Warum die USA selbst die Ukraine nicht als rote Linie akzeptierten

Bild: The Presidential Administration of Ukraine / CC BY 4.0

Man wollte schließlich Georgien und die Ukraine in die Nato aufnehmen. Die Warnungen von Liberalen, Hardlinern und Diplomaten wurden immer lauter. Doch Washington verschließt bis heute vor ihnen die Ohren. (Teil 2, Schluss)

Hier geht es zum ersten Teil des Artikels von Branko Marcetic über die Nato-Osterweiterung und die Warnungen davor, wie sie in diplomatischen Depeschen geäußert wurden.

Die Analysten wiederholten, was US-Beamte laut Depeschen immer wieder von russischen Beamten selbst hörten, seien es Diplomaten, Parlamentsabgeordnete oder hochrangige russische Beamte bis hinauf zum Präsidenten, was in mindestens drei Dutzend der Telegramme festgehalten ist.

Branko Marcetic schreibt für Jacobin, Washington Post und den Guardian.

Die Nato-Erweiterung sei "besorgniserregend", sagte ein Duma-Mitglied, während russische Generäle "den Absichten der Nato und der USA misstrauisch gegenüberstehen", heißt es dort. Der russische Botschafter bei der Nato von 2008 bis 2011, Dmitri Rogosin, betonte in einer Depesche vom Februar 2008, dass das Angebot eines Nato-Mitgliedsantrags an die Ukraine oder Georgien sich "negativ auf die Beziehungen der Nato zu Russland auswirken" und die "Spannungen entlang der Grenzen zwischen der Nato und Russland erhöhen" würde.

Von Liberalen zu Hardlinern

Der damalige stellvertretende russische Außenminister Grigorij Karasin unterstrich in einem anderen Telegramm vom März 2008 "die Tiefe des russischen Widerstands" gegen die Mitgliedschaft der beiden Länder und betonte, dass die "politische Elite fest davon überzeugt" sei, "dass der Beitritt der Ukraine und Georgiens eine direkte Sicherheitsbedrohung für Russland darstellt".

Die Zukunft, so Karasin, hänge von der "strategischen Entscheidung" ab, die Washington darüber treffe, "mit welcher Art von Russland" man es zu tun haben wolle – "einem Russland, das stabil und bereit ist, in aller Ruhe mit den USA, Europa und China zu diskutieren, oder einem, das zutiefst besorgt und voller Nervosität ist."

In der Tat warnten zahlreiche Beamte – darunter auch der damalige Direktor für Sicherheit und Abrüstung, Anatoli Antonow, der heute als russischer Botschafter in den Vereinigten Staaten fungiert –, dass ein Vorstoß zu einem weniger kooperativen Russland führen würde. Die Ausdehnung der Nato-Grenzen auf die beiden ehemaligen Sowjetstaaten "bedroht die Sicherheit Russlands sowie der gesamten Region und könnte sich auch negativ auf die Bereitschaft Russlands zur Zusammenarbeit im [Nato-Russland-Rat] auswirken", warnte ein Beamter des russischen Außenministeriums.

Andere verwiesen auf diese Politik, um Putins Drohungen, den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) aufzukündigen, zu erläutern. "Der KSE-Vertrag würde die Nato-Erweiterung nicht überleben", lautete eine russische Drohung in einer Depesche vom März 2008.

Am relevantesten waren vielleicht die Worte des russischen Außenministers Sergej Lawrow, damals ein erfahrener und im Westen respektierter Diplomat, der auch heute noch in diesem Amt tätig ist. In mindestens acht Depeschen – von denen viele, wenn auch nicht alle, von Burns verfasst wurden – werden Lawrows Äußerungen gegen eine Ausweitung der Nato auf die Ukraine und Georgien im Zeitraum 2007 bis 2008 dokumentiert. Das war zu einer Zeit, als mit Bushs Entscheidung, den künftigen Beitritt dieser Länder gegen den Widerstand der Verbündeten öffentlich zu bestätigen, zu einem Anstieg der Spannungen führte.

