Was ist los? - Bundestagswahl ohne russische Beeinflussungskampagne
Seite 2: Wo bleiben die Russen?
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Zunächst hatte man vielfach erwartet, dass diejenigen, die die Daten vom Bundestag geklaut hatten, dies gemacht hätten, um bei Gelegenheit, eben kurz vor der Wahl, Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, die Politiker schaden könnten, ähnlich wie dies im Fall von Clinton oder Macron geschehen ist. Es wurde auch die SPD-Fraktion im Bundestag oder die saarländische CDU angegriffen, was aber nicht gerade für eine gezielte Strategie spricht, zumal es zahlreiche Angriffsversuche auf alle möglichen Netze, Server und Computer gibt.
Aber es ist bislang nichts geschehen, was die Wahl interessanter machen und ihr eine außenpolitische Komponente geben könnte, auch wenn sich das natürlich noch (wie in Frankreich) kurz vor der Wahl verändern könnte. Gut möglich, dass die Hacker nichts gefunden haben, was dienlich sein könnte, die deutschen Politiker sind möglicherweise einfach so langweilig wie jetzt die Bundestagswahl. Es waren gar nicht die Russen, was nicht so gerne erörtert wird. Die Informationen von 2015 könnten heute nicht mehr für Aufruhr sorgen, was freilich zu der Frage führt, warum der Angriff so früh erfolgt war. In Frankreich zeigte sich, dass die Position von Le Pen zu schwach war bzw. die Leaks Macron stärkten, wobei hier unklar ist, inwieweit hinter der Aktion nicht russische Hacker, sondern amerikanische Rechte standen.
Sollten es Russen gewesen sein, könnte festgestellt worden sein, dass selbst dann, wenn der angeblich unterstützte Kandidat an die Macht kommt, dies nicht Russland nützt. Allerdings findet die Destabilisierung in den USA weniger durch angebliche russische Beeinflussungsoperationen statt, sondern durch die Aktionen der sich bekämpfenden Parteien und Interessengruppen. Und dazu kommt, dass Merkel in Deutschland alternativlos und die AfD keine realistische Alternative ist. Abgesehen davon, dass man sich im Kreml auch überlegen wird, was die Folgen von Angriffen russischer Hacker in Deutschland für Russland sein könnten, sie könnten den von den USA und dem Neuen Europa forcierten Konfrontationskurs auch in Deutschland stärken.
Tatsächlich versuchen russische Auslandsmedien - spiegelbildlich zu den Jahrzehnte alten Auslandsmedien des Westens - bestimmte Themen regierungskritisch zu verstärken, beispielsweise Migranten, Terrorismusbedrohung und Kriminalität, oder abweichenden Positionen eine größere Öffentlichkeit zu bieten. Das sind in der Regel keine Fake News wie im Fall von Lisa, sondern eine mit Auslassungen und Übertreibungen zugespitzte Berichterstattung, die man umgekehrt aber den freien Medien auch gestattet, wenn sie entsprechend über das Putinrussland und eben die angeblichen russischen Beeinflussungsoperationen berichten, siehe etwa hier.
Auch in den USA wundert man sich von interessierter Seite, warum die geklauten Emails noch nicht geleakt wurden. So schreibt die Washington Post, die eine Anti-Trump-Kampagne fährt, dass in Deutschland die mit Russland verbundenen "Propagandanetzwerke" keine "Disinformationskampagnen" fahren, auch die Bots würden schweigen: "Die offensichtliche Abwesenheit einer robusten russischen Kampagne, die deutschen Wahlen zu sabotieren, ist zu einem Geheimnis bei den Regierungsvertretern und Experten geworden, die vor einem wahrscheinlichen Angriff gewarnt haben."
Waren vorher die Beeinflussungskampagnen oder der hybride Krieg bedrohlich, ist es nun das Schweigen. Was hat es zu bedeuten, dass nichts geschieht? Auch die BTleaks-Plattformen sind erstarrt, die Offenbarungen angekündigt hatten. Der "Strom der Fake News und der von Bots verbreiteten Desinformation" habe sich "sichtbar verlangsamt". Das wird auf die Vorkehrungen der Behörden und auf die höhere Transparenz zurückgeführt, aber auch auf das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, auch wenn es erst im Oktober in Kraft tritt. Es könne auch sein, dass die Russen weniger aggressiv seien, nachdem sie in den USA die Kampagne überdreht hätten.
Ohne Feind, der sich einmischt, wird es langweilig, könnte man auch interpretieren. In Deutschland fehlt auch derzeit der Terrorismus, die Diskussion geht um kleinere Veränderungen, große Würfe fehlen, eine Richtungswahl findet nicht statt. In den USA sorgte Trump für dauernde Erregung, dazu kamen die angeblich russischen Angriffe. Das Fehlen der Spannung bringt in Deutschland die Langeweile der Demokratie zum Ausdruck. Demokratie ist langweilig, es geht um die Nuancen der Gesetzgebung und die Kompromisse im Interessenausgleich. Und wenn sich dann letztlich Merkel und Schulz im "Duell" gegenüberstehen und wohlwollend ihre sich kaum unterscheidende Politik im Hinblick auf die vermutliche große Koalition verkaufen, tritt Müdigkeit und Desinteresse beim Volk ein, das als Zuschauer Erregung und Action erwartet.
Russland hat seine eigene Wahl
Bislang ist nichts zu bemerken, Moskau scheint dem Wahlkampf, der nach Meinung vieler, keiner ist, von außen zuzusehen, man hat möglicherweise eher die Präsidentschaftswahl im März 2018 im eigenen Land im Visier. Putin hat bislang nur angedeutet, wieder antreten zu wollen, wovon die meisten ausgehen. Auch in Russland ist die Lage wie in Deutschland zementiert, es wird vor allem darauf ankommen, wie hoch Putin gewinnen wird.
Den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny scheint man trotzdem zu fürchten. Er wurde des Betrugs und der Veruntreuung angeklagt und zu fünf Jahren auf Bewährung verurteilt. Weil er zu Protesten aufrief, musste er vor kurzem 30 Tage in den Knast und kam nach 25 Tagen wieder frei. Für die Wahlkommission ein Grund, ihn von den Wahlen auszuschließen. Fest steht dies aber noch nicht, Nawalny ist vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Ende letzten Monats veröffentlichte Nawalny ein Video, das angeblich Putins Luxusferienvilla auf der Insel Lodochny im Golf von Wyborg zeigen soll. Staatliche russische Medien wie RTDeutsch suggerieren, dass Nawalny "im Interesse dritter Staaten an der Destabilisierung Russlands arbeitet".
Überhaupt scheint man in Moskau eher größer geopolitisch orientiert zu sein. Die Verbindung mit der Türkei, einem Nato-Mitgliedsstaat, verdeutlichen dies. Obgleich beide Staaten in Syrien unterschiedliche Interessen verfolgen und darüber auch schon in Konflikt geraten sind, vertiefen sich die wirtschaftlichen und militärischen Verbindungen. Provokativ kauft die Türkei für Milliarden das russische Raketenabwehrsystem und macht damit deutlich, dass sie sich nicht unter den amerikanischen Abwehrschirm stellen will. Das ist ein Bruch mit der amerikanischen Nato-Strategie, möglichst alle Alliierte in Europa, aber auch in Asien mit Japan und Südkorea unter den Raketenabwehrschirm zu bringen und damit von den USA abhängiger zu machen.