Warum Berlin nicht gewachsen ist
Auch Bonn ist während der Zeit als Hauptstadt kaum größer geworden
Genau wie alle erfolgreichen Hausinnovationen um die Küche herumsteuern, steuern alle erfolgreichen Bauvorhaben ganz offensichtlich um die Städte herum. Wenn man einmal beginnt, an Städten herumzureparieren, so ist das ähnlich wie beim Herumbasteln an den Hausinstallationen. Schnell muss man dann das Wasser abdrehen, die Abwasserrohre verlegen, sich mit den Gasleitungen herumschlagen oder mit der Elektrizität kämpfen. Jedes Gerät wird darin verwickelt und wenn alles damit zu tun hat, dann ist das im Widerspruch zur herkömmlichen Meinung ein Rezept für den Ruin und nicht für Verbesserungen am Haus.
Man nehme nur Berlin als Beispiel, eine Stadt mit einer Verwaltung, die bewundernswert zum Lernen durch Erfahrung organisiert ist und sich im Unterschied zu anderen Städten nicht schämt, sich mit den Tatsachen auseinanderzusetzen, selbst wenn sie sich stur weigern, mit den eigenen, laut verkündeten Vorhersagen übereinzustimmen.
Vor sechs oder sieben Jahren nahm nach den gefeierten Folgen der Wiedervereinigung und der Entscheidung, Berlin wieder zur Hauptstadt zu machen, jeder, angefangen von den höchsten Politikern im Land bis hin zu den kleinsten Baufirmen, an, dass die Folge eine Zunahme der Bevölkerung sein werde. Die Stadt würde die Bewohnerzahl wieder erreichen, die sie vor dem Krieg hatte, und weiter wachsen, bis sie so groß wie London oder Paris sein würde. Die Stadtplaner waren darauf aus, die Grünbereiche zu verkleinern, die Einwohnerdichte in der Innenstadt zu verdoppeln und mehr als eine Million Menschen in den Vorstädten unterzubringen. Viele Bauvorhaben wurden in Gang gesetzt, um dieser gewaltigen Vergrößerung zu entsprechen, doch bald stellte sich heraus, dass die Erwartungen über das Stadtwachstum weit übertrieben gewesen waren. Heute ist Berlin mit mehr Hotelräumen und Wohnungen, als es Besucher und neue Bewohner hat, mit einem Bevölkerungsrückgang konfrontiert. Berlin eine solche Bedeutung zu geben wie London, konnte nicht bewirkt werden, und daraus können wir etwas lernen.
Beim Berechnen der mythischen Einwohnerzunahme hatten die deutschen Städteplaner historische Tatsachen außer Acht gelassen. Am Wichtigsten dabei ist, dass Bonn in den vierzig Jahren als provisorische Hauptstadt nur um 100000 Einwohner größer geworden ist. Genauso nahm die Bevölkerung von Ostberlin, der Hauptstadt der zentral verwalteten DDR, zwischen 1949 und 1989 nur um 8 Prozent zu. Da zwei Drittel des heute größer gewordenen Deutschlands noch immer so regiert wird, wie dies in der dezentral verwalteten BRD gewesen ist, gibt es keine höhere strukturelle Nachfrage für eine Bevölkerungskonzentration als in den Bonner Zeiten. Als Folge geht man nun davon aus, dass die Einwohnerzahl von Berlin bis zum Jahr 2015 aufgrund der geringen Zuzugsrate, der niedrigen Geburtsrate seiner gegenwärtigen Bevölkerung und einem kontinuierlichen Exodus der jungen Berliner in den dezentralisierten Westen um 250000 Menschen sinken wird. Wenn nicht die Einwanderung oder der Umzug nach Berlin in großen Maße zunimmt, wird die Stadt wieder in den Trend der sinkenden Einwohnerzahl zurückfallen, den es in den Jahren vor dem Fall der Mauer gegeben hatte.
Die Geschichte von Berlin lehrt uns, dass Bevölkerungstrends wirklich nicht zu steuern sind. Sie reagieren nicht nur kaum auf selbst die stärksten Regierungsmaßnahmen, sondern neigen auch dazu, zu ihren langfristigen vielfältigen Trends zurückzukehren, sobald sie dies können. Berlin wurde im Zweiten Weltkrieg in das Steinzeitalter zurückgebombt und war dann über 40 Jahre lang geteilt, währenddessen der Großteil von Deutschland dezentralisiert war. Diese ganze Geschichte war notwendig, um zu der sinkenden aktuellen Einwohnerzahl zu kommen, die sich so schwer umkehren lässt wie einen Supertanker. Berlin zur Hauptstadt zu machen, hatte also keine Auswirkung - und das wird auch für lange Zeit so bleiben.
Trotz des missionarischen Eifers der urbanen Arbeitsgruppe von Lord Rogers wird auch sie mit derselben Sackgasse in London konfrontiert werden. Auch wenn die Geschichte Londons weniger dramatisch als die Berlins ist, so reicht sie weiter zurück. Die Entstädterung Englands begann mit dem Auftritt der Eisenbahn im 19. Jahrhundert und wurde mit dem PKW im 20. Jahrhundert fortgesetzt. Das Problem, einen Trend von solcher Größe wieder umzukehren, ist größer, als man es sich vorstellt.
Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer