Was ist das Pöbeln auf Social Media gegen die Gründung von Social Media?

Seite 2: Trumps Narzissmus, Trumps Politik?

In solchem Fahrwasser kann dann auch eine politische Institution wie das Amt des Präsidenten der USA problemlos auf seine jeweils aktuelle Charaktermaske – das heißt auf Persönliches: etwa Trumps Narzissmus – reduziert werden, statt sie als Ausdruck des Stands des gesellschaftlichen Verhältnisses von Kapital und Arbeit zu begreifen, als Produkt von Klassenkämpfen oder deren Ausbleiben, als Politik.

So verleiht das sozialmediale Brimborium einer antimarxistischen linken Tendenz Ausdruck, die dazu neigt, Akte des Klassenkampfs umzulügen in individuelle Feindseligkeiten zwischen einzelnen Personen. Die Folge ist, dass Kategorien des Klassenkampfs im Internet zu "Hass im Netz" umgedeutet werden.

Der marxistische Schriftsteller Ronald M. Schernikau hat diesen Trick der bürgerlichen Ideologie, politische Vorgänge auf das Persönliche, Moralische herunterzubrechen, 1990, in den Wirren der DDR-Konterrevolution sehr schön in Worte gefasst:

Der Westen hat, und das ist ein so alter Trick, die Moral eingeführt, um über Politik nicht reden zu müssen. Moral, weil sie unter allen möglichen Standpunkten ausgerechnet den herzzerreißenden wählt, macht sich selber handlungsunfähig; deshalb ist sie so beliebt. Einen Vorgang moralisieren heißt, ihm seinen Inhalt nehmen. Das ist mit Erich Honecker geschehen. Mühsam verkneifen sich die Westzeitungen ein Grinsen, wenn sie die piefigen Sofas von Wandlitz präsentieren.

Die inzwischen total gewordene liberale Realität, die nicht mal die halbe Wirklichkeit ist, sondern lediglich der Reflex der eigenen engen, kleinbürgerlichen Lebenswelt, wird heute in den sogenannten sozialen Medien zur allgemeinen Forderung, zum einzigen Maßstab.

Geschriebene Sätze, seien sie wahr oder falsch, werden irrerweise wieder lediglich als authentischer Ausdruck von einzelnen physisch nachweisbaren Personen aufgefasst und nicht mehr als das unpersönliche Sachliche begriffen, das sie sind: als Ausdruck von Verhältnissen, Vermittlung.

Für die liberalen Ideologen stehen sich keine Texte mehr gegenüber, deren Urheber und ihre Gefühle nicht weiter von Belang sind, sondern es wird von vornherein eine Personality-Soße über jeden Beitrag im Netz gegossen. Nicht Auseinandersetzung über Sachverhalte, Gedanken, Einschätzungen, Werke, sondern Gerede über Menschen, also Tratsch etabliert sich.

Das endet darin, dass die Profis dieser Disziplin gewinnen: die Trolle, Hater, diejenigen, die das Getratsche auf die Spitze treiben - qua Beleidigung. Succesfull troll is nun einmal successful.

Der wahnhafte Kampf gegen Trolle

So ist auch der Wahn, die Trolle seien des Volkes Unglück und müssten bekämpft werden, nicht konsequent durchzuhalten: Legitime, also staatstragende Trolle wie die inzwischen zum Aufdecker von (hauptsächlich in Russland, China und der Türkei, also den Konkurrenzländern des BRD-Imperialismus und EU-Nationalismus entdeckten) gesellschaftlichen Missständen hochgeschriebene Comedy-Flitzpiepen von Jan Böhmermann über die heute show bis hin zum besonders penetranten deutschen Elend der gedruckten Satire, werden – auch von betroffenheitsliberalen Hasskritikern und Gesellschaftsklima-Skeptikerinnen wie Sascha Lobo und Carolin Emcke - selbstverständlich allseits hochgeschätzt.

Es geht ihnen, wie sich zeigt, nicht um die Form ("Trollerei", "Unverschämtheit" usw.), sondern um den Inhalt, der in solchen Formen transportiert wird. Schwer tut man sich daher natürlich auch mit der Unterscheidung von Phänomenen wie shitstorms, Bedrohungen und Trollerei, welche dann in einigen Fällen, wenn es nur gegen die richtigen, also die der aktuellen liberalen Moral ("EU ist super, Putin sehr gefährlich" usw.) entgegengesetzten geht, doch wieder in Ordnung oder "wichtig und richtig" seien: Nach Bedarf wird das alles in einen Topf – Hass – geworfen, wenn es einem gerade recht kommt.

Man selbst war immer irgendwie, durch leidige Umstände, zu Schlechtem gezwungen. Die anderen hingegen machen alles immer nur aus purer Bosheit.

Wenn also der Troll (bei gleichbleibendem Niveau) eine eigene Fernsehsendung hat, wird er zum Satiriker geadelt.

Wenn der Hater seinen menschenfeindlichen Stuss in einer Zeitung verbreitet, nennt man ihn Springer-Leitartikel-Schreiber.

Unser Beitrag stammt aus dem Buch Hass von oben, Hass von unten. Klassenkampf im Internet, von Marlon Grohn; 176 Seiten, 12,5 x 21 cm, brosch., zwölf Euro.

Ein Interview mit Marlon Grohn finden Sie hier.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.