Warum die USA ihre Außenpolitik fundamental überdenken müssen
Seite 2: Mit Lügen und Angstmacherei in Kriege
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Dafür werde ein radikales, fundamentales Umdenken benötigt. Man müsse endlich zu der Einsicht kommen: Die ständige Kriegsführung von Vietnam über Afghanistan und Irak bis zur Unterstützung von aktuellen Kriegen wie in Gaza, bei denen diplomatischen Lösungen blockiert werden, sei falsch.
Ebenso müsse Schluss sein mit dem fatalen Hang, demokratische Regierungen zu stürzen und anderen Ländern unfaire Handelsregime aufzudrücken. All das habe das Ansehen der Vereinigten Staaten in der Welt, ihre nach außen vertretenen Werte und das Wohlergehen der amerikanischen Arbeiterklasse grundlegend geschädigt.
Sanders liefert dabei ein sehr genaues Kompendium der Fehler und Fehlausrichtungen der US-Außenpolitik über Parteigrenzen und Jahrzehnte hinweg.
Seit dem Zweiten Weltkrieg hätten beide Parteien mit der Verbreitung von Angst und Lügen die USA in "katastrophale und nicht zu gewinnende militärische Konflikte im Ausland verwickelt". In Südostasien seien dabei bis zu drei Millionen Vietnamesen, Kambodschaner und Laoten sowie mehr als 58.000 amerikanische Soldaten getötet worden.
Putsche und "Krieg gegen den Terror"
Dazu kämen Putsche wie im Iran, in Guatemala, im Kongo oder Chile, die von Washington durchgeführt oder unterstützt worden seien. Dem folgte später der von der Bush-Regierung gestartete "Globale Krieg gegen den Terror" in Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001.
Dabei wurden "fast zwei Millionen US-Soldaten und über acht Billionen Dollar" eingesetzt, abgesehen von den katastrophalen Kriegen in Afghanistan und im Irak – letzterer wurde dabei "auf einer glatten Lüge aufgebaut".
Aber aus den Desastern habe man nichts gelernt, so Sanders weiter:
Allein in den letzten zehn Jahren waren die Vereinigten Staaten an Militäroperationen in Afghanistan, Kamerun, Ägypten, Irak, Kenia, Libanon, Libyen, Mali, Mauretanien, Mosambik, Niger, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien, Tunesien und Jemen beteiligt. … Das US-Militär unterhält rund 750 Militärstützpunkte in 80 Ländern und verstärkt seine Präsenz im Ausland, da Washington die Spannungen mit Beijing verschärft.
Angstgegner China: Gescheitertes außenpolitische Gruppendenken
Die US-Politik gegenüber China sei ein weiteres Beispiel für ein "gescheitertes außenpolitisches Gruppendenken, das die Beziehungen zwischen den USA und China als Nullsummenspiel darstellt." China werde als das neue Schreckgespenst dargestellt – als eine existenzielle Bedrohung, die ein immer höheres Pentagon-Budget rechtfertigen soll. Wobei die US-Militärausgaben mit weit über einer Billion Dollar pro Jahr schon in der Stratosphäre angekommen sind.
Zugleich liefere der US-Präsident Joe Biden Milliarden an Dollar für militärische Ausrüstung an Israel, womit der Gazastreifen dem Erdboden gleichmacht werde, während man die rechtsextreme Netanjahu-Regierung bedingungslos verteidige. Damit stehe man faktisch allein inmitten der Staatengemeinschaft.
Den US-Kongress fordert Sanders schließlich auf, den militärisch-industriellen Komplex entschlossen zurückzudrängen und die empörende Profitmacherei der Rüstungskonzerne insbesondere vor dem Hintergrund der Ukraine-Unterstützung zu stoppen.
Dabei kommt der US-Senator aus dem Bundesstaat Vermont auch auf einen weiteren zentralen Punkt zu sprechen. So sei "Wirtschaftspolitik zugleich Außenpolitik", erklärt Sanders.
Konzerne und Milliardäre als Kriegstreiber
Denn solange Konzerne und Milliardäre das ökonomische und politische System kontrollierten, würden außenpolitische Entscheidungen von den materiellen Interessen dieser Gruppen angeleitet und nicht von den Bedürfnissen des größten Teils der Bevölkerung.
Daher brauche es einen radikalen Kurswechsel, so Sanders:
Wenn das Ziel der Außenpolitik darin besteht, eine friedliche und prosperierende Welt zu schaffen, muss das außenpolitische Establishment seine Annahmen grundlegend überdenken. … Billionen von Dollar für endlose Kriege und Rüstung auszugeben, wird die existenzielle Bedrohung durch den Klimawandel oder die Wahrscheinlichkeit künftiger Pandemien nicht beseitigen. Es wird nicht dazu beitragen, hungrige Kinder zu ernähren, den Hass zu verringern, Analphabeten zu unterrichten oder Krankheiten zu heilen. Es wird nicht dazu beitragen, eine gemeinsame Weltgemeinschaft zu schaffen und die Wahrscheinlichkeit von Kriegen zu verringern.
Sanders bringt in seinem Essay überzeugend auf den Punkt, warum es ein radikales Umdenken in der Art geben muss, wie die Vereinigten Staaten in der Welt global agieren. Im Kern verlangt er: statt Waffen und Krieg Diplomatie und internationale Zusammenarbeit. Nur so könne die Welt stabilisiert und besser gemacht werden.
Die aktuellen Eskalationen der Krisen von der Ukraine über den Nahen Osten bis Haiti, die steigenden Ausgaben für Kriege und das Militär, während der Sozialstaat vielerorts abgebaut wird, unter Druck gerät und damit Ungleichheit sowie Armut zunehmen, und die Unfähigkeit der USA, bei überlebenswichtigen Herausforderungen wie der Klimakrise und globaler Gerechtigkeit mit anderen Ländern kooperativ Lösungen zu finden, unterstreichen das.
Sicherlich macht eine Forderung noch keine "Revolution der amerikanischen Außenpolitik". Aber der Sanders-Artikel in Foreign Affairs zeigt, dass der Druck auf eine Neuausrichtung der amerikanischen Kriegspolitik zunimmt, die Kritik daran die politische Bühne betreten darf und selbst in Establishment-Kreisen artikuliert werden kann.
Ein erster Schritt, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Redaktionelle Anmerkung: An einer Stelle hieß es: "Die ständige Kriegsführung von Vietnam über Afghanistan und Irak bis zur Unterstützung von aktuellen Kriegen in der Ukraine bis Gaza, bei denen diplomatischen Lösungen blockiert werden, sei falsch." Tatsächlich kritisiert Bernie Sanders in seinem Artikel lediglich die US-Rüstungskonzerne, die den Ukraine-Krieg ausnutzen, um große Gewinne zu erzielen. Die Stelle wurde abgeändert.