Was eint die Vielfalt?
Auf dem Generaltreffen der Separatisten- und Autonomistenparteien stoßen am Freitag scheinbare Gegensätze aufeinander
Parteien und Fraktionen gelten als Zusammenschlüsse mit gemeinsamen Interessen. Manchmal sind diese Gemeinsamkeiten sehr offensichtlich - etwa in Nordkorea. Bei der Europäischen Freien Allianz (EFA), der Europaparlamentsfraktion der Separatisten- und Autonomistenparteien, die sich am Freitag im niederbayerischen Landshut trifft, werden sie dagegen erst auf den zweiten Blick sichtbar.
Auf den ersten Blick sieht es aus, als ob die Schleswigsche Partei (SP), die Vertretung der deutschsprachigen Minderheit in Dänemark, und der Süd-Schleswigsche Wählerverband (SSW), die Vertretung der Dänen und Friesen in Schleswig-Holstein, eher gegensätzliche Interessen haben könnten. Ähnliche Fragen stellen sich bei der Demokratischen Partei von Artsakh (DPA), die sechs von 13 Sitzen in der Nationalversammlung von Artsakh einnimmt (dem im deutschen Spiegel unlängst als Fräuleinwunder geschilderten ehemaligen Bergkarabach), und der Dostluk Eşitlik ve Barış Partisi (DEB), der Vertretung der türkischsprachigen Minderheit in Nordgriechenland. Immerhin ist Artsakh ein Gebiet, dass von Aserbaidschan beansprucht wird, einem Land schiitischer Türken.
Subsidiarität vs. Zentralismus
Hinzu kommt, dass es in traditionellen politischen Richtungsbegriffen gemessen ebenfalls große Unterschiede zwischen eher konservativen Parteien wie der Süd-Tiroler Freiheit und der Balearenpartei PSM-EN gibt, die sich als sozialistisch versteht. Aus der Bayernpartei, die das Treffen dieses Jahr ausrichtet, heißt es dazu, der gemeinsame Glaube an das Subsidiaritätsprinzip erlaube es, dass die Parteien in solchen Fragen unterschiedliche Ziele verfolgen können. Das Subsidiaritätsprinzip besagt, das Probleme immer auf der untersten möglichen politischen Ebene gelöst werden. Obere Ebenen sollen sich ausschließlich um solche Fragen kümmern, die darunter nicht mehr lösbar sind. Also nicht beispielsweise um die Knusprigkeit von Bratkartoffeln, sondern um die Grenzsicherung.
Damit wird es möglich, dass sich in unterschiedlichen Regionen ein unterschiedlicher Wählerwille verwirklichen lässt. Zum Beispiel ein regional unterschiedliches "Großraubwildmanagement", das die Junge Süd-Tiroler Freiheit anderen Teilnehmern der Generalversammlung nahe bringen will, weil man die "Probleme, wie sie [...] in den Alpenregionen gegeben sind", in "anderen Besiedelungsformen" ihrem Eindruck nach selten versteht (vgl. Das Totemtier des Sozialdarwinismus).
Katalonien
Ein Thema, das alle Parteien der EFA bewegt, ist Katalonien: Dort werden die Gegensätze zwischen Zentralismus und Subsidiarität gerade besonders gut sichtbar, nachdem die Madrider Zentralregierung die Regionalregierung nicht nur absetzte, sondern die abgesetzten Mitglieder auch strafrechtlich verfolgt. Neben der unter anderem durch den Europaabgeordneten Josep Maria Terricabras präsenten Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) zeigen in Landshut Vertreter dreier weiterer Parteien, dass die katalanische Sprache auch außerhalb Kataloniens gesprochen wird: Catalina Siquier von der balearischen PSM-EN, Josep Maria Miralles vom Bloc Nacionalista Valencià und Jaume Pol von der südfranzösischen Unitat Catalana. Nur aus Andorra, wo Katalanisch ohnehin Amtssprache ist, kommt kein Vertreter.
Allerdings gibt es unterschiedliche Meinungen dazu, ob das in Valencià gesprochene Katalanisch als eigene Sprache gewertet werden soll. Ähnliches gilt für das Mazedonische, das man 1944 in Jugoslawien aus politischen Gründen vom bulgarischen Dialekt zu einer eigenen Sprache aufwertete. Dass diese Aufwertung heute viele Anhänger hat, zeigen nicht nur empörte Anrufer, die bei solchen Erinnerungen eingehen, sondern auch in der EFA vertretene Parteien wie die Vinožito, die Vertretung der Mazedonier in Griechenland, und die Omo Ilinden-Pirin, die Partei der Mazedonier in Bulgarien.
Die Wikinger und Afrika
Ein anders Thema, das vor allem die Scottish National Party (SNP), die walisische Plaid Cymru und die Mebyon Kernow aus Cornwall bewegt, ist der Brexit, der geplante Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Eine vierte britische Partei, die zur EFA-Generalversammlung kommt, ist die weniger bekannte Yorkshire Party, die eine Gleichstellung ihrer Region mit Schottland, Wales und Nordirland erreichen will. Frederic William Moorman, ein Englischprofessor aus Leeds, verteidigte solch einen Anspruch auf mehr Selbständigkeit Anfang des 20. Jahrhunderts damit, dass Yorkshire nicht von Angeln und Sachsen germanisiert wurde, sondern von Wikingern, die den Tyke-Dialekt prägten. Gut hundert Jahre später wird die Yorkshire Party in Landshut durch Bikatshi Katenga vertreten, die nicht von Wikingern abstammt, aber nichtsdestotrotz für ein eigenes Parlament ihrer Region eintritt.
Gastsprecherin auf der Generalversammlung ist Sinan Önal von der türkisch-kurdischen Halkların Demokratik Partisi (HDP), die nicht zur EFA gehört, aber über einen Konflikt zwischen Zentralismus und Subsidiarität sprechen wird, der die Welt vielleicht sogar noch stärker beschäftigt als der zwischen Madrid und Barcelona. Von den nach den letzten Wahlen 59 Abgeordneten ihrer Partei wurden inzwischen elf inhaftiert, nur zwei davon ließ man wieder frei.