Wassermetropole
Hamburg baut eine neue Stadt im Hafen
Die Arbeiten an dem Jahrhundertprojekt Hafencity Hamburg, dem größten Städtebauvorhaben Europas, gehen in die nächste Bauphase. Wo einst Hafenarbeiter malochten, entstehen Wohnungen und Büros für 50.000 Menschen. Neben vielen architektonischen Highlights baut sich Hamburg mit dem Konzerthaus "Elbphilharmonie" auch gleich noch ein neues Wahrzeichen.
Mit dem Bau der Hafencity verpasst sich die Hansestadt ein neues Image als Dienstleistungsmetropole mit maritimer Atmosphäre. Keine 800 Meter von der Innenstadt, unmittelbar hinter der denkmalgeschützten Speicherstadt mit ihren Lagerhäusern aus rotem Backstein wird das gigantische Bauvorhaben realisiert. Auf 155 Hektar Fläche entsteht ein Quartier inmitten von Kanälen mit Elbblick.
Die Speicher bilden den spannungsreichen Kontrast zur modernen Architektur der ersten Neubauten am Sandtorkai. Die Namen der Planer lesen sich wie das "Who is Who" der international bekannten Architekten. Der Hamburger Teherani entwickelt eine 700 Meter lange Living Bridge, in der sich ein Park, Wohnungen, Büros, Läden und ein Hotel befinden. Eine Etage tiefer überqueren Autos die Elbe. Andere Architektenstars wie Jacques Herzog und Pierre de Meuron oder Rem Koolhaas stehen mit ihren kühnen Ideen dem Hamburger in nichts nach.
Keine Frage, wo seit dem Wegzug des Hafens gähnende Leere herrschte, entwickeln die Planer eine neue Stadt voller toller Häuser mit exquisiten Wohnungen und Büros. Und sogar eine Baugenossenschaft baut dort, die für eine ausgewogene soziale Mischung sorgen soll. Ein so großes Bauvorhaben ist vielleicht überhaupt nur plan- und durchführbar, weil dem Senat große Teile des Baulandes gehören. Die senatseigene Hafencity GmbH koordiniert das Projekt mit privaten Investoren.
Wohnen und Arbeiten am Wasser
In die fünf Wohnhäuser und drei Bürogebäude am Sandtorkai sind die ersten Mieter schon eingezogen. Auf den ersten Blick ähneln sich die Bauten, die wie riesige Würfel ausschauen. Ihre Form bezieht sich auf den Kubus des gegenüberliegenden Kaispeichers A. Ausgehend von dem quadratischen Grundriss mussten sich die Architekten nun einiges einfallen lassen, um neben dem Elbblick den Bewohnern einen distinktiven Mehrwert zu bieten. Jedes Haus gestalteten sie als ein Solitär. Ein Würfel ist mit ockerfarbenen, ein anderer mit dem für Hamburg typischen dunkelroten Klinker verkleidet, der sich dunkel von der spiegelnden Glasfassade des Nachbarhauses abhebt. Mit seiner gläsernen Hülle, die durch schwarze Stahlstreben unterbrochen ist, erinnert das von dem Architekturbüro Bothe, Richter und Teherani entworfene Gebäude der China Shipping Holding an die Baushaus-Moderne. Die großen Freiräume zwischen den Kuben lockern die Häuserzeile auf und ermöglichen vielfältige Blickbeziehungen in den Hafen, hinüber in die neu entstehenden Quartiere oder von dort in die Speicherstadt.
Jedes Gebäude ragt zum Wasser hin meterhoch über die Uferkante. Unter dem Überhang führt ein Weg entlang des Hafenbeckens. Aber die Nähe zum Wasser hat auch ihre Tücken. Damit bei Sturmfluten kein Wasser in die Häuser eindringen kann, muss ihr Standpunkt zwischen 7,50 Meter und 8,40 Meter über dem normalen Wasserspiegel liegen.
Mit der Hafencity wächst Hamburg innerhalb der Stadtgrenzen statt auf der grünen Wiese. Markierte bisher die denkmalgeschützte Speicherstadt die Grenze zwischen der feinen Innenstadt, den Einkaufsmeilen, Bürohäusern und dem Freihafen, so schließt sich nun das neue Viertel unmittelbar an das Zentrum an. Und im Masterplan versprechen die Planer sogar das innerstädtische Wohnen wieder attraktiver zu machen mit einer vielfältigen sozialen und kulturellen Infrastruktur und viel Grünflächen. So sollen wieder mehr Familien ins Stadtzentrum gelockt werden, die bisher in die umliegenden Landkreise abwanderten.
Dass sich hier Wohn- und Bürohäuser abwechseln, gehört zum städtebaulichen Prinzip der Hafencity. Die strikte Trennung von Lebensbereichen wie Arbeiten, Wohnen und Freizeit soll es hier nicht mehr geben. Stattdessen entsteht eine Stadt der kurzen Wege, mit deren vielfältiger Nutzungsstruktur eine Voraussetzung für belebte Straßen geschaffen wird. Aber vieles, was zu einem lebendigen Viertel gehört, wie kleinere Geschäfte und Gewerbetreibende, Schulen und soziale Einrichtungen, gibt es hier noch nicht. Dennoch fühlen sich die ersten Anwohner am Sandtorkai wohl.
