Warum Sie dem Vertrauen in die Medien misstrauen sollten
Journalismus, Meinungserhebungen und Medienskepsis: Warum so viele über Vertrauen reden. Und weshalb wir uns mehr mit Mediennaivität befassen müssen.
Neulich bei einer Podiumsdiskussion zur politischen Lage in Europa rief jemand im Saal: "Kann man unserem politischen System denn überhaupt noch vertrauen?" Lange Gesichter um mich herum, Achselzucken, hochgezogene Brauen. Was meinte der Mann?
Wir fragten zurück: "Meinen Sie die Europäische Kommission? Oder das Grundgesetz mit seinem Regelwerk? Oder meinen Sie die derzeitige Regierungskoalition?" Er meinte letztere. Die Leute um mich herum wirkten erleichtert. Nun denn, ja!
Wie leichtfertig mit dem Wort "Vertrauen" umgegangen wird
Diese kleine Episode machte mir mal wieder deutlich, wie leichtfertig in diesem Lande mit dem Wort "Vertrauen" umgegangen wird. Mitschuldig sind die Meinungsforscher. Vor ein paar Jahrzehnten haben sie das nebulöse Wort "Vertrauen" als Marker entdeckt. Seither verwenden sie es wie ein Fiebermesser, um periodisch das Verhältnis der Bevölkerung zu Staat, Wirtschaft, Politik, Parteien, Versicherungen, Medien, Kirche, Polizei usw. zu ermitteln.
Wir lesen dann groß aufgemachte Schlagzeilen darüber, dass unser "Vertrauen" in die Regierung auf dem tiefsten Stand, jenes "in die Medien" stabil geblieben oder das in die Polizei weiter gestiegen sei. Was sagen uns diese Fieberkurven? Eigentlich dies: Je höher das Vertrauen, umso sorglos-naiver – zugespitzt: umso kindlicher – empfinden die Menschen. Totales Vertrauen bedeutet komplette Unmündigkeit. Oder vorbehaltlose Hingabe.
Für Entwicklungspsychologen ist eigentlich klar, dass Babys so etwas wie "Urvertrauen" zur Mutter spüren (sollten), um nach dem Verlust des schützenden Mutterbauchs sich ein wenig geborgen und sicher zu fühlen. Dank der Studien des Psychologen Jean Piaget wissen wir, dass der Heranwachsende lernt und sein Vertrauen in die Elternwelt nach und nach zum Selbstvertrauen verwandelt.
Der Erwachsene vertraut nicht der Mutter Gottes oder dem Vater Staat, er begrenzt sein Vertrauenspotenzial auf die ihm wichtigen Personen und Personengruppen: auf seine Partnerin, seinen Zahnarzt, die Kriminalpolizistin, den Apotheker und so weiter.
Im Unterschied zum Urvertrauen müssen sich im Erwachsenenleben die nahe stehenden Personen erst mal als vertrauenswürdig erweisen: Unser neuer Briefträger ist pünktlich und zudem freundlich; die Rechnungen dieses Elektrikers sind fair kalkuliert – im Unterschied zum vorherigen, dem ich kein Vertrauen mehr schenke.
Das Gefühl des Vertrauens klebt ein Leben lang an anderen Personen aus Fleisch und Blut. Wer Institutionen oder abstrakten Gattungsbegriffen Vertrauen schenkt, der macht sie zu Papas und Mamas. Mich wundert nicht, dass Parteien und Regierungen ihr Wählervolk am liebsten infantilisieren: Je größer das angebliche Vertrauen, umso rücksichtsloser kann regiert werden.
Die Vertrauensfrage der Demoskopen
Und jetzt die Medien: Fragen Sie sich selbst mal, in wen oder was Sie Vertrauen haben, wenn Sie bei der nächsten Befragung nach ihrem "Medienvertrauen" gefragt werden. Dass nächsten Montagabend wieder ein "Tatort" kommt? Dass der Soundtrack der Tagesschau sich nicht ändert? Günther Jauch der Quizrunde bei RTL die Treue hält? Dass auf Ihrem Smartphone die News-App von t-online (oder von bild.de oder Spiegel Online) dreimal täglich aktualisiert wird? Dass die Wettervorhersage nach den Nachrichten einigermaßen zutrifft?
Ist eigentlich logisch: Wenn Demoskopen ihre Vertrauensfrage auf abstrakte Gattungen und Institutionen beziehen, denkt jeder der Befragten an etwas anderes. Vergangene Woche habe ich mich über eine Nachrichtensendung des ZDF tierisch geärgert. Und immer mal wieder bin ich über die lausig schlecht getexteten Überschriften meiner Lokalzeitung verbittert.
Hätte man mich gestern gefragt, ich hätte auf die Vertrauensfrage zur Zeitung vermutlich mit "nein" geantwortet. Obwohl ich doch die Analysen des stellvertretenden Chefredakteurs klug informiert finde und mir die Kritiken des Musikredakteurs super gut gefallen.
Ich möchte nicht als Unmündiger behandelt und entsprechend befragt werden. Vertrauen habe ich zu Personen: in den Musikkritiker, aber nur in seiner Rolle als Musikkritiker. Vorschuss-Vertrauen schenkte ich dem Wirtschaftspolitiker Robert Habeck, dass er die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Öko-Ziele erreichen werde. Habe ich nicht mehr. Ich könnte diese Liste beliebig verlängern. Ihr Sinn: Vertrauen bezieht sich auf konkrete Zielsetzungen, auf Handlungen und das Verhalten real existierender Personen und Gruppen.