Während Russland den Erklärungen des Westens, die Nato sei nicht gegen Russland gerichtet, Glauben schenken mag, müssen die jüngsten militärischen Aktivitäten in den Nato-Ländern ... nicht nach den erklärten Absichten, sondern nach dem Potenzial bewertet werden,

… so Burns Zusammenfassung von Lawrows Jahresbilanz der Außenpolitik im Januar 2008. Am selben Tag warnte ein Sprecher des Außenministeriums, dass die "wahrscheinliche Integration der Ukraine in die Nato die vielschichtigen russisch-ukrainischen Beziehungen ernsthaft verkomplizieren" und Moskau dazu veranlassen würde, "geeignete Maßnahmen zu ergreifen". Burns schrieb:

Russlands Widerstand gegen den Nato-Beitritt der Ukraine und Georgiens ist nicht nur emotionaler Natur, sondern beruht auch auf wahrgenommenen strategischen Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf Russlands Interessen in der Region.

Burns fuhr fort:

Während der russische Widerstand gegen die erste Runde der Nato-Erweiterung Mitte der 1990er Jahre sehr stark war, sieht sich Russland nun in der Lage, energischer auf Handlungen zu reagieren, die seiner Meinung nach seinen nationalen Interessen zuwiderlaufen.

Lawrows Kritik wurde von einer Reihe anderer Beamter geteilt, von denen nicht alle zu den Hardlinern gehörten. Burns erinnerte sich an ein Treffen mit dem ehemaligen Premierminister Jewgeni Primakow, einem Protegé Gorbatschows, der die erste Nato-Erweiterung mit der damaligen Außenministerin Madeleine Albright ausgehandelt hatte, die ihn Jahre später in höchsten Tönen als Pragmatiker lobte.

Das Drängen der USA auf einen Nato-Mitgliedsantrag für Georgien und die Ukraine "‘verärgerte‘ die Russen und bedrohte andere Bereiche der strategischen Zusammenarbeit zwischen den USA und Russland", sagte Primakow laut Burns, wobei er erwähnte, dass Primakow später am selben Tag im Fernsehen gefragt wurde, ob er den Status der Krim als ukrainisches Gebiet überdenken wolle.

Das ist die Art von Diskussion, die die Antragsstellung hervorbringt,

… sagte er – und meinte damit, dass sie nationalistische und Hardliner-Stimmungen anheizt.

Primakow sagte, Russland werde nie wieder in die Ära der frühen 1990er Jahre zurückkehren, und es wäre ein "kolossaler Fehler" zu glauben, dass die russischen Reaktionen heute denen aus der Zeit der strategischen Schwäche entsprechen würden,

…. heißt es in Burns Depesche.

Diese Überzeugung wurde von der Führung geteilt, wie US-Beamte in Depeschen feststellten, in denen sie auf eine berühmt-berüchtigte Rede Putins auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 reagierten, in der Putin die Nato-Erweiterung und andere politische Maßnahmen als Teil eines umfassenderen, destabilisierenden Missbrauchs des Status als einzige Supermacht durch die USA angriff.

Putins Tonfall mag "ungewöhnlich scharf" gewesen sein, so Primakow gegenüber Burns, aber der Inhalt spiegelte "alte russische Beschwerden aus der Zeit vor Putins Wahl wider", was sich darin zeige, dass "Duma-Mitglieder die Rede fast einstimmig unterstützten".

Ein Jahr später berichtete eine Depesche vom März 2008 über das zweistündige Abschiedstreffen Putins mit der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, bei dem er sich "nachdrücklich" gegen den Nato-Mitgliedsantrag für die Ukraine und Georgien aussprach.

Putins Ausscheiden

Alle Illusionen, dass sich diese Haltung mit dem Ausscheiden Putins aus dem Präsidentenamt auflösen würde, wurden schnell zerstreut. Die Warnungen wurden fortgesetzt und sogar noch verstärkt, nachdem Putin von seinem liberalen Nachfolger Dmitri Medwedew als Präsident Russlands abgelöst wurde, dessen Aufstieg Hoffnungen auf ein demokratischeres Russland und eine Verbesserung der amerikanisch-russischen Beziehungen weckte.

Unter Medwedew sprachen Offizielle – vom russischen Botschafter bei der Nato über verschiedene Beamte im Außenministerium bis hin zum Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten – weitgehend dieselben Warnungen aus, wie aus Depeschen hervorgeht. In einigen Fällen, wie bei Karasin und Lawrow, waren es dieselben Personen, die die schon lange bestehenden Missstände zur Sprache brachten.

Medwedew selbst "wiederholte auf seiner ersten Europareise im Juni 2008 gegenüber Merkel bekannte russische Positionen zur Nato-Erweiterung", auch wenn er es vermied, die Mitgliedschaft für die Ukraine und Georgien konkret anzusprechen.

