Was verbergen die Eichmann-Akten in Argentinien?
Telepolis-Autorin Gaby Weber über ihren Kampf zur Freigabe von Akten über den SS-Hauptsturmbannführer. Und ein womöglich gut gehütetes Geheimnis
Informationsfreiheit ist in Mode. Alle möglichen Regierungen, auch autokratische, schmücken sich gerne damit und erlassen wohlklingende Gesetze. Doch wenn dann doch mal ein vorwitziger Rechercheur auf den Gedanken verfällt, die Verwaltung zur Herausgabe eines Dokuments zu bewegen, heißt es meist: Finden-wir-nicht, Schutzfrist, Datenschutz oder Nationale Sicherheit. In Deutschland wird mit dem "Staatswohl" abgeblockt (Ewig Geheim).
Beispiel Argentinien. Dort hat Transparenz keine Tradition. Den ersten Versuch unternahm 1992 der peronistische Präsident Carlos Menem, als er per Dekret No. 232 verfügte, die Unterlagen zu Nazi-Kriegsverbrechern ausnahmslos offenzulegen. Nach dem Krieg hatten sich tausende SS-Leute von Genua aus auf der sogenannten Rattenlinie nach Buenos Aires eingeschifft, in der Befürchtung, dass ihnen im Nachkriegsdeutschland der Prozess gemacht würde; doch der Adenauerstaat dachte gar nicht daran.
Das Dekret war 1992 groß gefeiert worden, dabei waren keine amtlichen Unterlagen sondern nur ein paar verstaubte Zeitungsausschnitte hervorgekramt worden. Dann passierte lange nichts mehr. Die Regierungen von Néstor Kirchner und Cristina Fernández de Kirchner (2003-2015) erließen ein weiteres Dekret, das weder die Verwaltungen noch die Gerichte überzeugte. Erst unter Mauricio Macri, einem bekennenden Neoliberalen, passierte das "Gesetz für den Zugang zu öffentlichen Informationen" das Parlament, wieder hochgelobt von den Medien.
Ich ergriff die Gelegenheit der neuen Rechtslage. Seit vielen Jahren recherchiere ich auch in argentinischen Archiven über den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, den der Mossad im Mai 1960 aus Argentinien entführt haben will. Der Fall landete damals vor dem UNO-Sicherheitsrat, man erinnert sich bis heute an ihn. Laut der Unterlagen, die ich in argentinischen Archiven gefunden habe, war die Operation nicht vom Mossad sondern von Mitgliedern der Regierung vom argentinischen Präsidenten Arturo Frondizi (1958-1962) durchgeführt worden (Onkel Arturo und der Mossad). Mir liegt die Auflistung der kodierten Telexe zwischen dem argentinischen Generalkonsulat in Tel Aviv und dem Ministerium in Buenos Aires im Zeitraum Mai bis Juni 1960 vor und diese Kabel möchte ich gerne sehen.
Wurden Eichmann und Mossad-Leute schlichtweg ausgewiesen?
Ich vermute, dass aus ihnen hervorgeht, dass Eichmann nicht aus Argentinien entführt sondern dass er ausgewiesen wurde, ebenso wie die Mossad-Leute.
Im April 2018 beantragte ich beim argentinischen Außenamt die Offenlegung und bezog mich auf das neue Gesetz. Die Abteilung "Naher Osten" teilte mir mit, dass sie diese Papiere nicht besitze und sah die Angelegenheit damit als erledigt an. Ich bin dann, mit der Leitung der Assoziation der Auslandskorrespondenten (ACERA) und einer Notarin ins Ministerium gegangen, um dort nach diesen Dokumenten zu suchen, was uns verwehrt wurde. Man bestätigte uns aber, dass man nicht ausschließen könne, dass sich diese Unterlagen an einem anderen Ort des Ministeriums befinden könnten.
