We told you so ...
Interview mit dem Zukunftsforscher Dennis Meadows
Ende der sechziger Jahre beauftragte eine damals noch junge und recht unbekannte internationale Vereinigung von Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen ein Team junger Systemanalytiker mit der Durchführung einer Studie zur Lage der Welt. Die Vereinigung war der Club of Rome, die jungen Analytiker Dennis und Donella Meadows, Erich Zahn und Peter Milling, alle damals am Massachussetts Institute of Technology tätig. Meadows und seine Kollegen setzten zur Durchführung ihres Auftrags ein eigens dafür am MIT entwickeltes Computermodell in Gang, World Three genannt - oder kurz: W3.
Das Ergebnis ihrer Untersuchung erschien im Jahre 1972 unter dem Titel "The Limits of Growths" - zu deutsch: "Die Grenzen des Wachstums". Das Buch machte seinerzeit weltweit Furore - und was seine Autoren mitteilten, klang alarmierend: Wenn wir weiter machen wie bisher, so hatte die Simulation an W 3 ergeben, dann wird die Zivilisation, wie wir sie kennen, nicht mehr lange existieren: Unkontrolliertes Wachstums hat die Menschheit in eine kaum noch zu steuernde, ja möglicherweise unentrinnbare Krise geführt. Wir stehen, so der Bericht, an der Grenze unserer irdischen Existenzmöglichkeiten - was sich zu bestätigen scheint: Die Zerstörung der Natur beschleunigt sich.
Vor kurzem war Dennis Meadows, heute Zukunftsforscher an der University of Hampshire, zu Gast im ZDF nachtstudio. Stefan Münker traf sich mit ihm in Berlin und fragte ihn nach seiner Einschätzung der Lage fünfundzwanzig Jahre später.
1972 hieß es "The Limits of Growths" (dt: "Die Grenzen des Wachstums", DVA Stuttgart 1972), zwanzig Jahre später lautete der Titel der aktualisierten Version "Beyond the Limits of Growths" ("Jenseits der Grenzen des Wachstums" - wobei der deutsche Verlag sich allerdings für den Titel: "Die neuen Grenzen des Wachstums" entschieden hat. Das sieht wie eine These aus - im Sinne von: Wir haben Euch gewarnt, jetzt sind die Grenzen überschritten. Sie haben einen weiteren Band angekündigt, der 2012, also ein weiteres Mal zwanzig Jahre später, erscheinen soll. Gibt es eine weitere Steigerung?
Dennis Meadows: Wir haben uns damals über den Titel für das zweite Buch erst nach einigen Diskussionen einigen können. Zuerst wollte ich das Buch "Overshoot/Übers Ziel hinaus" nennen. Insofern haben Sie mit Ihrer Vermutung nicht ganz unrecht. Wir haben auch tatsächlich vor, 2012 ein weiteren Band herauszubringen - aber wir werden, je nachdem, wie die Welt sich entwickelt haben wird, auch erst dann wissen, welcher Titel angemessen ist.
Meiner persönlichen Meinung nach werden wir im Jahr 2012 mit ernsthaften Engpässen unserer Ressourcen konfrontiert werden. Viele der Trends, die wir heute erkennen, wie das Schwinden von Agrarlandschaften, die Knappheit des Trinkwassers und andere werden dann voraussichtlich erst ihren Höhepunkt erreichen. Wichtig ist: In der Knappheit unserer Ressourcen manifestiert sich immer ein sozial-politisches Problem. Es ist ja nicht so, daß man eines Morgens aufwacht und feststellt, es fehlt an Rohstoffen: schließlich ist die Knappheit, mit der wir es zu tun haben, durch unsere eigenen Handlungen, etwa durch ökonomische Strategien, herbeigeführt.
Tatsächlich nennen wir, wenn auch bislang nur im Spaß, das dritte Buch: "We told you so" - vielleicht aber, und das hoffen wir natürlich, nennen wir es auch: "Wir haben uns getäuscht".
Bleiben wir noch einmal beim Begriff des "Wachstums". Sie haben gerade von den sozialen und politischen Implikationen der Rohstoffproblematik gesprochen, die sich jener Ideologie des Wachstums verdankt, die in unser ökonomisches System eingeschrieben ist. Angesichts der offensichtlichen Alternativenlosigkeit zur Logik des globalen Marktes, mit der wir es heute zu tun haben, frage ich mich, ob wir uns nun verstärkt daran machen müssen, nach biologischen Ursachen des grenzenlosen Wachstums zu suchen, dem wir unsere Probleme verdanken.
