Warum Tesla die Welt nicht retten wird
Der schwedische Journalist Arne Müller über den Metallverbrauch von Elektrofahrzeugen, den Bergbau und die Notwendigkeit, am besten kein eigenes Auto mehr zu haben
In Skellefteå, Nordschweden, haben die Arbeiten für Northvolt, die nächste Elektroauto-Batteriefabrik in Europa, begonnen. Partner dabei sind unter anderem Siemens und VW. Für den schwedischen Journalisten Arne Müller, 59, ehemaliger Redakteur bei SVT Västerbotten, war dies der Anlass, dem Metallverbrauch der Branche nachzugehen, die uns eigentlich aus dem fossilen Zeitalter führen soll.
Sein Fazit in dem Buch "Elbilen och jakten på metallerna" (Übers. Das Elektroauto und die Jagd nach den Metallen, bisher nicht auf Deutsch erschienen) wird all diejenigen enttäuschen, die hofften, mit dem Wechsel zu Ökostrom und dem Kauf eines Elektroautos seien die Ziele von Paris schon erreicht: "Wir können in Zukunft nicht so viele Autos haben und so viel Energie verbrauchen wie heute - und wir können uns erst recht keinen Zuwachs leisten."
Müller hat zuvor über Umweltschäden durch den Bergbau im eigenen Land recherchiert (Smutsiga Miljarder, 2013). In Schweden gibt es aktuell viele Versuche, neue Bergwerke zu starten - die wachsende Nachfrage nach Metallen und die erwarteten Preissteigerungen lassen Vorkommen interessant erscheinen, die früher als nicht wirtschaftlich galten.
Herr Müller, es gibt inzwischen viele Studien zu Elektroautos. Der Fokus liegt dort meist auf der Klimawirkung, also dem CO2-Ausstoß in der Produktionskette und im Betrieb. Den haben Sie auch im Blick, setzen Ihren Schwerpunkt aber auf den Metallverbrauch. Können Sie bitte dem deutschen Publikum erklären, wie es dazu kam?
Arne Müller: Als Northvolt, die geplante Batteriefabrik in Skellefteå, ihre Umweltgenehmigung beantragte, musste sie auch ihren Materialverbrauch angeben. Dabei stellte sich heraus, dass sie nur für ein Viertel der vollen Kapazität schon ein Prozent der weltweiten Produktion von Kobalt und Grafit und gut zwei Prozent der weltweiten Produktion von Lithium benötigen würde. Und die Firma rechnet damit, dass es zukünftig weltweit 100 bis 150 solcher Fabriken geben wird. Ich fragte mich: Gibt es überhaupt so viele Metalle? Eine Studie der Weltbank sagte, dass es ausreichend geben wird. Die Studie geht allerdings davon aus, dass vier Fünftel des Lithium-Gehalts aus Batterien recycelt werden. Das ist heute aber nicht der Fall.
Bergbau gilt weltweit als problematische Branche. Aber wenigstens in Schweden sollte doch alles vorbildlich funktionieren?
Arne Müller: Ich ging anfangs auch davon aus, dass in Schweden alles vorbildlich läuft, mit einzelnen Ausnahmen. Aber je mehr ich zu diesem Thema recherchiert habe, desto mehr habe ich gemerkt, dass es auch in Schweden und Finnland große Probleme gibt.
Dafür gibt es meiner Meinung nach zwei Gründe: Zum einen wird der Bergbau immer größer. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs produzierten in Schweden 100 Gruben 10 Millionen Tonnen. Heute sind es 10 bis 15 Gruben, die 70 Millionen Tonnen produzieren. Heute ist jede Grube riesengroß. Die besten Vorkommen sind nämlich schon ausgebeutet. Der Metallgehalt ist heute viel geringer. Der Kupfergehalt in der Aitik-Grube bei Gällivare liegt nur bei 0,2 Prozent. So werden die Löcher in der Natur sehr groß, und die Risiken wachsen.
Die zweite Ursache: Die Änderung der Gesetzgebung macht es in Schweden sehr leicht, ein Bergwerk aufzumachen. Kleine Prospektierungsfirmen mit wenigen Mitarbeitern untersuchen zuerst ein mögliches Vorkommen und beantragen die Genehmigung. Diese Betriebe sind aber zu klein, um den Abbau durchzuführen und davon abhängig, dass sie Investoren anlocken. Deshalb stellen sie die Lage besser dar, als sie ist. Viele davon sind bankrott gegangen, der Staat musste hinter ihnen aufräumen.
Ein Beispiel: Scanmining beantragte die Genehmigung für eine Zinkgrube in Västerbotten, Blaiken. Angeblich gab es praktisch keine Risiken für die Umwelt und gute Gewinnchancen. Nach zwei Jahren war die Grube bankrott, aber mit umfangreichen Folgen. Scanmining hatte die Genehmigung, 500 Kilogramm Zink im Jahr in das nahe Gewässer einzuleiten. Es waren aber 200 Kilogramm am Tag. Die Sanierung kostet 400 Millionen SEK und wird noch viele Jahre dauern.
Grubengegner in Schweden bekommen oft zu hören, es sei doch besser, eine Grube in Schweden zu eröffnen, wo es Umweltvorschriften und einen vernünftigen Arbeitsschutz gibt, als in ärmeren Ländern. Was sagen Sie da?
Arne Müller: Ich lese gerade ein Buch über die Geschichte des Kongo. Mehr als die Hälfte des Kobalts kommt von dort. Die Bedingungen sind wirklich fürchterlich. Aber das ist das Resultat der Politik der großen Länder. Dort sind die ganz großen Firmen. EU, Weltbank und IWF haben dazu beigetragen, dass es so aussieht. Man sollte sich dafür einsetzen, dass diese vollkommen unzureichenden Bedingungen sich ändern. Da haben Umweltschutzorganisationen und Gewerkschaften eine wichtige Funktion. Im Übrigen verhalten sich schwedische Firmen im Ausland auch nicht so, wie sie es in Schweden müssen.
