Weggesperrt in Krypto-Flaschen
Wenn das neue Urheberrecht in Kraft tritt, steht es schlecht um die Informationsgesellschaft
Merkwürdig frei fühle er sich hier. Ausgerechnet in Berlin. Genauer gesagt: im Kinosaal der Berliner Humboldt-Universität. Als John Perry Barlow mit seiner damaligen Band Grateful Dead anno 1968 das erste Mal Berlin besuchte, befand sich die Humboldt-Universität jenseits der Mauer, und die DDR war für den Musiker ein Ausbund an Abscheulichkeit. Denn hier paarte sich Gedankenkontrolle mit ökonomischer Kontrolle. Es sei wohl eine Ironie des Schicksals, dass er an diesem Ort vor den möglichen Folgen des Digital Rights Managment (DRM) warne. Vor den Folgen einer Gesetzgebung also, die in den USA zu einer Form von privatwirtschaftlichem Totalitarimus geführt hat. Denn: "Das Digital Rights Management von heute ist das Political Rights Management von morgen."
Barlows kurzer, aber eindringlicher Vortrag war der emotionale Höhepunkt einer Veranstaltung der Initiative privatkopie.net, die gestern zur alternativen Anhörung Urheberrechtsgesetz geladen hatte. Anlass der Veranstaltung: die kurz bevorstehende Anhörung des Urheberrechtsgesetzes im Parlament. Am 29. Januar nämlich findet die Öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages statt und wenn der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des Urheberrechts in seiner aktuellen Form verwirklicht wird, dann ist bald Schluss mit lustig. Zum Beispiel wäre Schluss mit dem lustigen Privatarchiv, das fast jeder auf seiner Festplatte und oder in seinen Regalen hortet. Bleibt es beim aktuellen Entwurf, wäre es in Zukunft nämlich illegal, digitale Privatkopien zu erstellen von Werken und Daten, die einem Kopierschutz unterliegen. Bislang galt: Solange die Kopie rein privaten, also nicht kommerziellen Zwecken dient, ist sie vollkommen legitim.
Bereits am Morgen hatte eine Pressekonferenz stattgefunden, bei der Vertreter der Wissenschaften, Bibliotheken, Juristen und Cyber-Rechtler zum einen darstellten, wie DRM funktioniert. Zum anderen ging es um die krassen Einschränkungen, die DRM für Wissenschaft, Forschung und Meinungsfreiheit mit sich bringt. Schließlich geht es bei DRM nicht nur um Kopierschutz, sondern um den Zugang zu Informationen aller Art. Anders ausgedrückt: Mittels DRM lässt sich bestimmen, wer wann was und in welchem Umfang erfährt.
Happy Birthday!
Ablauf und Besetzung bei der Podiumsdiskussion am Abend war ganz ähnlich: Dirk Günnewig von digital-rights-management.de und Till Kreutzer vom Institut für Rechtsfragen der Open Source Software (ifrOSS) führten in die technischen und juristischen Grundlage der Materie ein.
Bernd Lutterbeck, Informatikprofessor an der TU Berlin, dokumentierte anhand eines aktuellen Beispiels, wie viel es kostet, legale Kopien von Zeitungsmeldungen anzufertigen, die online publiziert werden und diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dabei kam er auf 387 Euro inklusive Lizenzgebühren, Honorar und Steuern - für eine unbebilderte Meldung von schlappen sechs Sätzen Länge. Sein Fazit: die Wissenschaft kann sich ein solches Urheberrecht schlichtweg nicht leisten - zumal die Kopien nicht ausgehändigt werden durften, da sie einzig und allein für die Besucher der Pressekonferenz am Morgen genehmigt worden waren - mit der Auflage, nicht direkt daraus zu zitieren.
Darüber hinaus stellte Lutterbeck den Sinn eines Urheberrechts als solches in Frage, denn in der Mehrheit der Fälle geht das Geld nicht an die Kreativen selbst, sondern nur an die Rechteverweser - wie eben jene Meldung illustrierte, aus der nicht wirklich zitiert werden darf. Nur soviel: Es ging dort um das Geburtstagsständchen "Happy Birthday", das zwei amerikanische Lehrerinnen im Jahre 1893 veröffentlicht hatten. 1935 wurde das Lied per Copyright geschützt, und im Jahre 1988 gingen die Rechte für rund 25 Millionen US-Dollar an den Time-Warner Konzern. Noch heute erwirtschaftet der Konzern rund 2 Millionen US-Dollar jährlich an Lizenzgebühren - und dank der Verlängerung der Copyright-Fristen durch den Digital Millennium Copyright Act (DMCA) wird das noch bis zum Jahr 2009 so weitergehen.
Für den Chaos Computer Club sprach Andreas Bogk über die Unmöglichkeit, in Zukunft über Kopierschutzmechanismen oder Sicherheitslücken in Systemen zu informieren, ohne sich damit potentiell strafbar zu machen - zum Beispiel wurde in den USA das Magazin 2600 verurteilt, weil es den Link zu einer Seite publiziert hatte, auf der beschrieben wurde, wie man den Kopierschutz von DVDs knackt.