Dennis Meadows: Schauen Sie: Jede Ideologie hat natürlich auch biologische Ursachen, das heißt, sie ist irgendwie verankert in der Konstitution unserer Spezies. In der Vergangenheit war es immer so, daß diejenige biologische Art, die in der Lage war, sich am schnellsten zu vermehren und zu wachsen, auch die besten Chancen hatte, zu überleben. In diesem Sinne gibt es eine tief in der biologischen Verfaßtheit angelegte Wurzel des Wachstums.
Auf der anderen Seite allerdings kennen wir durchaus menschliche Gesellschaften, deren soziale Systeme nicht auf Wachstums aufgebaut, sondern auf Stabilität ausgerichtet sind. Ja, im Grunde sind wir durch den Großteil unserer Geschichte in einem Stadium des Gleichgewichts, der Balance geblieben, so daß es scheint, als befänden wir uns in einer eher außergewöhnlichen Periode der historischen Entwicklung. Und mir geht es weniger um die Frage, ob wir uns ändern können, sondern darum, darauf hinzuweisen, daß wir keine andere Wahl haben, als uns so, wie wir jetzt agieren, ändern müssen.
In den sechziger Jahren gehörten Sie und Ihre Kollegen am MIT zu den ersten, die im Bereich der Sozialwissenschaften mit Computermodellen arbeiteten. Heutzutage ist es nur schwer vorstellbar, welche Innovation dies dargestellt hat. Wie fühlt man sich als ehemaliger Pionier in einer Welt, in der nahezu überall Chips und Mikroprozessoren implantiert sind, und es kaum noch einen Weg gibt, nicht am Computer zu arbeiten?
Dennis Meadows: Nun, persönlich finde ich es ungeheuer angenehm, leistungsstarke Rechner zur Verfügung zu haben. Zur Durchführung unserer ersten Studie mußten wir W3 auf dem größten Rechner laufen lassen, den es im MIT damals gab. Heute läuft das Update des Programms bei mir Zuhause. Das ist phantastisch. Und natürlich öffnen sich mit den heutigen Computern ungeahnte neue Möglichkeiten nicht nur für die Forschung, sondern auch für die Vermittlung unserer Ergebnisse. Wir können heute jedem die Tools zur Verfügung stellen, die er braucht, um unsere Experimente selber durchzuführen. Schauen Sie auf unsere Homepage!
Wir unterscheiden gemeinhin zwischen dem Gebrauch von Computern zur Generierung von Expertenwissen und ihrer Verwendung zum bloßen Zeitvertreib. Der am meisten wachsende Markt in der Branche ist der der Computerspiele. Nun gehören Sie zu denen, die beide Bereiche miteinander verbinden. Sie arbeiten seit Jahren an der Entwicklung von Spielen als Werkzeugen wissenschaftlicher Forschung. Wozu, glauben Sie, dienen Spiele?
Dennis Meadows: Spiele erfüllen in unserer Gesellschaft viele Funktionen. Sie dienen traditionellerweise zum Beispiel dazu, daß eine Generation sicherstellen kann, daß ihre ethischen Werte, ihre soziale Kompetenz, ihre Sprache und ihr Verhalten auf die nachkommende Generation weitergegeben werden kann. In dieser Hinsicht sind Spiele mächtige Werkzeuge, Kinder auf ihre Teilnahme an der Gemeinschaft der Erwachsenen vorzubereiten. Spiele machen auch einfach Spaß, sie vermitteln motorische Fertigkeiten - und sie können die mentale Auffassungsgabe erweitern. Der letzte Aspekt ist für mich von besonderer Bedeutung. Ich erfinde seit langen Jahren sehr komplexe, computergestützte Spielwelten, die denen, welche sie spielen, die Möglichkeit geben, tatsächlich zu lernen, wie komplexe Systeme sich verhalten. Das Schöne an Computersimulationen ist ihre Fähigkeit, dynamische Vorgänge enorm zu komprimieren und Vorgänge, die Dekaden dauern würden, in einem Raum in kurzer Zeit abspielen zu lassen. Ich denke da zum Beispiel an unsere Experimente mit Szenarien zum Bevölkerungswachstum und den verschiedenen Möglichkeiten, seinen Verlauf zu beeinflussen.
