Weg frei für Referendum gegen Chávez
Überraschende Bekanntgabe des venezuelischen Wahlrates
Jorge Rodríguez, Direktor des Nationalen Wahlrates, informierte Donnerstag Nachmittag darüber, dass gemäß der Tendenz der Computerauswertung der Unterschriften mitsamt der vergangene Woche korrigierten Unterschriften 2.451.821 Personen gegen Chávez unterschrieben hätten. Sollte sich dieses Ergebnis als Endresultat in den nächsten Tagen bestätigen, wäre das von der Verfassung festgelegte Quorum von 20 Prozent der Wahlberechtigten, die für die Abhaltung eines Referendums unterschreiben müssen, um 15.738 Unterschriften überschritten worden.
In der vergangenen Woche konnte die Opposition laut Angaben des Wahlrates etwa 525.000 der mehr als 1.190.000 Unterschriften korrigieren, für die der Nationale Wahlrat eine erneute Überprüfung angeordnet hatte. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und das Carter-Center beglückwünschten "alle Akteure des Verfahrens" und bedankten sich beim Präsidenten und der Regierung. Der oppositionelle Gouverneur Enrique Mendoza erklärte dies sei "ein Sieg der Einheit" gewesen. Diese Einheit werde auch zum Sieg im Referendum führen. Präsident Chávez interpretierte die gegen ihn gesammelten Unterschriften nicht als Niederlage, sondern deutete sie um in einen "Sieg für die Verfassung". Das Referendum sei schließlich ein Kind des Prozesses, um "einem neuen demokratischen Modell in Venezuela eine Form zu geben".
Chávez wiederholte nach Bekanntgabe der Tendenzen der Unterschriftenkorrektur, die Regierung und er würden die Entscheidungen des Nationalen Wahlrats und das Ergebnis des Referendums akzeptieren. Er zeigte sich bezüglich des Referendums siegessicher und erklärte
"Ich habe gesehen, wie einige Sektoren der Opposition bereits ihren Sieg feiern, dass sie mich besiegt hätten (...) ich habe nicht die mindeste Angst vor einer Niederlage. Ich habe ja bisher nicht einmal gespielt, das Spiel beginnt jetzt erst. Irren Sie sich nicht meine Herren von der Opposition, bisher haben Sie fast alleine gespielt. Mögen Sie nun für immer die Staatsstreiche, Ausschreitungen, Paramilitärimporte, Bomben in Botschaften und Erdölsabotagen vergessen und mit Glauben und Optimismus den Weg dieser neuen Demokratie gehen, aber es ist nicht gut frühzeitig Siege zu feiern."
Hugo Chávez Frías im Radio Nacional de Venezuela
Das Referendum soll aller Voraussicht nach am 8. August stattfinden. Die Opposition fordert ein Referendum vor dem 19. August, da dann – im Falle einer Niederlage Chávez’ – innerhalb von 30 Tagen Präsidentschaftswahlen einberufen werden müssten. Sollte das Datum überschritten werden, sieht die Verfassung vor, dass der Vizepräsident die Amtszeit bis Januar 2006 zu Ende führt. In dem Referendum muss die Opposition aber nicht nur eine Mehrheit für Chávez’ Amtsenthebung zusammen bekommen, sondern auch mehr Stimmen gegen ihn vereinen als die 3,75 Millionen, die er bei seiner Wahl zum Präsidenten erhalten hatte.
Während in einigen wohlhabenden Stadtvierteln Caracas Oppositionsanhänger ihren Sieg feierten, kam es in Zentrum Caracas und anderen Städten des Landes zu Demonstrationen, Straßenblockaden und Angriffen auf Oppositionsmedien durch Anhänger der Regierung, die davon ausgehen, die Unterschriften der Opposition seien nur mit Betrug zusammen gekommen. Angehörige der Regierung wiederum beschuldigten oppositionelle Provokateure der Angriffe auf die Medien, um so ein Klima der Spannung zu erzeugen.
Breite Unzufriedenheit mit dem Wahlrat bei den Chávez-Anhängern verursachte, dass dieser mit keinem Wort verschiedene Unregelmäßigkeiten erwähnte. So konnte die Polizei rund um den Unterschriften-Korrektur-/Kontrollprozess fast 50 Personen mit gefälschten Personalausweisen oder Unterlagen dingfest machen. Allein im bevölkerungsreichsten Distrikt von Caracas wurden 2.376 gefälschte Personalausweise beschlagnahmt und über 300 Verstorbene identifiziert, die auf den Listen auftauchten. In einem Parteisitz der Ex-Regierungspartei AD in Caracas wurde gar eine ganze Fälscherwerkstatt mit Scannern, Farbdrucker und Laminiermaschine ausgehoben.
Der Zorn vieler Aktivisten an der Basis richtet sich vor allem gegen das politische Führungsgremium "Comando Ayacucho”, das aus Vertretern verschiedener Parteien und Organisationen besteht, die die Regierung Chávez unterstützen und das die Unterschriftensammlung gegen die Oppositionsabgeordneten organisiert hatte. Dieses hatte in den vergangenen Monaten immer wieder angekündigt, genügend Unterschriften für Volksabstimmungen gegen 30 Oppositionsabgeordnete zu erzielen und beim Referendum gegen Chávez 300.000 Unterschriften annullieren zu können.
Noch am Montag tönten Repräsentanten des Comando Ayacucho "Es wird kein Referendum gegen den Präsidenten Hugo Chávez Frías geben" und riefen zum Feiern auf. Tatsächlich aber wurden nur etwa 74.000 Unterschriften für ungültig erklärt und ausreichend Unterschriften für Volksabstimmungen gegen lediglich neun Abgeordnete der Opposition erzielt.
Große Teile der Basis werfen dem Gremium Unfähigkeit und Desorganisation vor und fordern seinen Rücktritt. Auf Nachfrage erklärte der Abgeordnete der Chávez-Wahlallianz MVR Luis Tascón (seine persönliche Webseite) bei einem Gespräch in Berlin, das Comando Ayacucho sei nun dreimal hintereinander gescheitert, das müsse Konsequenzen haben. Tatsächlich hat es ohnehin jede Glaubwürdigkeit und Leitungsfähigkeit vor der Basis verloren. So erklärte auch Chávez, er werde die Kampagne gegen seine Amtsenthebung persönlich leiten.
Tascón gab allerdings auch zu, dass die Datenbasis in Venezuela so schlecht sei, dass es zu größeren Betrügereien gekommen sei. Allerdings sei doch besser, das Referendum (den Kontroll-/Korrekturprozess) durchzuführen und zu gewinnen, als den Betrug nachzuweisen und die Zahl der Unterschriften knapp unter die notwendige Anzahl zu drücken.