Warum die Gegenoffensive der Ukraine scheitert

Ukrainische 55. Artilleriebrigade bei einem Ausbildungslehrgang. Bild: Ukrainisches Verteidigungsministerium / CC BY 4.0

Die Lage wird im Westen schöngeredet. Kiew verfügt nicht über die notwendigen Ressourcen. Warum Russland militärisch gestärkt werden könnte und die Ukraine auf Diplomatie setzen sollte.

Im vergangenen März erklärte Verteidigungsminister Lloyd Austin, dass die Frühjahrsoffensive des ukrainischen Militärs dank der bedeutenden Unterstützung des Westens "eine sehr gute Chance auf Erfolg" habe. Der ehemalige Chef des britischen Generalstabs, General Richard Dannatt, ging sogar so weit zu behaupten, dass die ukrainische Offensive so erfolgreich sein würde, dass Putin dadurch "aus dem Kreml gefegt werden könnte".

Daniel L. Davis ist Senior Fellow für Defense Priorities und ehemaliger Oberstleutnant der US-Armee.

Die Realität des Kampfes hat diese optimistischen Behauptungen jedoch hinweggefegt und die harte Wahrheit ans Licht gebracht: Es ist unwahrscheinlich, dass die Ukraine Russland militärisch aus ihrem Territorium vertreiben kann, ganz gleich, wie viele Männer sie in die Schlacht schickt.

So unangenehm es für alle Unterstützer der Ukraine auch sein mag, der klügste Entscheidung für Selenskyj könnte nun darin bestehen, eine Verhandlungslösung anzustreben, die Kiew möglichst viel Unabhängigkeit und Territorium sichert. Eine Beendigung des Krieges würde Zehntausenden von tapferen und heldenhaften ukrainischen Kämpfern den Tod und die Verwundung ersparen – Männern und Frauen, die Kiew nach Beendigung des Krieges für den Wiederaufbau des Landes brauchen wird.

Im selben Monat, in dem Austin behauptete, die Ukraine habe "eine sehr gute Chance", Russland in der Kiewer Frühjahrsoffensive zu besiegen, schrieb ich, dass der "Westen kalt erwischt werden könne, wenn man davon ausgehe, dass Russland den Krieg verlieren wird, aber es der ukrainischen Offensive nicht gelingt, die russischen Stellungen entscheidend zu schwächen".

Einen Monat vor Beginn der Offensive erläuterte ich die sehr praktischen Gründe, warum der ukrainische Angriff mit ziemlicher Sicherheit nicht einmal bescheidene Erfolge erzielen würde.

Ich argumentierte, dass die ukrainischen Truppen, um die russische Landbrücke zur Krim erfolgreich zu kappen, durch mehrere Zonen ausgeklügelter russischer Verteidigungsanlagen hindurch angreifen müssten, "mit begrenzter offensiver Luftmacht, begrenzter Luftabwehr, unzureichenden Mengen an Artilleriegranaten und einer Truppe, die mit einem Mischmasch aus moderner und veralteter Panzerung ausgestattet ist – ausgestattet mit einem Mix aus Wehrpflichtigen ohne Kampferfahrung sowie einigen Offizieren und Männern mit Grundausbildung durch Nato-Trainern".

All diese Faktoren haben nun vorhersehbar dazu beigetragen, die Kiewer Offensive abzuschwächen, da es nach sechswöchigen Bemühungen nicht einmal gelungen ist, den ersten Gürtel der russischen Hauptverteidigungslinien zu durchbrechen.

Ukrainische und westliche Offizielle haben versucht, das Ganze schönzureden, indem sie behaupteten, dass die Fortschritte nur "langsam" seien, dass alle Geduld haben müssten und dass die ukrainischen Streitkräfte (UAF) mit der Zeit doch noch die Oberhand gewinnen würden.

Einige Analysten haben argumentiert, dass die Ukraine die kombinierten Waffeneinsätze, die die Nato-Armeen einsetzen und den ukrainischen Truppen Anfang des Jahres beigebracht haben, nur unzureichend eingesetzt hat. Die harte Realität sieht jedoch so aus, dass Fortschritte aus absehbaren Gründen weiter nicht erreicht werden können.

Rund um den 5. Juni begann die ukrainische Armee einen Großangriff in der Region Saporischschja mit dem Ziel, die russische Sicherheitszone unmittelbar an der Kontaktlinie zu durchbrechen, dann in den ersten Gürtel der russischen Hauptverteidigungslinie einzudringen, die Stadt Tokmak etwa 25 Kilometer hinter den Linien einzunehmen und auf dem Weg, die Stadt Melitopol an der Küste des Asowschen Meeres zu besetzen, die russischen Streitkräfte in zwei Hälften zu teilen.

Das ukrainische Kommando führte den Angriff mit zwei Brigaden in gepanzerten Fahrzeugen an – der 47. und der 33. mechanisierten Brigade –, die die beste Nato-Ausbildung und -Ausrüstung erhalten hatten, darunter deutsche Leopard-2-Panzer und amerikanische Bradley-Kampffahrzeuge.

Diese beiden Brigaden erlitten von Anfang an vernichtende Niederlagen, da sie nicht mehr als ein paar Kilometer vorrücken konnten und in den ersten vier Tagen einen Großteil ihrer modernen gepanzerten Fahrzeuge verloren. In den ersten zwei Wochen verlor die Ukraine insgesamt 20 Prozent der westlichen Panzer, die sie für die Offensive zusammengezogen hatte, und über 30 Prozent ihrer Schlagkraft.

