Was ist schlecht daran, wenn Bill Gates Gutes tut?
Oder: "Der Mann, der reich stirbt, stirbt in Schande"
Es mag nur ein Zufall gewesen sein: Während die Zeitungen über Colleen Kollar-Kotelly, die neue Richterin im Kartell-Verfahren gegen Microsoft, berichteten und die bevorstehende Auslieferung von Windows XP vermeldeten, erschien im Daily Telegraph ein Porträt von William Gates Senior. Als CEO und Co-Chair der Bill and Melinda Gates Foundation geht er seinem Sohn beim Geldausgeben zur Hand. Just im Juni hatte das Ehepaar Gates ihre wohltätige Stiftung um eine Milliarden-Dollar-Summe aufgestockt. Mit einem Vermögen von 23,5 Milliarden Dollar ist sie nun die bedeutendste Stiftung der Welt. Bill Gates steht damit am Anbeginn des 21. Jahrhunderts als der größte Wohltäter der Geschichte da.
Erst spät hatte der sonst eher als "Buccaneer Bill" ("Freibeuter Bill") bekannte seine philanthropische Ader entdeckt. Mit einer bescheidenen Millionensumme begann es im Jahr 1994, zwei Mann im Keller des Gates-Anwesens erledigten die Stiftungsgeschäfte. Heute sind es zweihundert Angestellte, die damit beschäftigt sind, jährlich über eine Milliarde Dollar unters Volk zu bringen und so die Vorgabe des amerikanischen Stiftungsgesetzes zu erfüllen. Das bestimmt, pro Jahr mindestens fünf Prozent des Stiftungsvermögens für gemeinnützige Zwecke auszugeben.
Ob es nun 1997 die publizitätsträchtige Milliardenspende des CNN-Gründers Ted Turner an die UN war, die Gates' Spendeneifer erst so richtig anstachelte, sei dahingestellt. Zumindest zeigt diese oft geäußerte Vermutung, dass man sich allgemein schwer damit tut, an das wohltätige Herz von Mr. Microsoft zu glauben. Als Gates Anfang 1999 über eine Milliarde Dollar zur Verfügung stellte, um die öffentlichen Bibliotheken mit Computern und Internetzugang auszustatten, verwies Telepolis (Vgl.Gates-Stiftung) auf das zeitgleich laufende Anti-Trust-Verfahren gegen Microsoft.
Das Motiv ist in diesem Fall jedenfalls nicht so selbstlos oder philanthropisch', wie Gates selbst versichert, denn jeder Computer- und Internetnutzer ist möglicherweise auch ein künftiger Kunde mehr für Microsoft. Kritiker haben der Stiftung denn schon immer weniger wirklichen Altruismus unterstellt als eher reinen Selbstzweck - zumal die Computer mit Windows-Betriebssystemen ausgestattet waren.
Eine Frage der Moral?
Man lese nur einmal die Kommentare zur betreffenden Heise-Meldung nach, als Gates im August 1999 das Stiftungskapital um weitere fünf Milliarden Dollar aufstockte. Die einen verdammen ihn wegen seiner Publizitätsgier; die anderen unterstellen den Gates-Kritikern reinen Neid. So kontrovers die Meinungen sind, machen sie eines deutlich: Billy-Boy steckt in einem Dilemma. Spendet er nichts, gilt er als geizig und kaltherzig. Spendet er jedoch, ist das erst recht verdächtig.
Eigentlich kann kein Mensch etwas daran aussetzen, dass sich Gates für die Bekämpfung von Krankheiten wie Aids und Malaria einsetzt, dass er Kindern in der "Dritten Welt" ein besseres Leben ermöglichen möchte oder dass er viel Geld ausgibt, um die Bildung der Menschheit zu heben. Im Gegensatz zu den Mäzenen vergangener Zeiten, die meist nur der Kunst und ihren Museen Gutes taten, sind dies keine elitären Unternehmungen. Anders als der Welt größte Opernmäzen Alberto Vilar oder hierzulande Peter Dussmann, fördern die Eheleute Gates nicht die Hochkultur der Happy Few, sondern sie tun Dinge, die wohl jeder an oberster Stelle seiner persönlichen Weltverbesserungsliste notiert hat. Was also ist schlecht daran, wenn Bill Gates Gutes tut?