Drauf und dran, das Wissen der Welt wegzuschließen
Wer am Abend leider fehlte, war Gabriele Beger, Vorsitzende der Rechtskommission des Deutschen Bibliotheksverbands. Denn Bibliotheken werden ganz erheblich leiden unter den neuen Bestimmungen. Wollen diese nämlich auch in Zukunft ihrem offiziellen Auftrag nachkommen und das Wissen der Welt nicht nur archivieren, sondern auch weiterhin jedermann zugänglich machen, dann wird das aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur sehr teuer (schon heute nutzen beispielsweise wissenschaftliche Verlage wie Reed Elsevier ihre Monopolstellung schamlos aus - vgl. Die Wissenschaft schlägt zurück), sondern auch ein Verwaltungsakt sondergleichen. Schließlich kann der Rechteinhaber verlangen, dass mit jedem Endnutzer ein eigens gültiger Lizenzvertrag geschlossen wird.
Dass wir drauf und dran sind, das Wissen der Welt wegzuschließen, weil wir ein paar Medienunternehmen das Recht dazu erteilen, findet auch Barlow mehr als bedenklich. Seiner Ansicht nach ist durchaus vorstellbar, dass in den Archiven der Weltgeschichte in ein paar hundert Jahren eine merkwürdige Lücke klaffen wird an der Stelle, wo man eigentlich das 21. Jahrhundert vermuten würde. Werden nämlich die Visionen der digitalen Rechte-Manager wahr, werden Bilder, Texte, Musik und Filme nur noch verschlüsselt angeboten. Nur wer brav zahlt, kommt an die Inhalte ran. Übrigens geht es nicht nur um urheberrechtlich geschützte Daten: Auch wer nur mal wissen will, wie das Wetter morgen wird, könnte zur Kasse gebeten werden. Schließlich lässt sich mit DRM jede Art von Information zur Ware machen.
Was Barlow befürchtet: Irgendwann mal wird sich das DRM überlebt haben und keiner hat mehr Lust, sich mit den verschlüsselten Daten zu befassen. Beziehungsweise will sich keiner mehr mit der zur Dechiffrierung notwendigen Technologie belasten. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis das Wissen um und die Technik zur Entschlüsselung verloren gehen.
Übrig bleiben "Krypto-Flaschen", gefüllt mit den unleserlichen Inhalten unserer Gegenwart. Dieser Befürchtung kann man freilich entgegenhalten, dass nach einigen Anläufen auch die Hieroglyphen entschlüsselt werden konnten - doch niemand weiß, ob die aktuellen Datenträger so haltbar sind wie die Steine aus dem Zweistromland.
Abgesehen von zukünftigen Informationslücken schafft DRM auch eine Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft, denn wenn Informationen wie Waren behandelt werden, wird ihre Verfügbarkeit eine Frage des Geldes. Darüber hinaus lässt sich mittels DRM der Informationsfluss selbst regulieren. Dies wiederum begünstigt das Entstehen von "Realitätsverstörungsfeldern" - begünstigt also Propaganda, die sich nicht mehr als solche entlarven lässt, weil die Öffentlichkeit keinen allumfassenden Zugang mehr hat zu Informationen jeder Art. Aus demselben Grund hatte auch Andreas Bogk vom Chaos Computer Club auf die Notwendigkeit des Rechts auf Anlegung eines Privatarchivs hingewiesen.
Nerve Deinen Abgeordneten!
Als es dann am Ende des Abends um mögliche Auswege ging, wurde Annette Mühlberg, Leiterin des Referats Neue Medien und eGovernment beim ver.di Bundesvorstand, Berlin, für ihren "doch recht naiven" Appell an die Parlamentarier, bitte noch mal in sich zu gehen, weil sie "dieses Gesetz so nicht gewollt haben können" vom Publikum gerügt.
Tatsächlich jedoch wäre ein Aufschub das Beste, was im Moment passieren könnte - denn dann bestünde die Möglichkeit, den aktuellen Entwurf zu überarbeiten. Ansatzpunkte gibt es durchaus, wie Rainer Kuhlen, Experte für Urheberrecht von der Universität Konstanz, der am 29. Januar als Experte bei der Offiziellen Anhörung sprechen wird und gestern im Publikum saß, erläuterte. Schließlich hat jedes Land bei der Umsetzung von EU-Richtlinien einen gewissen Spielraum, und den hat Deutschland bislang nicht annähernd ausgereizt. Deshalb fordert auch er ein Moratorium. Beziehungsweise könnte man das Gesetz als solches an die EU zurücksenden mit der Bitte um Überarbeitung: Immerhin stammt die Richtlinie aus dem Jahre 1997 - und seither hat sich eine Menge verändert. Nicht zuletzt kann man heute anhand der Entwicklungen in den USA die Folgen einer solchen Gesetzgebung besser abschätzen.
Da es der Regierung nicht zuletzt darum geht, das neue Urheberrecht ohne "verzögernde Kontroversen" durchzubringen, riefen die Podiumsteilnehmer eindringlich dazu auf, das Thema öffentlich zu machen. Andy Müller-Maguhn empfahl auf Anfrage: "Nerve Deinen Abgeordneten!" Außerdem können alle, die selbst Musik oder Filme oder Texte schaffen, ihre Werke wie Barlow und seine Band Grateful Dead aller Welt zugänglich machen. Freilich darf man dann nicht einen Vertrag mit Time-Warner & Co. schließen, sondern muss im Zweifelsfall sein eigenes Label, bzw. eine Produktionsfirma oder einen Verlag gründen.
Wem all das zu stressig ist, kann sich jetzt gleich online an der Unterschriftenliste der Initiative privatkopie.net beteiligen.