Kein Vertrauen habe ich in die Demoskopen, wenn sie pauschal "Vertrauen" abfragen. Dies gilt auch für meine Kollegen von der Universität in Mainz. Vorige Woche haben sie die Ergebnisse ihrer jüngsten Erhebung zum "Medienvertrauen" veröffentlicht, eine Langzeitstudie, die uns Glauben macht, man könne damit eine Fieberkurve über den Zustand der Gesellschaft zeichnen oder Folgerungen über die Wertschätzung, gar Qualität der Medien ziehen. Nein, geht nicht.
Aber man kann dort den Grad der Mediennaivität ablesen: Während der Coronapandemie stieg sie leicht an, derzeit fällt sie wieder ein wenig ab.
Medienskepsis
Zur Ehrenrettung der Mainzer Forscher möchte ich anfügen, dass den Kollegen dort offenbar nicht ganz wohl ist mit diesem "Medien-Gesamtvertrauen". Jedenfalls haben sie auch noch handfeste Fragen zur Mediennutzung und -beurteilung gestellt. Entsprechend valide und aufschlussreich sind diese Antworten.
Beispielsweise fanden Ende 2022 mehr als ein Viertel der Befragten, sie würden von den Medien "systematisch belogen". Knapp die Hälfte meinte, "Medien und Politik arbeiten Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren" – ein großer Teil davon wählte die Kategorie "teils, teils".
Und knapp zwei Drittel stimmten dieser Aussage zu: "In meinem persönlichen Umfeld nehme ich die gesellschaftlichen Zustände ganz anders wahr, als sie von den Medien dargestellt werden". Auch hier rund die Hälfte mit "teils, teils".
Kaum verwunderlich finde ich, dass diese Medienskepsis hauptsächlich von Menschen in den neuen Bundesländern sowie von denen geäußert wird, die politisch einerseits mit den Linken, andererseits mit den Ultrarechten sympathisieren.
Ebenso wenig hat mich verwundert, dass die Zufriedenheit mit der Medienberichterstattung bei denen am größten ist, die sich politisch den Grünen zurechnen, gefolgt von denen, die mit der SPD sympathisieren. Umgekehrt steigt die Unzufriedenheit, je sozial ungesicherter sich die Befragten fühlen: Die sozial Schwachen finden offenbar, dass die Gründe für ihre Zukunftsängste von der Medienberichterstattung übergangen werden.
Wir sehen: Wenn nach konkreten Erfahrungen und Einschätzungen gefragt wird, bekommt man auch klare Antworten. Sie zeugen von einer tief sitzenden Medienskepsis, die in der Erfahrung wurzelt, dass die in den etablierten Newsmedien erzählten Geschichten mit der Lebenswelt der Befragten kaum noch Berührung haben (was kein Grund zur Sorge ist, denn Skepsis ist eine Haltung, die sich mit der Medienerfahrung erwachsener Menschen wie von selbst einstellt – und aus meiner Sicht eher ein Zeichen für Mündigkeit ist).
Was machen nun die Medienskeptiker, wenn sie sich gleichwohl umfassend informieren wollen? Richtig: Sie suchen nach Berichten in der Welt der alternativen Medien. Diesen Gedanken griffen auch die Mainzer Kollegen auf und fragten, wer "alternative Medien" nutze. Die Ergebnisse der Studienverfasser lauten so:
Ein Vertrauensrückgang ist bei alternativen Nachrichtenseiten zu verzeichnen: Vertrauten im Jahr 2020 noch 14 Prozent diesen Angeboten, waren es im Jahr 2022 nur noch 5 Prozent.
Abgesehen davon, dass es nicht um Vertrauen geht: Dieser Befund passt überhaupt nicht zu unseren Beobachtungen über Mediennutzungen seit Beginn des russischen Angriffskriegs. Wie kommt das? Eine Fußnote im Bericht der Mainzer klärt uns auf: Früher zeigten die Demoskopen den Befragten eine Liste mit Alternativmedien, und zwar: "Politically Incorrect, Compact, Deutsche Wirtschaftsnachrichten oder Russia Today".
Diesmal habe man folgende Titel genannt: "Junge Freiheit, Reitschuster, Compact, Tichys Einblick". Diese Schlagseitigkeit ist in doppelter Hinsicht aufschlussreich: Erstens unterscheidet sich die politische Ausrichtung der Alternativmedien der neuen Liste deutlich von denen der alten.
Zweitens fehlen (von Reitschuster abgesehen) solche Alternativmedien, die keine Ideologien propagieren, sondern fundierte Berichte zu aktuellen Vorgängen bringen und dabei journalistische Handwerksregeln beherzigen – Onlinemedien wie zum Beispiel detektor.fm, netzpolitik.org und natürlich Telepolis.
Ich frage mich: Wem soll man da noch vertrauen, wem misstrauen?
Michael Haller, Prof. Dr. phil., leitet das Europäische Institut für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) in Leipzig. Bis zu seiner Emeritierung Ende 2010 hatte er an der Universität Leipzig seit 1993 den Lehrstuhl für Journalistik inne. Zuvor war er als leitender Redakteur in verschiedenen Pressemedien im In- und Ausland tätig.
Er ist Autor mehrerer Journalismus-Standardwerke, etwa Methodisches Recherchieren, Das Interview und Die Reportage.
Haller forscht zur gesellschaftlichen Funktion des Journalismus und der Onlinemedien in demokratischen Gesellschaften.