Wegsperren und vergessen
Die Zustände in griechischen Gefängnissen sind menschenunwürdig
Wer jemals die armseligen Verhältnisse einer staatlichen Schule oder eines staatlichen Krankenhauses in Griechenland gesehen hat, kann sich vorstellen, wie es in den Gefängnissen des Landes aussieht. Ein Staat, der kaum Geld für öffentliche Einrichtungen verwendet, die den „braven Bürgern“ zugute kommen, wird noch weniger für die Ausstattung seiner Haftanstalten ausgeben.
Griechische Gefängnisse sind reine Strafanstalten. Jeder etwa vorhandene Ansatz zur Resozialisierung wird durch fehlende Mittel und Willkür schon im Keim erstickt. Nur in den wenigsten Hafteinrichtungen etwa gibt es Förderungsprogramme, in denen Gefangene einen Schulabschluss nachholen oder sich Kenntnisse in einem Beruf aneignen können. Vom Gesetz vorgesehene Alternativen zum geschlossenen Strafvollzug wie „Freigänger“ oder „Sozialarbeit statt Freiheitsentzug“ werden so gut wie nie angewandt.
Fehlende Ausstattung der Gefängnisse aber machen aus Gefangenen, denen nach dem Gesetz lediglich die Freiheit entzogen werden darf, Menschen, denen jedes Recht auf ein menschenwürdiges Leben abgesprochen wird. Die mehr als 10.000 Gefangenen sind in Haftanstalten eingesperrt, die nicht einmal für die Hälfte ihrer Insassen ausgelegt sind. In Korydallos, dem wohl bekanntesten Gefängnis des Landes in der Hafenstadt Piräus, sind etwa 2000 Menschen in Zellen für 640 Gefangene zusammengequetscht. In Zellen, denen es an allem fehlt. Wer kein Geld für eine Decke hat, muss ohne schlafen und kann noch froh sein, wenn er wenigstens eine Matratze auf dem kalten Betonboden zur Verfügung hat.
In anderen Gefängnissen wird schlichtweg gehungert. Erst vor kurzem machten Gefangene im zentralgriechischen Domokos durch wiederholte Telefonate an eine Gefangenensolidaritätsorganisation auf ihre unerträgliche Lage aufmerksam. Das dortige von der Gefängnisverwaltung ausgegebene Essen, beispielsweise ohne Öl gekochte trockene Bohnen, reicht bei weitem nicht aus, um den täglichen Kalorienbedarf zu decken. Die Preise für Lebensmittel in der Gefängniskantine dagegen sind so hoch – für ein Kilo Tomaten werden über 5 Euro verlangt, während „draußen“ höchstens ein Drittel dieses Preises üblich ist – ,dass sich viele Gefangene eine Zusatzkost nicht leisten können.
Domokos ist auch ein gutes Beispiel für die sonstigen Zustände in griechischen Gefängnissen. Obwohl neu gebaut ist es bereits derart überbelegt, dass viele Gefangene nicht in einem Bett, sondern auf dem Boden schlafen. Bei Temperaturen, die im Sommer schnell auf über 40 Grad im Schatten steigen, gibt es in den engen Zellen keine Ventilatoren, von einer Klimaanlage nicht zu reden. In den sanitären Einrichtungen wurden die Wände nicht gekachelt, mit dem Erfolg dass schon jetzt durch die Luftfeuchtigkeit der Putz von den Wänden fällt. Und den zur Anstalt gehörenden Sportplatz hat bisher noch kein Gefangener betreten dürfen.
Ebenfalls völlig unzureichend ist die ärztliche Versorgung in den Gefängnissen. Die meisten haben keinen eigenen Arzt, fast alle keinen Psychiater, der sich um die nicht seltenen Fälle von psychisch Kranken unter den Gefangenen kümmern könnte. Fast 40 Prozent der Insassen sitzen wegen unmittelbarer oder mittelbarer Drogenkriminalität, die allermeisten von ihnen sind keine Dealer, sondern Abhängige. Obwohl auch der griechische Justizminister zur Einsicht gelangt ist, dass Drogenabhängige nicht ins Gefängnis, sondern in eine Therapie gehören, ist Wegsperren die nach wie vor gängigste Methode im Umgang mit Fixern. Entzugsprogramme im Knast gibt es so gut wie nicht, der Drogenhandel dagegen blüht auch hinter Gittern und die ärztliche Versorgung ist mangelhaft.
