Warum immer mehr Muslime auch nach dem Tod zu Deutschland gehören

Für viele Muslime in Deutschland führte der letzte Weg lange Zeit auf einen Friedhof im Ausland. Doch selbst im CSU-regierten Bayern wird für Muslime nun einfacher, ihre Toten in deutscher Erde zu bestatten

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Der Tote wird rituell gewaschen, sein Körper in ein weißes Leinentuch gewickelt und nach dem Sprechen des Totengebetes auf der rechten Schulter liegend mit Gesicht Richtung Mekka auf dem nächstgelegenen Friedhof beerdigt. Eigentlich ist der islamische Bestattungsritus nicht besonders kompliziert. Doch lange Zeit scheiterten Muslime in Deutschland beim Bestatten ihrer Toten an deutschen Gesetzen und Friedhofsverordnungen.

Historischer Tag für Muslime und Juden in Bayern

In Bayern soll sich das nun ändern. Nach jahrelanger Diskussion hat der Bayerische Landtag am 9. Oktober die Möglichkeiten sargloser Bestattungen im Freistaat deutlich erweitert. Die Abgeordneten beschlossen, dass zukünftig auch Bestattungen aus "aus religiösen und weltanschaulichen Gründen" zulässig sind, sofern "öffentliche Belange dem nicht entgegenstehen".

Wie bedeutsam diese kleine Änderung im Bestattungsrecht für viele Menschen im Land ist, brachte im Anschluss Arif Tasdelen zum Ausdruck. Von einem "historischen Tag für Muslime und Juden in Bayern" sprach der SPD-Abgeordnete.

Dem "historischen Tag" voraus ging allerdings eine fast zehn Jahre andauernde Debatte. Neben der politischen Opposition aus SPD und Grünen sowie muslimischen und jüdischen Gemeinden hatten sich zuletzt auch die beiden großen Kirchen für eine Liberalisierung der Bestattungsregeln im Land ausgesprochen. Mehrmals hatte sich der bayerische Landtag mit Initiativen zur Lockerung der Sargpflicht befasst.

Die CSU-Landesregierung hatte diese bisher abgelehnt und sich dabei auf unter anderem auf eine "gewachsene Bestattungskultur" berufen. Offener hatte sich hingegen der Koalitionspartner der "Freien Wähler" gezeigt, von dem auch die nun erfolgreiche Gesetzesinitiative stammte.

Nur Sachsen und Sachsen-Anhalt halten an der Sargpflicht fest

Mit seiner Lockerung der Sargpflicht folgt Bayern einem Trend, der Muslimen fast überall in der Bundesrepublik mehr Freiheiten bei der Bestattung ihrer Angehörigen verschafft. Die meisten Bundesländer haben sich in den vergangenen Jahren von der Sargpflicht verabschiedet.

In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland können Kommunen und Friedhofsbetreiber selbst über den Umgang mit Bestattungen nach islamischen Ritual entscheiden. Einzig in Sachsen und Sachsen-Anhalt bleiben Beerdigungen im Sarg weiterhin obligatorisch.

Die Frage, ob der Tote seine letzte Ruhe im Tuch oder im Sarg finden soll, ist nicht die einzige, die Muslime und deutsche Mehrheitsgesellschaft unterscheidet. Die Unterschiede reichen von der rituellen Waschung der Angehörigen, über das Totengebet (unter freiem Himmel oder in der Kapelle), bis zur Frage, wer die Erde auf den Leichnam schüttet (Angehörige oder Friedhofsmitarbeiter).

Abgesehen von der Sargpflicht sind es vor allem drei Rituale, die viele Muslime bei der Beerdigung ihrer Toten in Deutschland Probleme bereiten:

  1. Nach islamischer Tradition sollen Tote innerhalb von 24 Stunden beerdigt werden. In den meisten Bundesländern sehen Bestattungsgesetze allerdings eine Mindestdauer zwischen Tod und Beerdigung von 48 Stunden vor. Auch der bürokratische Aufwand, der mit dem Tod eines Menschen verbunden ist, lässt eine Bestattung innerhalb von 24 Stunden in Deutschland oftmals nicht zu.
  2. Im Islam gilt die ewige Totenruhe. Das heißt: Verstorbene sollen möglichst für immer in ihrem Grab liegen bleiben. Aus Kosten- und Platzgründen ist es in Deutschland hingegen üblich, dass Gräber nach rund 20 Jahren eingeebnet und für neue Begräbnisse genutzt werden.
  3. Da muslimische Gräber immer in Richtung Mekka zeigen, fügen sie sich nicht in die Anordnung auf deutschen Friedhöfen, auf denen die Gräber in der Regel einfach parallel zur Grundstücksgrenze oder zum nächstgelegen Weg ausgerichtet sind.

Die Schwierigkeit dabei, tote Angehörige nach islamischen Brauch in Deutschland zu beerdigen, ist einer der Gründe dafür, dass unter Muslimen in Deutschland ein Bestattungsritual weit verbreitet ist, das weder im Koran noch in deutschen Bestattungsgesetzen vorgesehen ist: der Flug ins Ausland. Noch vor zehn Jahren ließen rund 90 Prozent aller in Deutschland lebenden Muslime ihre Toten im Ausland beerdigen.

Das liegt zwar oftmals auch an der Verbundenheit mit der alten Heimat, dem Umstand, dass beispielsweise türkische Verwandte nur schwer nach Deutschland einreisen können oder sogar an geringeren Kosten. Dass der Wert nach verschiedenen Schätzungen in den letzten Jahren auf rund 50 bis 60 Prozent gesunken ist, liegt aber auch daran, dass sich Friedhofsbetreiber und Gesetzgeber zunehmend um islamfreundlichere Regelungen bemühen.

Über 500 muslimische Grabfelder in Deutschland

So gibt es mittlerweile in Deutschland über 500 muslimische Grabfelder - entweder als abgetrennter Teil bestehender christlicher Friedhöfe oder als eigene rein islamische Friedhöfe. Auf immer mehr Friedhöfen haben Muslime und andere außerdem die Möglichkeit Ruhezeiten auch nach 20 Jahren immer wieder zu verlängern oder ihre Toten in "Ewigkeitsgräbern" zu bestatten.

Auf der anderen Seite gehen auch immer mehr Muslime flexibler mit den eigenen Bestattungsritualen um und bestatten ihre Angehörigen beispielsweise zusätzlich zum Tuch in einem schlichten Holzsarg.

Dass tote Muslime trotz vieler Liberalisierungen dennoch noch nicht ganz selbstverständlich zu Deutschland gehören, zeigt aber auch das Beispiel Bayern. Eine frühere Gesetzesinitiative der Grünen, die neben der Aufhebung der Sargpflicht auch eine Abschaffung der 48-Stunden-Frist und die Möglichkeit der Vergabe von Ewigkeitsgräbern vorsah, lehnte die CSU-Regierung ab.