Aber jedes Modell bleibt doch abhängig von den Daten, mit denen Sie es eingangs füttern. Das alte erkenntnistheoretische Problem hier lautet: Wir lernen in Simulationen etwas über unsere Prämissen, doch lernen wir auch etwas über die Welt?
Dennis Meadows: Wir haben auf englisch eine kurze Antwort: "Garbage in, garbage out." Natürlich stimmt das für Computersimulationen realer Zustände. Wenn unsere Prämissen falsch sind, wird auch das Ergebnis falsch werden. Aber das gilt ja nicht nur für digitale Modelle, sondern auch für die Modelle, die jeder von uns in seinem Kopf mit sich herumträgt. Viele laufen mit falschen Vorstellungen durch die Welt, und was sie daraus ableiten, bleibt falsch. Was die Modelle auszeichnet, die am Computer durchgespielt werden, ist die Tatsache, daß es für Dritte relativ einfach ist, die Fehler zu finden. Aus diesem Grund ist es unwahrscheinlicher, daß unsere Simulationen ähnlich verwirrende und falsche Resultate wie die intuitiven Modelle evozieren, mit denen wir es im Alltag zu tun haben.
Nun stehen alle die Simulationen, Spiele und Modelle, die Sie entwickeln, in engem Zusammenhang mit der Arbeit an Szenarien über den künftigen Zustand unserer Welt. Das bringt uns noch zu einem weiteren Punkt der Diskussion um den technischen Fortschritt. Ist dieser Fortschritt, der in der Vergangenheit ja nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, daß wir heute die Grenzen weiteren Wachstums spüren, zugleich der Schlüssel zur Vermeidung des totalen Kollaps? Ich denke hier zum Beispiel an das "Faktor 4"-Modell von Lovin und von Weizsäcker, welches einen vierfachen Wohlstand durch eine vierfache Ausnutzung der Ressourcen verspricht, wenn wir nur die modernste verfügbare Technologie einsetzen? Oder hat ihr Landsmann Al Gore recht, der einmal meinte, der Glaube daran, mit neuen Techniken den Weg aus der Krise zu finden, sei Bestandteil eben jener Ideologie, der wir die Krise überhaupt erst verdanken?
Dennis Meadows: Wir müssen zuerst und vor allem verstehen, daß Techniken nichts als Werkzeuge sind. Sie haben keinen eigenen Willen. Eine Technik an sich ist weder gut noch schlecht. Es kommt darauf an, wie sie verwendet wird. Wenn etwa ein Hammer in die Hände eines guten Handwerkers oder Künstlers kommt, erhalten wir ein wunderbares Möbel oder Kunstobjekt. Fällt derselbe Hammer einem Wahnsinnigen in die Hand, kann er zur Mordwaffe werden. Verantwortlich ist in beiden Fällen nicht der Hammer. Die entwickelte Technik, mit der wir es heute zu tun haben, stellt uns äußerst mächtige Werkzeuge zur Verfügung. Wenn diese Werkzeuge von einer Gesellschaft verwendet werden, die einen immer größeren werdenden Abstand zwischen Reichen und Armen bereits akzeptiert hat, die akzeptiert hat, daß der jeweils Mächtigste immer auch, etwa in Sachfragen, zu entscheiden hat, in einer Gesellschaft, die um kurzfristiger Ziele willen Umweltzerstörung billigend in Kauf nimmt - dann wird diese Gesellschaft mit den zur Verfügung stehenden Werkzeugen eben auch die sozialen Unterschiede weiter vergrößern, Sachfragen zunehmend undemokratisch und nicht-diskursiv klären und die Umwelt weiter zerstören. Wenn die Gesellschaft allerdings ihre Ziele ändert, kann sie die gleichen Techniken auch zur Erreichung anderer Ziele einsetzen.
Die modernen Technologien verschaffen uns - Zeit. Die Techniken, die im "Faktor 4" vorgestellt werden, sind wunderbar; sie geben uns einen Aufschub, den wir nutzen könnten, die grundlegenden sozialen, psychologischen, ökonomischen und politischen Änderungen in Angriff zu nehmen. Aber sie lösen nicht das Problem, und sie entlasten uns nicht davon, die dem Problem zugrundeliegenden Fragen zu beantworten.