Nun könnte man neben der seltsamen Koinzidenz von Spendierfreude und Anti-Trust-Prozess daran kritteln, dass das Microsoft eigene Internet-Magazin Slate stets das amerikanische Stiftungsranking mit ihrem Boss als Nummer 1 abdruckt oder dass sich Familie Gates auf klischeehafteste Weise in Lady-Di-Pose mit kleinen Kindern aus der "Dritten Welt" abbilden lässt.
Der Mann, der reich stirbt, stirbt in Schande
Noch interessanter ist etwas anderes: Immer wieder berufen sich Vater und Sohn Gates auf Andrew Carnegie (1835-1919), um ihre philanthropische Neigung zu legitimieren. Mit Vorliebe zitieren sie dessen berühmtesten Satz: "The man who dies rich, dies in disgrace" ("Der Mann, der reich stirbt, stirbt in Schande"). Immer wieder wird kolportiert, Bill Gates habe Carnegies "Evangelium des Reichtums" gelesen und zwar nicht bloß einmal. Selbst Gates' erzieherische Maßnahme, seinen Kindern "nur" je zehn Millionen Dollar zu vererben, zeugt von der Lektüre: "Warum soll man seinen Kindern ein großes Vermögen vererben? Geschieht dies aus Liebe - ist es dann nicht eine irregeleitete Liebe?", fragt da Carnegie, denn:
Die Erfahrung lehrt nämlich, dass es für Kinder nicht gut ist, auf diese Weise belastet zu werden. Kluge Männer werden bald erkennen, dass sie sowohl im Interesse ihrer Kinder als auch dem des Staates ihr Vermögen nicht richtig nutzen, wenn sie es erst nach ihrem Tode verteilen.
Gerade dies getan zu haben, seinen Reichtum schon zu Lebzeiten verschenkt zu haben, dafür ist Andrew Carnegie berühmt. Neben 7689 Kirchenorgeln finanzierte er 2811 öffentliche Bibliotheken (und war darin wohl auch Inspiration für Gates' Computer-in-Bibliotheken-Kampagne). Vergessen hingegen ist, dass er einer der berüchtigten "Robber Barons" (Räuber-Barone) war. All die Rockefellers, Fords und Gettys häuften riesige Vermögen an und machten die USA zu dem, was sie heute ist. Sie verkörpern den American Dream: vom Tellerwäscher zum Millionär (Carnegie war der Sohn eines schottischen Webers). Sie errichteten ihre Eisenbahn-, Stahl-, Öl- oder Automobilimperien meist mit rücksichtslosen, ja brutalen Methoden. Sie waren Kapitalisten der härtesten sozialdarwinistischen Schule und glaubten zutiefst an das Recht des Stärkeren. Doch mit ihren riesigen Stiftungen sorgten sie dafür, dass sie im Andenken Amerikas als große Philanthropen weiterleben.
Zauberstab Philanthropie: Vom Egoisten zum Altruisten
Die Metamorphose ist phantastisch: Kein Mensch erinnert sich an den Kapitalisten Carnegie, der halbjährige Urlaube machte, während das Militär gegen seine streikenden Arbeiter vorging. Stattdessen sichert ihm die New Yorker Carnegie Hall den Nimbus des großen Menschenfreunds. Ähnliches gilt für seine rechte Hand, den berüchtigten "Arbeiterfresser" Henry Clay Frick. Heute lebt sein Name fort als edler Stifter der berühmten Frick Collection in New York. Die Encyclopaedia Britannica widmete ihm in ihrem Lexikoneintrag mehr Zeilen für seine Kunstsammlungen als für seine Karriere als Industrieller. Und in denen stand er im trauten Verkehr mit Tizian, Vermeer und El Greco, mit Goya, Gainsborough und Velázquez.
Philanthropie ist also ein Zauberstab, der rücksichtslose Egoisten in Vorbilder des Altruismus verwandeln kann. Dass sich Bill Gates seiner bedient, verwundert nicht. Vermutlich sieht er sich als legitimen Nachfolger der großen Heroen des amerikanischen "Gilded Age". Vermutlich nicht ganz zu unrecht - steht die digitale Revolution der industriellen in ihrer Bedeutung kaum nach. Und ist sein Lebensweg - aus Papas Garage zum reichsten Mann der Welt - nicht die zeitgemäße Version des American Dreams?