Die Gründe für diese Verluste waren angesichts der bekannten Bedingungen durchaus verständlich: Russland hatte mehr als sechs Monate damit verbracht, ausgeklügelte und leistungsfähige Verteidigungsgürtel zu errichten, verfügte über einen erheblichen Vorteil bei der Luftmacht, der Luftabwehr und der Artillerie sowie über beträchtliche Kapazitäten bei Minenfeldern, Panzerabwehrlenkraketen, Raketenartillerie, elektronischer Kriegsführung (zur Abwehr ukrainischer Drohnen und Präzisionslenkraketen) und Angriffsdrohnen.

Nicht Zermürbung, sondern verzweifelter Strategiewechsel

In dem Versuch, die Situation schönzureden, erklärten westliche Beamte und Analysten am Dienstag gegenüber der Washington Post, dass "das ukrainische Militär bisher einen auf Zermürbung basierenden Ansatz verfolgt, der hauptsächlich darauf abzielt, Schwachstellen in den russischen Linien zu schaffen". Das ist nicht korrekt.

Die ukrainischen Streitkräfte haben nicht auf Zermürbung gesetzt, sondern ihre Taktik dahin gehend geändert, dass sie mit kleinen Infanterie-Gruppen versuchen, die russischen Schützengräben zu durchdringen, und zwar aus purer Notwendigkeit. Die Führung mit Panzern funktioniert einfach nicht, und wenn die Ukraine weiterhin versucht hätte, große gepanzerte Angriffe zu unternehmen, wären weiterhin viele Soldaten gestorben.

Das Problem für Kiew ist, dass dieser "Ansatz" mit ziemlicher Sicherheit zum Scheitern verurteilt ist. Die militärische Geografie der Ukraine insgesamt ist durch offenes, flaches Gelände gekennzeichnet, das von dünnen Waldstreifen durchsetzt ist.

Da Russland den Luftraum beherrscht und über beträchtliche Drohnenkapazitäten verfügt, werden die ukrainischen Soldaten, sobald sie sich im offenen Gelände bewegen, sofort unter Artillerie- oder Mörserbeschuss gesetzt. Bewegen sich gepanzerte Fahrzeuge im offenen Gelände, werden sie ebenfalls schnell zerstört. Das Beste, was die ukrainische Armee tun kann, ist, eine kleine Anzahl von Infanteristen in Gräben einzuschleusen, in denen sich russische Truppen befinden.

Es geht nicht darum, dass Selenskyjs Truppen "langsam" vorankommen, sondern darum, dass sie auf dem Weg zur Asowschen Küste keines ihrer anfänglichen taktischen Ziele erreichen, und zwar genau deshalb, weil die für einen Sieg erforderlichen Kampfgrundlagen weitgehend (und in einigen Fällen ganz) fehlen. Sie verfügen einfach nicht über die personellen Ressourcen oder die physische Infrastruktur, die für einen Erfolg erforderlich sind.

Nun ist es immer möglich, dass Russland einen plötzlichen politischen Zusammenbruch erleidet, wie es 1917 geschah, und die Ukraine dennoch erfolgreich aus den Kämpfen hervorgeht. Das ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, und Kiew wäre schlecht beraten, seine Zukunftshoffnungen auf ein solches Ereignis zu gründen.

Ein weiterer Versuch würde tragischerweise dazu führen, dass noch mehr UAF-Truppen getötet und ukrainische Städte zerstört werden und die Aussichten auf Frieden immer weiter in die Ferne rücken.

Am Montag erklärte die stellvertretende Pressesprecherin des Pentagons, Sabrina Singh, dass die Ukraine "die Kampfkraft hat, um auf dem Schlachtfeld erfolgreich zu sein. Sie hat das, was sie braucht, um in der Gegenoffensive erfolgreich zu sein".

Ein derartiger Optimismus steht in keinem Verhältnis zu den Realitäten des Kampfes. Die Vereinigten Staaten sollten aufhören, schwammige Erklärungen abzugeben, und stattdessen damit beginnen, echte diplomatische Anstrengungen zu unternehmen, um diesen Krieg zu beenden.

Ich verstehe, dass alle wollen, dass die Ukraine gewinnt und Russland verliert. Aber wenn wir weiterhin auf diesem Wunsch beharren, wird sich an den tatsächlichen Gegebenheiten nichts ändern. Die größte Hoffnung für Selenskyj, dass die Ukraine aus diesem Krieg als politisch lebensfähig hervorgeht, besteht darin, einem Waffenstillstand zuzustimmen, damit Verhandlungen beginnen können.

Selbst das ist keine Erfolgsgarantie, aber je länger die Ukraine mit der Suche nach einem solchen Ergebnis zögert, desto größer ist die Chance, dass Russland weiter an Stärke gewinnt, um im Sommer oder Herbst eine eigene Offensive zu starten und möglicherweise sogar Charkiw oder Odessa einzunehmen.

Mit anderen Worten: Eine Pattsituation ist für Kiew vielleicht nicht das Schlimmste, was passieren kann. Jetzt ist es an der Zeit, den diplomatischen Weg zur Beendigung des Krieges zu beschreiten.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Hier finden Sie das englische Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Daniel L. Davis ist Senior Fellow für Defense Priorities beim Qincy Institute und ehemaliger Oberstleutnant der US-Armee, der 2015 nach 21 Jahren, darunter vier Kampfeinsätzen, in den Ruhestand ging. Er ist Autor von "The Eleventh Hour in 2020 America" und Redakteur bei 1945.