Warum Bürgerräte eine Demokratie bereichern können

Seite 2: 4. Politiker halten Bürgerrat für unverbindlich

In Deutschland mit seiner laut Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier speziellen "politischen DNA" wollen sich Politiker hingegen vom Bürger nichts sagen lassen.

In der Debatte zur Einsetzung des Bürgerrats hatten zahlreiche Abgeordnete für Zustimmung geworben, gerade weil es von einem Bürgerrat am Ende nur unverbindliche Empfehlungen geben werde und die Politiker frei seien, wie sie damit umgehen.

Das ist zwar juristisch derzeit korrekt - ein Bürgerratsvotum kann nach bestehender Gesetzeslage dem Parlament keine Vorgaben machen. Doch die Abgeordneten wären natürlich frei darin, von sich aus einem Bürgerratsvotum zu folgen. Dies von vornherein auszuschließen, führt das Instrument ad absurdum.

Denn sich hinterher nur das herauszusuchen, was in die eigene politische Agenda passt, macht den Souverän gerade dort stumm, wo er Gehör braucht, weil sich seine Stimme von der Politik unterscheidet.

Mythos Politiker-Verantwortung

Der FDP-Abgeordnete Gero Clemens Hocker hatte dazu jedoch im Bundestag erklärt:

Per Losentscheid bestimmte Mitglieder eines Rates hingegen müssen [anders als wir gewählte Abgeordnete] niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen. Sie [...] sind weder der Öffentlichkeit noch dem Wähler irgendeine Erklärung schuldig. Deswegen muss ihre Funktion darauf begrenzt sein, denjenigen, die die Entscheidung zu tragen haben, [...] tatsächlich nur beratend zur Seite zu stehen [...].

Gero Clemens Hocker

In ähnlicher Weise reklamieren Politiker stets ihren Allvertretungsanspruch. Doch zentrale hierin enthaltene Behauptungen sind falsch.

Ausgeloste Bürger müssen keine Rechenschaft vor "dem Wähler" ablegen, weil sie ja selbst "der Wähler" sind. Der Öffentlichkeit gegenüber erklärt sich ein Bürgerrat hingegen ausführlich, anders als von Hocker behauptet. Das sogenannte "Bürgergutachten", in dem der Beratungsprozess transparent gemacht wird, ist elementarer Teil des Verfahrens.

Anders Abgeordnete: sie legen regelmäßig keine Rechenschaft über ihre Entscheidungen ab - für die Wähler sind sie auch nur bei den seltenen namentlichen Abstimmungen wenigstens im Votum exakt nachzuvollziehen. Und Rechenschaft im Sinne einer Haftung gibt es nun gar nicht (siehe hierzu: "Berufsstand mit beschränkter Haftung").

Kritik am Thema Ernährung

Kritik gab es auch am Thema, mit dem sich der erste vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat beschäftigen soll: "Ernährung im Wandel". Ausgeloste Beratungsgruppen sind zwar vor allem für konfliktuöse Themen geeignet, bei denen sich die übliche Parteienkonstellation festgefahren hat und jede knappe Mehrheitsentscheidung im politischen Raum für viel Enttäuschung und Verbitterung auf der unterlegenen Seite sorgen würde.

Aber sie sind auch geeignet zur Beratung von Grundsatzfragen, aus deren Beantwortung sich möglicherweise große Veränderungen ergeben müssten. Die Grundsatzfrage bei Ernährung ist im Einsetzungsbeschluss formuliert. Denn es soll ein Spannungsfeld ausgeleuchtet werden: "Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben."

Wenn das methodisch gut gemacht wird, legt der Bürgerrat Ernährung am Ende keinen verbindlichen Speiseplan für alle Kitas, Schulen und Bürokantinen vor, sondern er hat erörtert, an welchen Stellen warum die persönliche Entscheidungsfreiheit in Ernährungsfragen enden kann und sich deshalb die Allgemeinheit damit beschäftigen darf.

Er wird dann aber auch erörtert haben, was "den Staat" nichts angeht, woraus sich Politiker also künftig weiterhin oder neu herauszuhalten haben.

Bisher ist das keineswegs geklärt: Gerade wird ein partielles Werbeverbot verhandelt; Dicke werden von Politik und Öffentlichkeit bisher nach Belieben auf den Marktplatz gezerrt. Andererseits werden Agro-Industrialisierung oder die Menge an Tierleid ausschließlich durch die Nachfrage begrenzt. Und im globalen Wettbewerb setzt sich gemäß kapitalistischer Logik durch, was den besten Profit bringt.

Öffentlichkeit einbinden

Der Bundestagsbeschluss lässt jedoch offen, welche Fragen genau der Bürgerrat klären soll. Deshalb ist hier tatsächlich eine Beteiligung der Öffentlichkeit zu fordern. Die Detailplanung muss transparent erfolgen, und es braucht mindestens Feedbackmöglichkeiten. Diese Kombination von Bürgerrat und Bürgerdialog ist bisher nur in Ansätzen erprobt, aber dringend notwendig.

Denn wenn schon die Politik die Ergebnisse von Bürgerräten nur nach Belieben berücksichtigen will, muss der Souverän voll hinter ihnen stehen können.

Das verlangt ein Setting, bei dem niemand, der guten Willens ist, am Ende behaupten wird, mit ihm in der Losgruppe wäre ein anderes Ergebnis herausgekommen. Denn die Stärke aller losbasierten, sogenannten aleatorischen Verfahren liegt genau darin: dass der Souverän in seiner Gesamtheit zurecht darauf vertraut, dass eine kleine Stichprobe aus ihm heraus stellvertretend für alle beraten hat, dass dabei alles Relevante zur Sprache kam und man deshalb das Ergebnis akzeptiert, gerade, auch wenn es der eigenen Vorstellung hier und da widerspricht.

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