Warum akzeptiert Netanjahu einen Geisel-Deal, den er wochenlang ablehnte?
- Warum akzeptiert Netanjahu einen Geisel-Deal, den er wochenlang ablehnte?
- Der Druck in Israel und den USA ist stetig gewachsen
- Auf einer Seite lesen
50 Geiseln sollen nach Israel zurückkehren, vier Tage Waffenruhe. Ein richtiger Schritt, aber warum erst jetzt, und was kommt danach? Eine Einordnung.
Gestern stimmte das Kriegskabinett in Israel für das Hamas-Angebot, rund 50 israelische Geiseln freizulassen, die beim Überfall am 7. Oktober in den Gazastreifen entführt wurden. Im Gegenzug verspricht die israelische Regierung eine Waffenpause während der schrittweisen Übergabe.
Die Pause sollte eigentlich laut Hamas heute um zehn Uhr beginnen, während sich beide Seiten auf die Freilassung der Geiseln vorbereiten. Doch nun teilt Israel mit, dass man mit der Freilassung nicht vor Freitag beginnen werde.
Die Einigung wurde international mit Erleichterung aufgenommen. Viele Angehörige warten nun gespannt und ängstlich, ihre entführten Familienmitglieder – es sind Kinder, Mütter und Frauen – in Empfang zu nehmen.
Die Übergabe soll phasenweise und in Gruppen à zwölf bis 13 Personen über vier Tage geschehen. Im Gegenzug erklärt sich die israelische Regierung bereit, 150 minderjährige und weibliche palästinensische Gefangene freizulassen. (Man geht von rund 8.000 Palästinensern in israelischen Gefängnissen aus. Davon werden mindestens 1.000 ohne Anklage oder Prozess, oft schon seit Jahren, festgehalten. Palästinenser unterstehen im besetzten Westjordanland dem israelischen Kriegsrecht.)
Die Frage ist, warum die Netanjahu-Regierung dem Geisel-Deal nun zustimmte, den sie über Wochen zurückwies bzw. nicht ernsthaft verhandelte. Denn ein solches Angebot der Hamas wurde Israel bereits unmittelbar nach der Entführung und dann immer wieder gemacht.
So berichtete der britische Guardian, dass Personen, die mit den Verhandlungen um eine Geiselfreilassung vertraut sind, bestätigten, dass der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu ein derartiges Abkommen im Zuge von Verhandlungen "vollständig ablehnte, kurz nachdem militante Hamas-Kämpfer am 7. Oktober einen historischen Überfall auf israelisches Gebiet verübt hatten."
Indirekte Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas wurden schließlich von Katar vermittelt. Vier entführte Frauen wurden dabei von der Hamas am 20. und 24. Oktober freigelassen. Aber auch diese "Testballons", mit der die Hamas unilateral demonstrieren wollte, dass man bereit ist für einen größeren Deal, reichten nicht, um Netanjahu umzustimmen.
Am 24. Oktober, als Israel kurz davor stand, die Bodenoffensive im Gazastreifen zu starten, erhielt die US-Seite die Nachricht, so Reuters, dass die Hamas den Parametern eines Abkommens zur Freilassung von Frauen und Kindern zugestimmt habe, was eine Pause und einen Aufschub der Bodeninvasion bedeuten würde.
US-Beamte diskutierten mit den Israelis darüber, ob die Bodenoffensive verschoben werden sollte oder nicht. Die Israelis argumentierten, dass die Bedingungen für einen Aufschub nicht ausreichend seien, da es keinen Beweis für das Leben der Geiseln gebe.
Netanjahu verlangte von der Hamas eine vollständige Liste mit den Namen und Angaben zu jeder in Gaza festgehaltenen Person. Ohne diese Liste in den Händen, sei er nicht bereit, die Bombardierungen einzustellen und eine Invasion auszusetzen.
Die Hamas antwortete, sie könne die Liste ohne eine Kampfpause nicht vorlegen, da die geschätzten 240 Geiseln von unterschiedlichen Gruppen an verschiedenen Orten im Gazastreifen festgehalten würden. Der Guardian hält das für glaubwürdig. Es sei ein Hinweis darauf, "dass selbst die Hamas-Führung nicht mit Sicherheit weiß, wie viele Menschen gefangen gehalten werden, wo sie sich befinden oder wie viele die Bombardierungen überlebt haben."
Israel mit Unterstützung der US-Regierung ging darauf nicht ein. Man unterließ es, einen Weg zu finden, einen Deal zu vereinbaren. Das israelische Militär intensivierte vielmehr die Kämpfe mit Bodentruppen, die in den Norden einmarschierten.
Nach dem Beginn der israelischen Bodenoffensive am 27. Oktober seien die Verhandlungen dann langsam wieder aufgenommen worden. Aber Netanjahu habe weiterhin eine harte Linie bei Vorschlägen verfolgt, die Waffenstillstände von unterschiedlicher Dauer im Austausch für eine unterschiedliche Anzahl von Geiseln vorsahen, so berichten Quellen aus dem Umfeld der Verhandlungen.
Zugleich habe die Hamas ihre ursprünglichen Forderungen immer weiter zurückgeschraubt. Mitglieder der Organisation hatten zu Beginn noch erklärt, man wolle mit den Geiseln Tausende palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen befreien. Doch "jedes Mal wurde die israelische Gegenforderung härter", sagte eine mit den Verhandlungen vertraute Person dem Guardian.
Auch innerhalb des israelischen Establishments soll Netanjahu einen Hardliner-Kurs gefahren haben. Der Geheimdienst Mossad, der hauptverantwortlich ist bei Geisel-Verhandlungen, drängte auf eine Lösung für die Entführten. Doch der israelische Premierminister soll das immer wieder abgeblockt und dann noch schärfere Bedingungen gefordert haben.