Was bleibt vom Bernie-Hype?
In den USA gestand ein Mann seine Niederlage ein, der monatelang von linken Reformern auch hierzulande zum linken Hoffnungsträger hochstilisiert wurde - Ein Kommentar
Bernie Sanders hat nun auch offiziell erklärt, dass er sich aus dem Kampf um die Vorwahlen zurückzieht und seinen Kontrahenten Biden die Unterstützung im Kampf gegen Trump zugesagt. Nun gehört dieses Bekenntnis zu den Ritualen bei US-Vorwahlen. Tatsächlich trifft Trump jetzt auf seinen Wunschkandidaten, der genau wie vor vier Jahren Hillary Clinton aus dem alten Polit-Establishment kommt, das sehr darauf erpicht ist, dass nur wenige dort hineinkommen.
Viel Emotionen wenig Inhalt
Oft werden in den USA Wahlkämpfe als Auseinandersetzung zwischen alten etablierten Kräften und Newcomern, die an ihre Stelle treten wollen, zelebriert. Sehr gut kann man das in dem Film Streetfight sehen, der den Wahlkampf zwischen zwei Bewerbern für die Bürgermeisterwahl in einer US-Großstadt dokumentiert. Man bekommt mit, wie viele Emotionen da auf beiden Seiten bei den Anhängern im Spiel sind und um wie wenig politische Inhalte es dabei geht. Tatsächlich verlor der Newcomer den Streetfight und während seine Anhänger noch sichtbar niedergedrückt und traurig sind, stimmte der Unterlegene schon auf den Kampf vier Jahre später ein. Dann wurde er tatsächlich Bürgermeister, Jahre später Senator und für kurze Zeit war er sogar Präsidentschaftsbewerber.
Für Sanders dürfte es wohl keinen neuen Versuch geben, denn er ist altersmäßig kein Newcomer, sondern gehört als Parteiloser nicht zu den Menschen, die im Parteiapparat verankert sind. So tritt nun nach Clinton mit Joe Biden erneut eine Person an, die genügend Skandale verursacht hat. Das ist für den Apparat immer vorteilhaft, weil solche Menschen natürlich auch die Skandale der Anderen nicht ansprechen. Das Bonmot, wer im Glashaus sitzt, wirft nicht mit Steinen, trifft hier zu. Personen über die genügend belastendes Material ausgebreitet werden kann, machen mit beim üblichen Spiel und ändern nichts am Spielplan und Verlauf.
Von Biden ist nicht nur bekannt, dass er in der Ukraine seinen Sohn auf einen lukrativen Posten brachte, sondern dass er sich wahrscheinlich mehr als Trump in die dortige Politik einmischte. Sogar mit einem versuchten Mordanschlag auf den ehemaligen ukrainischen Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin wird Biden in Verbindung gebracht, nicht von Trump, sondern von Schokin selber.
Wiktor Schokin und Joe Biden, Vizepräsident der USA unter Obama und derzeit demokratischer Kandidat bei den US-Präsidentschaftswahlen, verbindet eine langjährige Feindschaft. Im Januar 2018 hatte Joe Biden bei einer Veranstaltung des Council on Foreign Relations, die online abrufbar ist, geprahlt, wie er 2016 mit Präsident Petro Poroschenko und Premier Arsen Jazenjuk über Generalstaatsanwalt Schokin gesprochen habe.
Bernhard Clasen
Die Zusammenhänge werden sich wahrscheinlich nie ganz klären lassen (Ukraine: Die subtile Außenpolitik der USA. Ex-Vizepräsident Biden plaudert reflexionslos darüber, wie man in Washington eigene Interessen durchsetzt). Doch Biden ist eben mit seinen vielen Skandalen ein handhabbarer Kandidat für den Parteiapparat. Das war der große Unterschied zu seinem Konkurrenten. Sanders war im Apparat nicht verhasst, weil dort jemand glaubte, er würde die USA sozialistisch machen, sondern weil er ohne bekannte Skandale und Affären schwerer beeinflussbar gewesen wäre. Das ist der zentrale Grund, warum ein Präsidentschaftskandidat Sanders unbedingt verhindern werden sollte, vor 4 Jahren genauso wie 2020.