Hinter Medwedews höflichem Auftreten blieb die russische Opposition gegen die Nato-Erweiterung nach Ansicht konservativer und gemäßigter Beobachter eine rote Linie,

… heißt es in einem Telegramm vom Juni 2008. Eine Ansicht, die von einem führenden liberalen Analysten geteilt wurde. Sogar Kritiker auf der rechten Seite deuteten Medwedews Worte als "implizite Verpflichtung, die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Hebel Russlands einzusetzen, um die Kosten für die Ukraine und Georgien in die Höhe zu treiben", wenn diese sich dem Bündnis annäherten.

Der Autor der Depesche, der damalige stellvertretende Missionschef der US-Botschaft in Moskau, Daniel Russell, kam zu dem Schluss, dass er "mit der allgemeinen Lesart übereinstimmt".

Im August 2008, nach dem Krieg mit Georgien, klang Medwedew schon viel mehr wie sein Vorgänger, drohte mit dem Abbruch der Beziehungen zum Bündnis und beklagte erneut die Einkreisung.

In einer Depesche nach dem Ende des fünftägigen Krieges zwischen Russland und Georgien, für dessen Ausbruch später in einem von der EU in Auftrag gegebenen Bericht die georgische Regierung verantwortlich gemacht wurde, hieß es, dass "selbst die prowestlichsten politischen Experten" mit dem Finger auf die USA zeigten, weil sie die amerikanisch-russischen Beziehungen gefährdeten – wobei die Zurückweisung der Bedenken Russlands u. a. in Hinsicht auf eine Nato-Erweiterung durch die USA ein wichtiger Teil ihrer Analyse war.

In Anlehnung an Burns argumentierte ein Analyst, dass Russland sich endlich "stark genug fühle, um dem Westen die Stirn zu bieten", wenn man die dortigen Bedenken ignoriere.

Diese Sorgen standen Monate später bei einem Runden-Tisch-Gespräch russischer Analysten im Mittelpunkt – wie aus einer Depesche vom Januar 2009 hervorgeht –, die einer Gruppe von US-Kongressabgeordneten, die zu Besuch waren, die "tiefe Verärgerung" Russlands über die US-Regierung erklärten und betonten, dass die "bittere Abtrennung", wie sie zwischen Russland und Georgien stattgefunden habe, noch hässlicher im Fall der Ukraine werde.

Die Forderung nach einem Nato-Beitritt für das Land habe " den 'Amerikahassern' in Russland geholfen, an die Macht zu kommen, und der Vision der Hardliner von einer 'Festung Russland' Legitimität verschafft", so ein russischer Analyst.

Aus den Depeschen geht hervor, dass solche Warnungen zunehmend von Liberalen kamen, selbst von solchen, die die Nato und die Vereinigten Staaten zuvor nicht als Russlands größte Bedrohung angesehen hatten.

In einem Telegramm vom August 2008 wird ein Treffen mit dem Botschafter des russischen Menschenrechtsbeauftragten, Wladimir Lukin, beschrieben. Der wird als "ein Liberaler in der russischen politischen Szene, jemand, der der Zusammenarbeit mit den USA zugeneigt ist", beschrieben. Lukin habe Medwedews Anerkennung der Unabhängigkeit der abtrünnigen georgischen Regionen nach dem Krieg, die er zunächst abgelehnt hatte, als sicherheitsorientierte Reaktion auf das Vordringen der Nato an die Grenzen Russlands erklärte.

Da Eskalationen wie das Raketenschutzabkommen zwischen den USA und Polen von 2008 zeigten, dass die russlandfeindlichen Aktionen "nicht aufhören würden", sagte er, "musste Moskau zeigen, dass es wie die USA Schritte unternehmen kann und wird, die es zur Verteidigung seiner Interessen für notwendig hält".

Die Depesche kam zu dem Schluss, dass Lukins Ansichten "das Denken der Mehrheit der russischen außenpolitischen Elite widerspiegeln".

Wie der Ukraine die Nato verkauft wurde

Mit Ausnahme von Burns, dessen Memos aus der Bush-Ära – in denen er vor dem Ausmaß des russischen Widerstands gegen die Nato-Erweiterung und davor warnte, dass diese eine verstärkte Einmischung in der Ukraine provozieren würde – seit der russischen Invasion berühmt geworden sind, reagierten die US-Beamten weitgehend mit Ablehnung.

Russische Einwände gegen die Politik und Hinweise auf andere seit langem schwelende Probleme wurden in den Depeschen immer wieder als "oft gehört", "alt", "nichts Neues" und "weitgehend vorhersehbar" beschrieben, oder als "vertraute Litanei" und "Aufwärmung", die "wenig neue Substanz" biete.