Hafennostalgie
Neben Fußwegen spielen Plätze für die städtische Öffentlichkeit eine wichtige Rolle, die nicht in erster Linie der kommerziellen Nutzung offen stehen. Die zum Hinfläzen einladen, auf denen man in der Mittagspause dösen mag, wo Kinder spielen können. Auf den Magellan-Terrassen scheint das alles möglich zu sein, die letztes Jahr fertiggestellt wurden. Wie ein Amphitheater steigen die Terrassen über drei Ebenen vom Wasser nach oben auf. Der 5.000 Quadratmeter große Platz erstreckt sich über die gesamte Breite des Hafenbeckens und verbindet so den Sandtorkai mit dem Dalmankai.
Auch wenn die Bewohner des Sandtorkais einstweilen noch auf Baustellen und Brachen in eine ungewisse Zukunft blicken, ihr Quartier zieht schon jetzt nicht zuletzt wegen der Speicherstadt viele Besucher an. Die hafentypische Struktur von Land- und Wasserflächen bleibt auch zukünftig erhalten. Entlang der Uferkante sollen Promenaden für jedermann zugänglich sein. Und an Hafennostalgie fehlt es auch nicht. Einige Kaimauern, historische Brücken und Kräne bleiben erhalten. Und weil das alles so schön ist, ankern ab Mitte des Jahres historische Schiffe und Segler im Sandtorhafen. Schade eigentlich, dass man solche an Disney-Land anmutenden Mätzen nicht weglässt. Der schöne Ausblick von den Magellanterrassen auf die Werften an den Landungsbrücken ist dann weg.
Aber solche Anziehungspunkte wird die Hafencity brauchen, um nicht als Geisterstadt zu enden. Dafür sollen auch Projekte sorgen wie das Überseequartier, in dem neben einem "Science-Center", ein Großaquarium und ein Planetarium geplant sind. Damit nicht genug. Dort entsteht eine "24-Stunden-Stadt", in der nicht nur 1.000 Bewohner leben, sondern in die auch rund 40.000 Menschen täglich in eine der neuen Freizeit- und Kultureinrichtungen strömen sollen. In unmittelbarer Nachbarschaft geht es dann zum "Shipping-Watching", wenn wieder ein luxuriöser Ozeanriese wie die Queen Mary 2 am Kreuzfahrtterminal andockt.
Als Leuchtturm und neues Wahrzeichen der Hafencity bauen die "Superstars der Architektur" (art), Jacques Herzog und Pierre de Meuron, den gegenüber dem Sandtorkai liegenden Kakaospeicher in ein Konzerthaus, die Elbphilharmonie, um. Der Glasbau scheint über dem roten Backsteinkubus leicht und licht zu schweben, wie eine Welle auf und ab schwappend. In der Computeranimation wirkt dieser Teil des riesigen Gebäudes transparent und zerbrechlich. Zwischen dem Sockel, der in ein Parkhaus umgebaut wird und den weißen Obergeschossen bildet das Architektenduo einen freien Raum in 37 Meter Höhe, der als öffentlicher Platz genutzt werden kann. Ein 186 Millionen teuerer Bau. Davon finanziert der Senat mit 77 Millionen das Konzerthaus mit einem 2.200 Menschen fassenden Saal, unterstützt von privaten Spenden in Höhe von 34 Millionen Euro. Private Investoren bringen den Rest für ein Hotel und Wohnungen auf.
Investitionen nicht in den Sand setzen
Noch ist alles in Bewegung rund um Hamburgs Speicherstadt. Neue Stadtteile dieser Größenordnung entstehen nicht alle Tage und ihre Entwicklung lässt sich nur schwer absehen. Dass die Hafencity ein innerstädtisches Quartier mit hoher Lebensqualität und teilweise auch bezahlbaren Mieten werden kann, dafür sollten die Vorgaben des Masterplans sorgen. Was heute schon zu besichtigen ist, verspricht viel Lebensqualität. Aber erst in den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob sich die Interessen der privaten Investoren mit den Bedürfnissen der Stadtbewohner nach bezahlbaren Wohnungen tatsächlich in Einklang bringen lassen.
Innerstädtisches Wohnen ist in Hamburg teuer und daran wird sich in der Hafencity mit Quadratmeterpreisen ab 4.000 Euro aufwärts für Wohnungen nur punktuell etwas ändern. Ähnlich den Londoner Docklands werden die Mieten rasant ansteigen, wenn das Gebiet besser erschlossen ist. Immerhin gelang es an der Themse, einen lebendigen Stadtteil zu entwickeln. Heute leben doppelt so viele Menschen dort wie 1980 und dreimal so viele Arbeitsplätze sind entstanden.
Voraussetzung dafür waren aber bessere Verkehrsanbindungen. Die fehlen in der Hafencity noch. Das Quartier lässt sich zwar gut zu Fuß aus den umliegenden Stadtteilen erreichen. Damit aber Besucher nicht in einigen Jahren im Überseequartier sich in einer Einöde wiederfinden, wäre ein baldiger Ausbau des U-Bahnnetzes für einen schnellen Weg in den Hafen sinnvoll. Erst dann verspricht die Stadt am Wasser zu einem urbanen Mittelpunkt zu werden, der nicht so langweilig ist wie viele andere Innenstadtbereiche. So trist sieht es schon jetzt nicht in der Hafencity aus. Die weitläufigen Promenaden oder die Magellanterrassen am Sandtorhafen, auf denen sich manches "Open Air" genießen lässt, sind schon jetzt ein Erlebnis.