Vor zwei Jahren noch sprach William Gates Senior gegenüber der Sunday Times von dem Druck der Kritik, der auf seinem Sohn lastete wegen seines immensen Reichtums und dem man mit der Stiftungstätigkeit begegnen wollte. Heute setzt der Vater noch eins drauf. Sein "Daily Telegraph"-Porträt ist überschrieben: "Bill's not in it for the money". Willliam Gates liegt äußerst viel daran, zu zeigen, dass sein Sohn das gigantische Software-Imperium nicht wegen des Geldes aufbaute, sondern um das erwirtschaftete Vermögen der allgemeinen Wohlfahrt zukommen zu lassen. Wer also Microsoft-Produkte kauft, tut damit ein gutes Werk. Denn die gigantischen Profite des Konzerns sind der Quell neuer Humanität.
Die Gabe, Geld zu verdienen, ist ein Geschenk Gottes
Fatal an dieser Argumentation ist: Durch das hehre Ziel - etwa das von Melinda Gates derzeit besonders propagierte, die Welt von der Geißel Aids zu befreien - werden alle Geschäftspraktiken, so rabiat sie auch sein mögen, gerechtfertigt. Niemand brachte dieses Denken besser auf den Punkt als der nicht allzu skrupelvolle John D. Rockefeller, dem man oft den Titel des bestgehassten Mannes seiner Epoche zugesteht.
Die Gabe, Geld zu verdienen, ist ein Geschenk Gottes, ein Pfund mit dem wir wuchern müssen, so gut wir können. Da ich diese Gabe nun einmal habe, ist es meine Pflicht, Geld zu verdienen und noch mehr Geld zu verdienen und das Geld zugunsten meines Nächsten zu nutzen, wie es mir mein Gewissen befiehlt.
vertraute er in einem seiner seltenen Interviews einem Reporter an
Gates' Idol Carnegie sah das ähnlich: Der reiche Mann hat "sein überlegenes Wissen, seine Erfahrung und sein Talent als Manager in den Dienst seiner ärmeren Mitmenschen" zu stellen, schreibt er in seinem "Evangelium des Reichtums". Der Millionär wird somit "als Treuhänder für die Armen fungieren". Er wird
mit der Verwaltung des wachsenden Vermögens der Gemeinschaft betraut sein, und er wird diese Aufgabe weit besser lösen, als diese es könnte.
Carnegie ist der Hohepriester des Individualismus, von dem er verkündet:
Unter seinem Einfluss werden wir einen idealen Staat schaffen, in dem der enorme Reichtum einiger weniger im besten Sinne das Eigentum vieler werden wird, da er für das Gemeinwohl verwaltet wird. Und dieses Vermögen kann in den Händen weniger viel eher zu einer starken Kraft werden, die zur Vervollkommnung unseres Geschlechts beiträgt, als wenn es in kleinen Summen an das Volk verteilt würde.
Auf dem Weg in die Plutokratie
Mit Demokratie hat das nicht mehr viel zu tun. Carnegie predigte die Entmündigung fast der ganzen Bevölkerung, er redete der Plutokratie das Wort, einem neuen Feudalismus des Geldes. Ein paar Männer an der Spitze des Staates sollen alles - nach der Maßgabe ihres Gewissens - entscheiden. Sie wissen, was gut für das Volk ist. Erbarmen sollte man von ihnen nicht erwarten:
Es wäre tatsächlich besser für die Menschheit, wenn die Millionen der Reichen im Meer versenkt würden, statt für die Unterstützung der Faulen, der Trinker und der Unwürdigen gespendet zu werden,
schreibt Carnegie, den Mund voll Schaum.