"Wir können uns in Zukunft keine großen Autos mehr leisten"
Im Buch thematisieren Sie das unzureichende Recycling. Gibt es wenigstens eine Tendenz zur Besserung?
Arne Müller: Auch die Autohersteller sehen inzwischen, dass es unmöglich ist, die Produktion so zu steigern, wie sie es wollen, wenn man dieses Problem nicht löst. Doch der Aufbau von Recyclingsystemen geht zu langsam. Ein Ansatz ist außerdem, ungenutzte Metalle aus den Abraumhalden der Gruben zu nutzen. Dort liegen große Mengen von Zink, Blei und Kupfer, die früher nicht interessant waren. Die große schwedische Bergbaufirma LKAB macht jetzt Versuche, aus dem Abraum ihrer Erzgruben Seltene-Erden-Metalle und Phosphat zu gewinnen.
Und die Politik?
Arne Müller: Die Politik will Wachstum für den schwedischen Bergbau. Man investiert nicht die gleiche Energie, wenn es um größere Sparsamkeit im Umgang mit Metallen geht. Es wird aber nicht möglich sein, die Menge der Autos, die es heute gibt, aufrecht zu erhalten. So viele Metalle gibt es nicht.
Das Elektroauto kann die Welt also nicht retten. Welche Rolle kann es spielen?
Arne Müller: Das Elektroauto ist schon jetzt im Vergleich besser. Wahrscheinlich werden die Unterschiede noch wachsen. Aber die Emissionen werden immer noch zu hoch sein. VW hat selbst eine Life Cycle Analysis durchgeführt. Der Elektro-Golf hatte nach 200.000 Kilometern immer noch rund 60 Gramm CO2 aus der Herstellung im Gepäck. Das ist zu viel, wenn man sich vorstellt, dass die Anzahl der Autos gleich bleibt.
Es gibt auch einen großen Unterschied zwischen kleinen und großen Autos. Große Autos wie der Tesla haben eine große Batterie und verbrauchen viel Metall, im Gegensatz zu einem Renault Zoe. Wir können uns in Zukunft keine großen Autos mehr leisten. Die zentrale Aufgabe wäre es, die Gesellschaft so zu organisieren, dass man kein eigenes Auto mehr braucht.
Verzicht kommt immer ganz schlecht an. In Deutschland ist nicht einmal ein Tempolimit politisch durchsetzbar. Was müsste passieren, damit der Metallverbrauch weltweit nachhaltig organisiert wird?
Arne Müller: Ich sehe Bedarf für mehrere große gesellschaftliche Veränderungen. Einkaufszentren sind oft in großen Gebieten außerhalb angesiedelt, wo es fast Voraussetzung ist, dass man ein Auto hat. Das können wir nicht beibehalten, wenn wir die Ziele von Paris erreichen wollen. Man muss die Städte so bauen, dass alle öffentliche Verkehrsmittel benutzen können. Autos können von mehreren genutzt werden (Car Sharing), ohne dass man selbst eins besitzen muss. Die meisten Autos stehen mehr als 90 Prozent still.
Zwei Punkte halte ich dabei für ganz wichtig: Gerechtigkeit und Mitbestimmung. Man sieht, dass die CO-Emissionen nicht gleichmäßig verteilt sind. Die, die ein großes Auto, ein eigenes Motorboot und ein Haus haben, erzeugen mehr und müssen mehr einsparen. Wenn es keine Gerechtigkeit gibt, wird man wie in Frankreich die Gelbwesten bekommen.
Die meisten Menschen verstehen, dass wir ein Problem haben. Wir müssen sie aktiv an der Diskussion beteiligen: Wo sind wir bereit zurückzustecken? Beim Fliegen? Beim Schneemobil - für Nordschweden besonders schlimm? Es ist leichter, etwas zu akzeptieren, das man selber beeinflussen kann. Bei den Lesungen zu meinem Buch entstehen überall engagierte Diskussionen. Mein Plan ist, als nächstes mit Motorklubs zu sprechen, von denen es in Schweden sehr viele gibt. Ich möchte sie fragen: Was habt ihr für Ideen? Das sind die, die etwas davon verstehen!
Viele setzen darauf, dass technischer Fortschritt das Problem lösen wird. Sehen Sie da Anzeichen für?
Arne Müller: Diese Frage bekomme ich bei jeder Veranstaltung. Was bringen Brennstoffzellen, neue Batterietechnik? Sicher werden die Batterien kleiner und effektiver werden, man wird vielleicht einige der wirklich kritischen Metalle ersetzen können. Aber man kommt nicht um die zentrale Frage herum: Wir können nicht so viele Autos haben und so viel Energie verbrauchen wie heute und wir können uns keinen weiteren Zuwachs leisten.
Es gibt den Versuch, Stahl ohne Kohle herzustellen, das Projekt Hybrit. Es wäre fantastisch, wenn es so weit käme, aber man braucht dazu sehr viel Energie. In Schweden würde das 15-20 Terawattstunden Strom pro Jahr bedeuten. Für die Stahlproduktion weltweit entspräche dies 7000 Terawattstunden, der Leistung von etwa 800.000 neuen modernen Windkraftwerken. Man kommt an den Punkt, wo man sagen muss: Dann können wir eben nicht so viel Stahl herstellen. Wie nutzen wir unsere Energie? Um die problematischen Fragen kommt man nicht herum.
Elektroautos (14 Bilder)
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