Was bleibt vom Kommunismus?
Als Schreckgespenst wird er heute wieder gebraucht - was steht auf der positiven Seite?
Für die herrschenden Medienmacher und Politiker ist klar, was man unter Kommunismus zu verstehen hat: Den gab es knapp vierzig Jahre in der DDR. Er bedeutete Mangelwirtschaft, Mauer und Tristesse. Keine Rolle spielte dabei, dass sich die führende Partei dort gar nicht kommunistisch, sondern sozialistisch nannte.
Auch interessierte dabei nicht, dass sich die DDR noch gar nicht im Kommunismus angekommen sah, sondern in seiner Vorstufe, dem Sozialismus. Und es war sogar lediglich der "reale" Sozialismus, noch nicht der wirkliche. Kommunismus hingegen – das war etwas für die ferne Zukunft.
Aber als Schreckgespenst wird der Kommunismus heute wieder gebraucht. Medien und Politik nutzen es, um vor dem Aufstieg Chinas zu warnen. Deshalb wird immer häufiger von "den" Kommunisten Chinas gesprochen, wo doch eigentlich die Regierung der Volksrepublik gemeint ist. Peking ist an die Stelle Moskaus getreten.
Die Perspektive der Linken
Doch wie steht es um die Linken im Westen? Welche Bedeutung hat der Begriff Kommunismus noch für sie? Da gibt es zunächst ein Paradox zu beobachten: Je häufiger bürgerliche Medien und Politiker von China als kommunistisch regiertem Land sprechen, umso seltener tun dies westliche Linke.
Für sie ist das Land weder kommunistisch noch sozialistisch – was die chinesische Führung übrigens auch gar nicht bestreitet. Für diese Linken befindet sich das Land nicht einmal mehr auf dem Weg zum Sozialismus, es ist schlicht kapitalistisch, wenn nicht gar imperialistisch.
Auch die von kommunistischen Parteien regierten Länder Kuba und Vietnam sehen die Linken nicht mehr auf dem Pfad der Tugend. Kommunismus ist nur noch die Beschreibung einer Utopie, einer Vorstellung, die noch nicht Wirklichkeit ist und von der niemand weiß, ob sie jemals Realität wird.
Und doch gibt es weiterhin Parteien, die sich kommunistisch nennen – etwa in Frankreich, Österreich, Griechenland, Portugal, Italien, Japan. In Deutschland existiert die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), in Belgien gibt es die Partei der Arbeit, die sich als kommunistisch versteht.
Wo diese Parteien über Einfluss verfügen, etwa in Kommunen, Gewerkschaften oder gar auf nationaler Ebene, kann ihre Politik als sozialdemokratisch im traditionellen Sinne beschrieben werden – was heute bereits viel ist!
Gewählt werden kommunistische Parteien, ob in Pariser Vorstädten, in Lissabon, Andalusien, griechischen Dörfern, Tokio oder in Graz, aus Anhänglichkeit gegenüber einer traditionellen Organisation, die man kennt und der man zutraut, die Interessen der "kleinen Leute" zu vertreten, aber auch aus Wertschätzung gegenüber der Integrität und Volksnähe ihrer Politiker.
Das Eigentliche, das Besondere, das das Kommunistische ausmacht, tritt allerdings immer weiter in den Hintergrund, verblasst zu einem fernen Schein. Forderungen nach einer klassenlosen Gesellschaft oder nach einer zu schaffenden "Assoziation", die an die "Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt"1, wie es im Kommunistischen Manifest heißt, sind nur noch schöne Worte ohne jeden Anknüpfungspunkt in der Gegenwart.
Kommunismus nach Marx und Engels
Warum aber klingen die Vorstellungen von einer kommunistischen Gesellschaft heute so weltfremd? Zur Erklärung ist daran zu erinnern, dass Marx und Engels Kommunismus stets als Ergebnis einer objektiv vor sich gehenden Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaftsweise, als Resultat des damit einhergehenden sich verschärfenden Krisenprozesses sahen. 1845/46 rechneten sie in der Deutschen Ideologie mit allen idealistischen Vorstellungen gnadenlos ab2:
Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben (wird). Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.
Diese gedankliche Konstruktion des Kommunismus als eine dem Kapital innewohnende Bewegungsrichtung bleibt für Marx und Engels in ihrem gesamten späteren theoretischen Werk bestimmend.
Zugleich reflektieren sie aber auch die Antworten, die der Kapitalismus zur Entschärfung seiner Krisen beständig hervorbringt. Im ersten Band des Kapitals beschreibt Marx, wie die sich immer wieder einstellende Krise nicht etwa zum Ende des Kapitalismus führt, sondern vielmehr zur Waffe in der Hand der Kapitalisten wird, um die Akkumulation durch die Bildung einer Reservearmee, die Druck auf die Beschäftigten ausübt, wiederherzustellen.