Sogar die Position des Nato-Verbündeten Norwegen, dass es die russischen Einwände verstehe, obwohl es sich weigere, ein Veto gegen die Maßnahmen der Allianz einzulegen, wurde als ein Fall von "Nachplappern der russischen Linie" bezeichnet.

Ähnlich abweisend reagierten US-Beamte auf ausdrückliche Warnungen – von Kreml-Beamten, Nato-Verbündeten, Experten und Analysten, ja sogar von der ukrainischen Führung –, dass die Ukraine "in Bezug auf die Nato-Mitgliedschaft innerlich gespalten" sei und dass die öffentliche Unterstützung für den Schritt "noch nicht ganz ausgereift" ist.

Die Ost-West-Spaltung innerhalb der Ukraine in Bezug auf die Idee der Nato-Mitgliedschaft sei "riskant", warnten deutsche Beamte, und könne "das Land spalten". Die drei führenden ukrainischen Politiker verträten alle "außenpolitische Positionen, die auf innenpolitischen Erwägungen beruhten und wenig Rücksicht auf die langfristigen Auswirkungen auf das Land nehmen", sagte einer.

Und es waren genau diese Politiker, die zugleich deutlich machten, dass die öffentliche Meinung nicht hinter einem Nato-Beitritt stehe, darunter der antirussische ehemalige ukrainische Außenminister Wolodymyr Ogryzko oder der russlandfreundlichere Ex-Ministerpräsident Viktor Janukowitsch – der später irreführend als Kreml-Marionette dargestellt und bei den Maidan-Protesten 2014 als Präsident abgesetzt wurde. Janukowitsch prahlte gegenüber einem US-Diplomaten damit, dass die Unterstützung für die Nato unter seiner Amtszeit sprunghaft angestiegen sei.

Wie aus den Depeschen hervorgeht, drängten Nato-Beamte daraufhin die ukrainische Führung, sich in der Öffentlichkeit klar für einen Beitritt auszusprechen, und erörterten, wie man die ukrainische Bevölkerung überzeugen könnte, "damit sie dem Beitritt gegenüber positiver eingestellt ist". Ogryzko teilte Merkel später mit, dass "eine Kampagne zur Aufklärung der Öffentlichkeit bereits im Gange ist" und dass die Ukraine "die Frage der Aufklärungskampagnen mit der Slowakei und anderen Staaten, die der Nato kürzlich beigetreten sind, erörtert hat".

Das geschah trotz der allseits anerkannten Risiken. In den Depeschen heißt es, liberale russische Analysten hätten davor gewarnt, "dass [der damalige ukrainische Präsident Viktor] Juschtschenko die Nato-Mitgliedschaft benutze, um eine ukrainische nationale Identität zu stärken, bei der es erforderlich sei, Russland als Feind zu porträtieren", und dass "die Nato-Mitgliedschaft, die in der ukrainischen Innenpolitik nach wie vor zu Spaltungen führe, die Schwelle für Russland absenke, zu intervenieren".

Experten sagen uns, dass Russland besonders besorgt darüber ist, dass die starke Spaltung der Ukraine in Bezug auf die Nato-Mitgliedschaft, bei der ein Großteil der ethnisch-russischen Gemeinschaft gegen die Mitgliedschaft ist, zu einer größeren Spaltung führen könnte, die Gewalt oder schlimmstenfalls einen Bürgerkrieg zur Folge hätte,

schrieb Burns im Februar 2008. Russland, so schrieb er weiter, müsste dann "entscheiden, ob es eingreift; eine Entscheidung, der sich Russland nicht stellen möchte".

Trotz der ablehnenden Haltung vieler US-Beamter war Teilen des nationalen Sicherheitsapparats der USA klar, dass es sich bei den russischen Einwänden nicht um bloßes "Muskelspiel" handelte. Die Ängste des Kremls vor einem "direkten militärischen Angriff auf Russland" seien "sehr real" und könnten die russische Führung zu überstürzten, selbstzerstörerischen Entscheidungen veranlassen, heißt es in einem Bericht der vom Pentagon finanzierten Rand Corporation aus dem Jahr 2019, in dem vor dem Hintergrund einer Überforderung Russlands diverse Strategien untersucht wurden.