Ich reichte Klage ein und benannte als Zeugen die Archivare. Der Abteilungsleiter Naher Osten erklärte schriftlich, dass er leider nur an Dokumente der niedrigen Geheimhaltungsstufen herankomme, "confidencial" (vertraulich) und "reservado" (nur für den Dienstgebrauch) aber nicht an "secreto" (geheim) und schon gar nicht an Dokumente aus dem Jahr 1960. Die Frage, an welchem Ort des Ministeriums diese Papiere aufbewahrt werden, beantwortete er nicht.
Am 22. Oktober 2020 erging das Urteil. Innerhalb von 15 Werktagen seien mir die Telexe vorzulegen. Für Richter Santiago Ricardo Carrillo reichte es nicht aus, dass die Verwaltung beschrieb, wo sie gesucht haben will, während die eigene Archivarin erklärte, dass meine Liste der Telexe korrekt sei und dass geheime Dokumente im Ministerium und nicht in ihrem ausgelagerten Archiv aufbewahrt würden. Außerdem, so der Richter, habe der Oberste Gerichtshof wiederholt entschieden, dass Aktenöffentlichkeit sowohl für die Vergangenheits-Bewältigung, etwa nach systematischen Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur als auch für die Korruptionsbekämpfung von zentraler Bedeutung sei.
Die Regierung von Alberto Fernández ist über diese Entscheidung, die einen Weg für alle Forscher geöffnet hat, alles andere als glücklich. Auf der einen Seite haben die Peronisten in den letzten 20 Jahren die Parole der Menschenrechtsbewegung "Wahrheit und Gerechtigkeit" übernommen, und zur Wahrheit gehören nun mal die entsprechenden historischen Dokumente. Doch eine Freigabe würde Israel verärgern, wo man den Mythos der "heldenhaften Eichmann-Entführung" bis heute pflegt. Auch der eigene Verwaltungsapparat will sich nicht in die Karten gucken lassen und nun erklären müssen, warum man 60 Jahre lang gelogen hat.
Außenamt in Buenos Aires: "Irreparable Belastung" durch Veröffentlichung
Das Außenamt hat jetzt Einspruch eingelegt. Es argumentiert, dass die Aushändigung der Telexe "eine irreparable Belastung" darstelle. Es zitiert die AAIP, eine Regierungsbehörde, die für Informationszugang zuständig ist. Aber sie ist nicht unabhängig, sondern weisungsgebunden. Um den Rechtsweg auszuschöpfen, musste ich sie einschalten, und die AAIP beanstandete die Auskunft des Ministeriums nicht.
In seiner Berufungsbegründung behauptet das Außenamt nun, der Fall Eichmann habe gar nichts mit den Menschenrechten zu tun und dass deshalb die vom Richter zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes nicht relevant seien. Offenbar ist ihm entfallen, dass Eichmann ein verurteilter Völkermörder war. Und was das Abkommen angeht, in dem der argentinische Außenminister auf juristische Konsequenzen wegen der Verletzung der nationalen Souveränität verzichtet hatte, noch bevor in Israel die Verhaftung Eichmanns bekannt gegeben wurde, so meint das Ministerium, dass diese Übereinkunft in keinem offiziellen Bulletin abgedruckt sei und daher nicht existieren könne.
Juristisch habe ich gute Chancen, da die Rechtslage klar ist und das Dekret von 1992 eine weitere Geheimhaltung aus Gründen der nationalen Sicherheit verhindert. Dazu kommt, dass zurzeit die argentinische Justiz wegen der anhängigen Korruptionsverfahren gegen Regierungsmitglieder offenen Anfeindungen ausgesetzt ist. Und Außenminister Felipe Solá wird dem rechten Parteiflügel zugerechnet, der sich wegen seiner kritischen Position in Sachen Venezuela unbeliebt gemacht hat.
Mit einer endgültigen Entscheidung ist in der ersten Jahreshälfte 2021 zu rechnen.