Die Arbeiterbewegung wird dadurch immer wieder aufs Neue gespalten und die einzelnen Arbeiter werden voneinander separiert. Hinzu kommt, dass der auf politischer Ebene ausgefochtene Klassenkampf zwischen Kapitalisten und Arbeitern den bürgerlichen Staat zwingt, in den Ausbeutungsprozess regelnd einzugreifen, um der auch für das Kapital am Ende ruinösen Auspressung der Arbeiter zumindest Obergrenzen zu setzen.
Marx beschreibt diese frühen zügelnden staatlichen Maßnahmen – die englischen Factory-Acts – im achten Kapitel (Der Arbeitstag) des ersten Bandes des Kapitals.3 In Deutschland waren es später die von oben, vom konservativen Reichskanzler Bismarck durchgesetzten Sozialversicherungen, die den Arbeitern eine, wenn auch bescheidene, Lebenssicherheit gaben.
Andere kapitalistische Länder zogen nach. Es entstand das, was man heute Sozialstaat nennt. Doch für die theoretisch angenommene Unausweichlichkeit des Kommunismus bedeuteten all diese Schutzmaßnahmen zugleich, dass "von da an die schöne Kontinuität zwischen Kapitalakkumulation, organisiertem Kampf der Arbeiter und Ankunft der künftigen Gesellschaft zerbrochen war".4
Karl Marx und Friedrich Engels hielten ihre Leben lang daran fest, dass die von der Arbeiterbewegung zu erkämpfende Gesellschaft die des Kommunismus sei. Die wichtigsten Aussagen dazu finden sich in den von Marx verfassten Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei – dem Gothaer Programm der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands von 1875, der späteren SPD – sowie in der Schrift Bürgerkrieg in Frankreich, in der Marx die Pariser Commune von 1871 würdigte.
Der Übergang von der kapitalistischen zur kommunistischen Gesellschaft sollte demnach zügig erfolgen5:
Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.
Was die künftige Gesellschaft angeht, wird bei Marx unterschieden zwischen einer "ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft nach langen Geburtswehen hervorgegangen ist" und einer sich anschließenden "höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft". Von Sozialismus oder gar von einem realen Sozialismus ist bei Marx keine Rede.
Bereits in der ersten Phase soll nach Marx das individuelle Arbeitsquantum des einzelnen Arbeiters entscheidend für den anteilmäßigen Bezug von Konsumtionsmitteln sein6:
Die individuelle Arbeitszeit des einzelnen Produzenten ist der von ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, dass er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat an Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Arbeit, das er der Gesellschaft in einer Form gegeben hat, erhält er in der anderen zurück.
Weiter bestehende Ungerechtigkeiten ergeben sich daraus, dass der eine Arbeiter "physisch oder geistig dem anderen überlegen" ist. Auch soll der verheiratete Arbeiter mehr als der unverheiratete aus dem "gesellschaftlichen Konsumtionsfonds" erhalten.7
Diese Ungerechtigkeiten sollen in der zweiten Phase des Kommunismus überwunden sein. Dazu heißt es bei Marx8:
In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterdrückung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!
In seiner Schrift Bürgerkrieg in Frankreich umreißt Marx die Konturen der zu schaffenden kommunistischen Gesellschaft9:
Wenn die Gesamtheit der Genossenschaften die nationale Produktion nach einem gemeinsamen Plan regeln, sie damit unter ihre eigne Leitung nehmen und der beständigen Anarchie und den periodisch wiederkehrenden Konvulsionen, welche das unvermeidliche Schicksal der kapitalistischen Produktion sind, ein Ende machen soll – was wäre das andres, meine Herren, als der Kommunismus, der "mögliche" Kommunismus?
Es ist oft darüber spekuliert worden, inwieweit die Vorstellungen von Marx und Engels über die künftige kommunistische Gesellschaft von frühsozialistischen utopischen Vorstellungen bestimmt waren bzw. anarchistischen Gesellschaftsentwürfen entsprungen sind, eines aber steht fest.
Die realen sozialistischen Gesellschaften haben entweder die Marxschen Forderungen ignoriert – wie etwa die angestrebte Verteilung der Konsumtionsmittel nach der Arbeitsleistung bei gleichzeitiger Liquidierung der Geldes und seiner Ersetzung durch Berechtigungsscheine – oder aber sie erlitten Schiffbruch, etwa beim Versuch, die "Produktion nach einem gemeinsamen Plan" zu regeln.
In der Sowjetunion beschloss die KPdSU auf ihrem XXII. Parteitag im Oktober 1961 ein neues Parteiprogramm, in dem sogar angekündigt wurde, in wenigen Jahren die Phase des entfalteten Kommunismus zu erreichen. Dieses Wunschdenken trug viel dazu bei, die Theorie des Marxismus-Leninismus zu desavouieren und die Glaubwürdigkeit der Partei zu untergraben.