"Die Bereitstellung von mehr US-Militärausrüstung und Beratung" für die Ukraine könnte Moskau dazu veranlassen, "mit einer neuen Offensive zu reagieren und weiteres ukrainisches Territorium zu erobern" – was nicht unbedingt gut für die Interessen der USA ist, geschweige denn für die der Ukraine, so der Bericht.

Warnungen ignoriert

In den Jahren, Monaten und Wochen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 haben die verschiedenen US-Regierungen jedoch den gleichen Kurs verfolgt.

Die Zusammenarbeit der Ukraine mit der Nato hat sich "im Laufe der Zeit vertieft", wie das Bündnis heute selbst sagt. Bis zum Ausbruch des Krieges beherbergte das Land häufig westliche Truppen auf einem Militärstützpunkt. Ukrainische Soldaten haben eine Nato-Ausbildung erhalten. Es wurden zwei neue, mit der Nato verbundene Marinestützpunkte geplant.

Das Land erhielt Rekordsummen an US-Militärhilfe, darunter auch Angriffswaffen – eine Politik, die der frühere Präsident Donald Trump und sein liberaler Vorgänger ausdrücklich ablehnten, aus Sorge davor, damit eine katastrophale Reaktion Moskaus zu provozieren.

Drei Monate vor der russischen Invasion unterzeichneten die Ukraine und die Vereinigten Staaten eine aktualisierte Charta zur strategischen Partnerschaft, die sich an Bushs umstrittener Bukarester Erklärung orientierte und sowohl die Sicherheitszusammenarbeit zwischen den beiden Ländern vertiefte als auch die Beitrittsbestrebungen der Ukraine unterstützte, was in Moskau als Eskalation angesehen wurde.

Mit der Zunahme der militärischen Aktivitäten der USA in der Region seit 2016, die auch die Ukraine und Georgien einbezogen, haben sich die Spannungen zwischen der Nato und Russland verschärft. Während Moskau sich öffentlich gegen US-Missionen in Europa aussprach, die von Experten als zu provokativ angesehen wurden, kam es zu Tausenden von gefährlichen militärischen Zusammenstößen zwischen Nato und russischen Streitkräften in der Region und anderswo.

Im Dezember 2022, als die Angst vor einer Invasion zunahm, erklärte Putin gegenüber Biden persönlich, dass "die Osterweiterung der westlichen Allianz ein wichtiger Faktor für seine Entscheidung war, Truppen an die ukrainische Grenze zu entsenden", wie die Washington Post berichtete.

All das bedeutet nicht, dass andere Faktoren beim Ausbruch des Krieges keine Rolle spielten, angefangen bei dem innenpolitischen Druck in Russland und Putins begrenzter Sichtweise auf die ukrainische Unabhängigkeit bis hin zu den zahlreichen anderen bekannten russischen Klagen gegenüber dem US-Kurs, die immer wieder in den diplomatischen Aufzeichnungen auftauchen.

Es bedeutet auch nicht, wie die Falken argumentieren, dass damit Putins Krieg in irgendeiner Weise "gerechtfertigt" wird. Genauso wenig werden Terrorakte legitimiert, wenn darauf verwiesen wird, wie die US-Außenpolitik den anti-amerikanischen Terrorismus angeheizt hat.

Die Behauptung, die russische Unzufriedenheit über die Nato-Ausdehung sei irrelevant, ein bloßes "Feigenblatt" für reinen Expansionismus oder einfach nur Kreml-Propaganda, wird jedoch durch diese lange historische Aufzeichnung widerlegt.

Vielmehr haben die wechselnden US-Regierungen dieselbe Politik vorangetrieben, obwohl sie jahrelang ausführlich gewarnt wurden – auch von den sie beratenden Analysten, Verbündeten und sogar von ihren eigenen Beamten –, dass dieser Kurs dem russischen Nationalismus Vorschub leisten, ein noch feindseligeres Moskau schaffen, Instabilität und sogar einen Bürgerkrieg in der Ukraine befördern und schließlich zu einer russischen Militärintervention führen könnte, was schließlich auch geschah.

"Ich akzeptiere keine rote Linie", sagte Biden im Vorfeld der Invasion, als seine Regierung Verhandlungen mit Moskau über den Nato-Status der Ukraine ablehnte. Wir können nur mutmaßen, in welch einer Welt er und seine Vorgänger ein derartige Linie akzeptieren würden.

Dieser Artikel wird von Globetrotter in Zusammenarbeit mit dem American Committee for U.S.-Russia Accord veröffentlicht. Den ersten Teil des Artikels finden Sie hier auf Telepolis. Übersetzung: David Goeßmann