeamten konnten keinen der Angeklagten als Täter bei den Auseinandersetzungen identifizieren. Folgerichtig verurteilte das Gericht Kalaitzidis lediglich wegen „Waffenbesitzes“ zu 21 Monaten Gefängnis, von denen der bis zum Prozess in Untersuchungshaft gehaltene Angeklagte bereits 18 Monate verbüßt hat.
„Ich bin wohl der Einzige in Griechenland, der jemals wegen ein paar Patronen ein ganzes Jahr in Untersuchungshaft gesessen hat“, erläuterte Aspiotis dem Gericht die extrem harte Behandlung der Angeklagten im Vorfeld des Prozesses. Sowohl ihn als auch Petros Karasarinis hatte man erst im vergangenen Juni unter strengen Auflagen bis zur Verhandlung auf freien Fuß gesetzt. Weil man Karasarinis eine Behandlung verweigerte, hat der von allen Vorwürfen Freigesprochene im Gefängnis einen Großteil seiner Zähne verloren. Und die Untersuchungshaft von Aspiotis überschreitet die gegen ihn für die Patronen wegen „Waffenbesitz“ verhängten 8 Monate bei weitem.
Pilotprojekt
Der zwei Wochen dauernde Prozess hatte unter extremen „Sicherheitsvorkehrungen“ und der faktischen Aussperrung der Öffentlichkeit stattgefunden. Beamte der Sondereinheiten schirmten das Gebäude ab, ihren Gesichtskontrollen fielen auch eine Reihe Zeugen und sogar einer der Angeklagten zum Opfer, denen der Zutritt zum Saal zunächst verwehrt wurde. Aus dem Saal hatte man Sitze entfernen lassen und die Mehrzahl der verbleibenden Plätze mit uniformierten und zivilen Polizisten besetzt.
„Die völlig überzogene Polizeipräsenz dient auch dazu, die Geschworenen zu manipulieren und ihnen ein Bild gefährlicher Terroristen zu präsentieren“, erläuterte Verteidiger Dimitris Katsaris vor Gericht und forderte die Laienrichter auf, mit ihrem Urteil ein Signal gegen die Terrorhysterie zu setzen. Augenscheinlich ist die Geschworenenmehrheit dieser Aufforderung gefolgt. Alle vier Geschworenen im siebenköpfigen Gericht hatten sich im Gegensatz zum Minderheitenvotum der Vorsitzenden Richterin für einen Freispruch vom schweren Vorwurf der Beteiligung an den Straßenschlachten ausgesprochen.
Die Linke in Griechenland hat den Fall aufmerksam verfolgt. Zwar sieht man in Brandbomben und Straßenschlachten mit der Polizei wohl nur innerhalb des anarchistischen Spektrums passende Mittel des Klassenkampfes. Allgemein ist man sich innerhalb der Opposition zum herrschenden neoliberalen Modell aber einig, dass eine an „Randfiguren“ erprobte Methode der Kriminalisierung von sozialen Kämpfen wenig später auf weitere Kreise ausgedehnt werden könnte. Die Warnung von Rechtsanwalt Katsaris vor Gericht, nach den Anarchisten würden als nächste Gewerkschafter, beispielsweise bei wilden Streiks, mit ähnlichen Anklagen konfrontiert werden, nimmt man - hierzulande zumindest - sehr ernst.