Nun wurden diese Sätze vor weit mehr als hundert Jahren zu Papier gebracht. Man darf sicher nicht den Fehler begehen, Bill Gates zu unterstellen, das sei auch seine Überzeugung. Gleichwohl erstaunt es schon, dass Gates dieses Buch mehrmals las und seinen Verfasser als Vorbild rühmt. Oder eben auch nicht. Der Geist solchen Denkens ist zu reizvoll, legitimiert er doch den Reichtum auf das Beste. Überdies: Wer sieht sich nicht gern als Mitglied einer kleinen Elite, in deren Händen die Geschicke der ganzen Nation liegen, wenn nicht gar der ganzen Welt? So sieht das übrigens nicht nur das Ehepaar Gates. Längst haben sich in den USA die Stiftungen als neues Statussymbol der Superreichen etabliert.
Eine spirituelle Form der Habgier
Wer Philanthropie nach amerikanischer Manier lobt, der sollte sich immer der paternalistischen Züge gewahr werden. Er sollte sich bewusst sein, dass die riesigen Stiftungen mit ihrem bürokratischen Apparaten rasch genauso schwerfällig werden wie die staatliche Verwaltung. Zudem können viele Gesundheits- wie Kulturorganisationen kaum mehr ihre eigentliche Arbeit absolvieren, sind sie so sehr damit beschäftigt in der allgemeinen Konkurrenz um Stiftungsgelder ihren Happen zu bekommen - ob sie im nächsten Jahr wieder begünstigt werden, wissen sie meist nicht. Dem privaten Engagement fehlt oft die Konstanz, die Berechenbarkeit (von der Transparenz der Vergabeverfahren ganz zu schweigen). Einzelne entscheiden nach Lust, Laune und Prestigeträchtigkeit - und an Unwürdige wird nichts gegeben. Dass dem Staat dadurch, dass die Stiftungszuwendungen absetzbar sind, immense Steuergelder verloren gehen, die Schulen und Krankenhäusern, aber auch Gefängnissen und Obdachlosenasylen fehlen, scheint in den USA kaum jemanden wirklich zu stören.
Es war der ehemalige Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Joachim Fest, der darauf hinwies, dass unter den Philanthropen der Typus des Misanthropen häufiger vertreten ist als sonst in der Bevölkerung. Auch betonte er, dass dem äußeren Anschein zum Trotz kein wesenhafter Unterschied besteht im Leben großer Stifter "zwischen den Jahren von Eroberung und maßloser Machtgier auf der einen, und des fast ebenso maßlosen Hergebens auf der anderen Seite". Es gab zumeist gar kein Damaskuserlebnis, sie sind immer Saulus, nie Paulus geworden: So
tiefe biographische Brüche sind äußerst selten, und besser vertraut man der einfachen Lebensweisheit, wonach Menschen sich selten ändern und meist nur die Verkleidung wechseln,
schreibt Fest in seinem Buch "Die großen Stifter", ohne Bill Gates im Sinne zu haben.
Einleuchtender scheint denn auch die These, dass diese modernen Herrscherfiguren im Alter nur fortsetzten, was sie ihr Leben lang getan hatten: Imperien zu errichten, Reichtümer anzuhäufen und Nebenbuhler auszustechen, auch wenn sie jetzt, bei nachlassender Kraft, auf Reservate auswichen, die weder den Regeln des Marktes noch der Kontrolle des Staates unterlagen. Der Schriftsteller John Steinbeck hat bei dieser Gelegenheit bemerkt, der Ehrgeiz dieser Männer sei stets der gleiche geblieben. Denn das Geben verschaffe keineswegs geringere Triumphgefühle als das Nehmen, und womöglich sei die verschwenderische Philanthropie nur eine andere, nämlich "spirituelle Form der Habgier"; als suche der Wohltäter gleichsam als Bekrönung aller Erfolge im Diesseits, sich nun auch das Jenseits zu erobern.
In der Tat erscheint das alljährlich vom The Chronicle of Philanthropy herausgegebene Ranking der größten Wohltäter nichts anderes zu sein als die etwas geschmackvollere Variante der Forbes-Liste, die die Reichsten der Welt verzeichnet. Wenn Bill Gates so viel daran setzt, sie anzuführen, will er sich wohl tatsächlich ein weit in die Zukunft weisendes Denkmal setzen, das ihn als größten Entrepreneur aller Zeiten feiert. Vielleicht sollte er dabei etwas weniger Carnegie lesen und lieber eines dieser Bücher zur Hand nehmen, aus denen man angeblich Demut lernt. Da stehen dann ganz ähnliche Sachen. Dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als ein Reicher ...