Die Folge: Allein im letzten Jahr starben fast 250 Gefangene in griechischen Gefängnissen, die meisten von ihnen durch fehlende ärztliche Behandlung. Die Öffentlichkeit erfährt von den Todesfällen selten. Nur wenn ein selbstmordgefährdeter Jugendlicher trotz ärztlicher Warnung im Knast verbleibt und sich dann aufhängt, oder wenn mehrere Gefangene in ihrer Zelle verbrennen, rebelliert die durch die Massenmedien vertretene öffentliche Meinung kurzfristig.
Systematische Menschenrechtsverletzungen
Es ist jedoch nicht nur Geld- oder Personalmangel, der für die Zustände in den Gefängnissen verantwortlich ist. Die Menschenrechtsverletzungen sind vielmehr systematisch und werden durch ungestrafte Willkür des Personals noch gefördert. Prügel, Beleidigungen, entwürdigende Behandlung und andere „Disziplinarstrafen“ sind an der Tagesordnung. Wer aufmuckt, bekommt die gesamte Härte der Repression zu spüren, „Rädelsführer“ werden von einem Gefängnis ins andere verlegt.
Davon betroffen sind vor allem in Untersuchungshaft sitzende Mitglieder des antiautoritären und anarchistischen Spektrums, die bei den Kämpfen der Gefangenen um menschenwürdige Haftbedingungen oft eine führende Rolle spielen. In Griechenland können bis zu 18 Monate Untersuchungshaft verhängt werden. Es hat sich zur gängigen Repressionspraxis des Staates entwickelt, mutmaßliche Militante unter löchriger Anklage für lange Monate in Untersuchungshaft zu stecken. Bei den oft kurz vor Ablauf der Frist angesetzten Gerichtsverfahren kommen dann nicht selten Freisprüche oder wesentlich geringere Strafen heraus (Wann beginnt eine terroristische Straftat). Eine Entschädigung für die zuviel verbüßte Haft wird nicht bezahlt.
Dazu kommt, dass Griechenland im EU-Vergleich mit die höchsten Gefängnisstrafen verhängt. Während in Deutschland nur 4 Prozent aller Gerichtsverfahren mit Strafen von 5 bis 15 Jahren enden, werden in Griechenland in der Hälfte aller Verfahren Strafen von 5 bis 20 Jahren verhängt. Rechtsanwälte beklagen, dass die Strafen in letzter Zeit sogar noch härter geworden sind.
Seit im Lande ein Ring aus einflussreichen Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten und Kirchenvertretern aufgeflogen ist, der gegen Zahlung von hohen Bestechungsgeldern Drogenhändlern und Mafiabossen milde Strafen verschaffte oder gar den Verbleib hinter Gittern ganz ersparte, überbieten sich viele Richter im Verteilen von Gefängnisstrafen, um nur ja nicht in den Verdacht zu geraten, auch zu diesen Kreisen zu gehören.
Der Widerstand gegen die menschenunwürdige Behandlung in den griechischen Gefängnissen ist vorhanden, hat aber nur in den seltensten Fällen eine Stimme. Als im vergangenen April mehrere hundert Gefangene in verschiedenen Gefängnissen gegen Willkür und unmenschliche Haftbedingungen revoltierten, ließ der Staat den Aufstand schlicht niederknüppeln.
In der Regel dringen auch nur wenige Berichte über die Zustände in den Haftanstalten nach außen. Eine funktionierende Gefangenensolidarität gibt es nicht. Einige Anwälte engagieren sich neben ihren juristischen Aufgaben auch politisch in verschiedenen Vereinen für die Rechte der hinter Gitter Sitzenden. Stimmen, wie die der landesweit bekannten politischen Anwälten Anwältin Gianna Kourtovik, die das gesamte Strafwesen für anachronistisch hält und statt dessen die Einführung modernerer Resozialisierungsmaßnahmen wie betreutes Wohnen unter der Aufsicht von Sozialarbeitern und soziale Arbeit fordert, sind hier noch die absolute Ausnahme. In Griechenland wird weiterhin weggesperrt und nach Möglichkeit geschwiegen über die Abstellkammern für menschliche Seelen, wie die Gefängnisse von den Gefangenen genannt werden.