Was bleibt vom Kommunismus?
Seite 3: Der Beitrag der Kommunisten zum Kampf gegen die drei großen Diskriminierungen
- Was bleibt vom Kommunismus?
- Die Illusion von der vollständigen politischen Emanzipation
- Der Beitrag der Kommunisten zum Kampf gegen die drei großen Diskriminierungen
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Der tatsächliche geschichtliche Ablauf aber war ein anderer. Die vom Marxismus inspirierte russische Oktoberrevolution war eine mit zwei Gesichtern. Das gen Westen gewendete sollte die europäischen Arbeiterbewegungen ermutigen, in ihren Ländern ebenfalls die sozialistische Revolution zu wagen. Das nach Osten gerichtete zielte auf die nationale Befreiung der unterdrückten Völker des globalen Südens, in Asien, Afrika und Lateinamerika.
Heute ist unübersehbar, welches dieser Gesichte die größeren Veränderungen hervorbrachte. Den im Westen meist aus Abspaltungen der Sozialdemokratie hervorgegangenen kommunistischen Parteien gelang es nirgendwo, es den Bolschewiki nachzumachen und die sozialistische Revolution zum Sieg zu führen.
Dass die Kommunisten in einigen westeuropäischen Ländern später, nach dem Zweiten Weltkrieg – etwa in Italien, in Frankreich und Griechenland –, an Einfluss gewannen, war allein darin begründet, dass sie sich im nationalen Widerstandskampf ihrer Länder gegen die deutsche faschistische Okkupationsmacht an die Spitze setzen konnten. Ihre eigentlichen revolutionären Ziele stellten sie dabei zurück.
Ganz anders die Wirkung im Osten: Hier wurde der rote Oktober zum Leitbild für Revolutionäre vieler Länder, die die scharfe kommunistische Kritik an jeglicher Unterdrückung sowie die zentralistische, ja sogar militärisch ausgerichtete Parteistruktur der Bolschewiki zur Befreiung ihrer Länder nutzen konnten.16
Nur so wurden die Revolutionen in China, Korea, Kuba und Vietnam möglich. Aber auch rein nationale Befreiungsbewegungen wie die der Jungtürken sowie der von Gandhi geführte Kampf um die Befreiung Indiens und die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen orientierten sich an der russischen Revolution.
Hervorgehobene Rollen nahmen Kommunisten beim Kampf gegen die Diskriminierung aus rassischen Gründen ein. Das galt vor allem für Südafrika, wo die KP sich bereits früh auf die Seite der entrechteten Farbigen stellte und dafür ein festes Bündnis mit dem Afrikanischen Nationalkongress einging. Dies galt auch für die von China unterstützte Befreiungsbewegung in Rhodesien, die das weiße Apartheitsregime niederrang.
Kommunistisch beeinflusst waren auch die Unabhängigkeitskämpfe in Angola, Mozambique und Namibia. In Israel unterstützt die KP noch heute die unterdrückten Palästinenser. In den USA ist die schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis Mitglied der Kommunistischen Partei.
Vielfältige Hilfe beim Kampf um die Befreiung der Länder des globalen Südens leisteten die europäischen sozialistischen Länder: Freiheitskämpfer aus Algerien, Angola, Chile, Mozambique, Namibia, Südafrika, Vietnam und weiteren Ländern wurden dort ausgebildet und materiell unterstützt.
Aber auch für die verbliebenen kommunistischen Parteien in den Ländern des Westens gilt, dass sie immer dann Zustimmung unter den Massen gewinnen, wenn sie sich gegen die drei großen Diskriminierungen wenden. Das bedeutet zum einen, gegen den Ausschluss der Nichteigentümer von den politischen Rechten einzutreten.
Dieser Kampf ist entscheidend für die Emanzipation der Lohnabhängigen, denn nur wenn sich diese mithilfe ihrer Parteien Stimme und Gewicht im demokratischen Prozess verschaffen, ist es ihnen möglich, grundlegende Verbesserungen – etwa in der Sozial- und Steuergesetzgebung, bei der Rente, der Gesundheitsversorgung, der Bildung – zu erkämpfen. Eine weitere Diskriminierung ist die der Frauen. Die dritte richtet sich gegen die aus rassischen Gründen, die sich gerade in unseren Tagen wieder verbreitet.
Zum Kampf gegen die letztgenannte Diskriminierung gehört, die Staaten des Westens daran zu hindern, sich mit ihren überlegenen Mitteln – seien sie zivilgesellschaftlicher oder militärischer Natur, die Länder des globalen Südens – erneut zu unterwerfen. Die Bekämpfung des Imperialismus ist daher von zentraler Bedeutung.
Die Erfolge der weltweiten sozialistischen Bewegung seit der Oktoberrevolution sind bedeutend und haben das soziale und politische Antlitz der Welt grundlegend verändert. Vor allem der Roten Armee ist der Sieg über den deutschen Imperialismus, den brutalsten und blutgierigsten, den die Welt bisher gesehen hat, zu verdanken.
Nach 1945 war es die wirtschaftliche und militärische Bedeutung der Sowjetunion, die die Entkolonisierung begünstigte und die den chinesischen, koreanischen, kubanischen und vietnamesischen Revolutionen zum Sieg verhalf.
Heute ist es die Volksrepublik China, die mit ihrer Seidenstraßen-Initiative vielen Ländern die Möglichkeit eröffnet, sich aus den Fängen der von imperialistischen Mächten gelenkten Finanzmärkte zu befreien.
Es ist daher falsch, von einem generellen Scheitern des Sozialismus zu sprechen. Allerdings fanden dessen Siege auf einem ganz anderen Gebiet als erwartet satt. Abgeschafft wurde weder die Lohnarbeit noch der Gegensatz von Kopf- und Handarbeit. Auch den Staat und das Geld gibt es weiterhin überall.
Der Kommunismus, der dies alles beseitigen sollte, blieb eine Schimäre. Vorangekommen ist man aber auf dem Weg der Emanzipation und bei der Erringung der Demokratie für die Unterdrückten. Ziehen die verbliebenen kommunistischen Parteien die richtigen Lehren aus diesen Erfahrungen, können sie auch wieder erstarken.
Bleibt die Frage, was aus dem Begriff "Kommunismus" werden soll. Heinrich Mann hatte bereits 1944 in seinem autobiografischen Werk Ein Zeitalter wird besichtigt folgende Deutung des Wortes vorgeschlagen17:
Die Gemeinwirtschaft, die gesicherte Existenz der Gesamtheit, erlaubt noch immer eine private Bereicherung. Manche sind nun einmal für nichts anderes geeignet, als reich zu werden. Auch ihnen muss, in den Grenzen des öffentlichen Wohles, genügt werden. Sie dürfen reich werden, ohne deshalb zu herrschen, weder in der Republik noch über ihre Bürger. Genau dies heißt Kommunismus (…).
Das ist der Weg, den die Volksrepublik China heute geht.
Andreas Wehr ist Mitbegründer des Marx-Engels-Zentrums Berlin (MEZ) . Er veröffentlicht regelmäßig Artikel, Interviews und Rezensionen auf seiner Seite.