Sanders hätte seine Basis enttäuschen müssen
Das sehen seine vor allem jüngeren Fans natürlich anders. Für sie stand Sanders tatsächlich für eine andere Politik, und sie werden jetzt enttäuscht sein, dass ihr Idol jetzt sogar versucht, ihnen Biden schmackhaft zu machen. Doch die Enttäuschung wäre ebenso erfolgt, wenn Sanders Präsidentschaftskandidat geworden und womöglich sogar gewonnen hätte. Er hätte dann notwendigerweise viele seiner Anhänger, die seine Versprechen von sozialer Gerechtigkeit ernst genommen haben, enttäuschen müssen. Aber nicht deshalb, weil er persönlich ein Lügner und Betrüger ist, sondern weil die kapitalistische Profitlogik ein solch ambitioniertes Reformprogramm, das die Lebensbedingungen vieler Menschen verbessert hätte, nicht zulässt.
Diese Erfahrung mussten in den letzten Jahrzehnten schon viele reformistische Politiker machen, man braucht nur Oskar Lafontaine und Francois Mitterand nennen. Wenn die Reformpolitiker ihre Versprechen tatsächlich ernst nehmen, sorgt schon die stumme Macht der Ökonomie dafür, dass sie nicht umgesetzt werden können.
Sanders ist in keinem Parteiapparat, aber lange genug in der Politik, dass er um diese Zusammenhänge weiß. Daher dürfte ihm gar nicht so schwergefallen sein, seine Fans schon jetzt zu enttäuschen und seinen Rückzug von der Kandidatur bekannt zu geben. Er hätte schließlich bis zum Convent der Demokraten weiter im Rennen bleiben und dann sogar als Unabhängiger antreten können. Doch jetzt kann ihm zumindest niemand vorwerfen, er hätte das Anti-Trump-Lager gesplittet und Biden nötige Stimmen weggenommen.
Für die meist jungen Sanders-Anhänger könnte der Rückzug den Vorteil haben, dass sie sich näher mit dem Zusammenhang von Ökonomie und Politik beschäftigten und feststellen, dass ein ambitioniertes Reformprogramm nicht auf dem Wahlzettel angekreuzt werden kann. Sie machen damit eine Erfahrung, die vor mehr als 100 Jahren viele politisch aktive Arbeiter in Deutschland und anderen Ländern machten, die sich damals für eine Rätegesellschaft engagierten.
Der Bericht über die Berliner Unterstützerszene für Sanders in der Wochenzeitung Freitag vor einigen Wochen zeigt, dass es da vielen eben nicht nur um Wahlen ging.
An einem Dienstagabend hat Germany for Bernie zu einem Podiumsgespräch geladen, um über Sanders und seine Bewegung zu informieren, Wähler zu gewinnen, und neue Aktivisten zu rekrutieren. Über 100 Leute drängen sich in ein kleines Vereinslokal in Kreuzberg, sie sitzen am Boden, stehen an Wände gelehnt. In einem Regal türmt sich marxistische Literatur, daneben hängt ein wandfüllendes Schwarz-Weiß-Foto vermummter 68er. Darunter sitzt das Idol der hiesigen, jungen amerikanischen Linken, ein älterer jüdischer Sozialist aus den USA. Nicht Bernie Sanders, sondern Victor Grossmann. In den USA geboren, lief er 1952 in die DDR über. An diesem Abend erzählt er von der Geschichte des Sozialismus in den USA. Der Vortrag ist ein wenig zäh, doch das junge Publikum hört gebannt zu.
Der Freitag
Es ist schon merkwürdig, dass in einer Zeit, wo immer wieder behauptet wird, junge Leute könnten mit dem Begriff Sozialismus nichts mehr anfangen und deshalb sogar im express, eines der letzten Medien der undogmatischen Linken, diskutiert wird, ob sie auf den traditionsreichen Untertitel "Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit" verzichten sollen, Anhänger von Bernie Sanders gebannt zuhören, wenn ein Zeitzeuge über die Geschichte der sozialistischen Bewegung in den USA berichtet. So entsteht Hoffnung, dass die Sanders-Fans nicht einfach ihr Kreuz bei Biden machen, sondern sich tatsächlich theoretisch und praktisch mit den Problemen der sozialistischen Transformation einer spätkapitalistischen Gesellschaft befassen.
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