Weihnachtsgeschenk für Bonner Stammzellforscher

Der Neuropathologe Oliver Brüstle darf im Januar menschliche embryonale Stammzellen aus Israel importieren und mit ihnen arbeiten

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Im Januar ist es nun soweit: Der Bonner Neuropathologe Oliver Brüstle darf zu Forschungszwecken menschliche embryonale Stammzellen aus Israel einführen und wird dies tun. Ein rund dreijähriger Diskussions- und Genehmigungsprozess gelangte am Tag vor Heiligabend 2002 durch einen vorweihnachtlichen Segen aus Berlin zu seinem vorläufigen Abschluss.

Die Geschichte noch einmal im Schnelldurchlauf: Bereits 1999 hatte Brüstle in den angesehenen "Proceedings" der amerikanischen National Academy of Sciences eine Arbeit veröffentlicht, in der er zeigen konnte, dass sich sogenannte neuronale Vorläuferzellen, die im "Reagenzglas" aus pluripotenten embryonalen Stammzellen gezüchtet worden waren, im Gehirn von Ratten zu Nervenzellen und zu den das Nervengewebe umgebenden Gliazellen differenzieren können.

Damals war Brüstle noch Amerikaner: Er arbeitete an einem Labor der amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH. Er kam nach Bonn und stellte dort seinen mittlerweile berühmten Finanzierungsantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit dem Ziel, Forschungsgelder für die "Gewinnung und Transplantation neuraler Vorläuferzellen aus humanen embryonalen Stammzellen" - so die offizielle Formulierung - zu erhalten.

Insgesamt dreimal hat die DFG ihre Entscheidung über den Antrag verschoben, zuletzt Ende 2001 auf ausdrückliche Bitte des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse. Am 30. Januar 2002 kam es dann zu jener denkwürdigen Bundestagsdebatte über menschliche embryonale Stammzellen, die von vielen heute als eine Sternstunde der deutschen Demokratie angesehen wird. Die Debatte ebnete den Weg für das sogenannte Stammzellengesetz, das schließlich am 18. Juni 2002 im Bundestag verabschiedet wurde und im Juli 2002 im Bundesgesetzblatt erschien (Von der Menschenwürde tiefgefrorener Embryonen). Das Stammzellgesetz sah die Einrichtung einer von Biologen, Medizinern, Ethikern und Theologen zu besetzenden "Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung" vor, die beim Berliner Robert Koch-Institut angesiedelt wurde. Weitere sechs Monate zogen ins Land, und dass das endgültige "Ja" des RKI noch in diesem Jahr kommen würde, hätte eigentlich keiner mehr so richtig erwartet.

Deutschland bleibt in der Stammzellforschung vorne dabei

Was nun folgt, ist um einiges unspektakulärer als der Prozess, der dazu führte. Brüstle wird seine Experimente durchführen, andere werden folgen, in Deutschland und anderen Ländern. Langsam, über Jahre, wird sich zeigen, ob die embryonalen Stammzellen halten können, was sich Forscher von ihnen versprechen, und dann, nur dann, wird es noch einmal Diskussionen geben müssen, über die Gewinnung neuer Stammzelllinien, über ihren experimentellen Einsatz, schließlich über das therapeutische Klonen.

Weltweit befindet sich Deutschland mit seinem Stammzellgesetz im Mittelfeld des ethisch erlaubten, und die jetzt zu erwartenden Genehmigungen werden dafür sorgen, dass deutsche Forscher in der Stammzellbiologie den Anschluss nicht verlieren. Großbritannien prescht bekanntlich vor: Hier durchläuft ein erster Antrag von Dolly-Vater Ian Wilmut zum menschlichen therapeutischen Klonen gerade den (ebenfalls langwierigen) Genehmigungsprozess. In den USA dagegen sind öffentliche Gelder für die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen tabu, es sei denn, die Zelllinien wurden vor dem 1. August 2001 erzeugt (Bush hat eine Entscheidung zur Forschung mit embryonalen Stammzellen getroffen). Der Stichtag in Deutschland ist der 1. Januar 2002. 78 Zelllinien weltweit entsprechen den US-amerikanischen Bedingungen, doch sehen amerikanische Stammzellforscher nur etwa ein Dutzend davon als qualitativ hochwertig an. Deutsche Forscher sind diesbezüglich also gering im Vorteil gegenüber ihren amerikanischen Kollegen.

Uni Stanford: "Unser Klonen ist kein Klonen"

Kurz vor Weihnachten kam es in den USA zu einem kleinen Eklat, als die Universität Stanford ankündigte, eigene, privat finanzierte embryonale Stammzelllinien erzeugen zu wollen. Das ist an sich erlaubt, allerdings behauptete die Uni auf ihrer Webseite, dass es sich bei dem Vorhaben keineswegs um (therapeutisches) Klonen handele, sondern lediglich um "Zellzucht" für Therapiezwecke.

In Europa wird Kerntransfer wie der von Stanford geplante generell als therapeutisches Klonen bezeichnet. Die Stanforder Forscher behaupteten weiter, das zuständige "Council of Bioethics" des US-Präsidenten sehe das genauso. Dies war offensichtlich gelogen, zumindest reagierte Präsident Bush reagierte höchst verärgert und verlangte eine öffentliche Entschuldigung der Universität. Sie steht zur Zeit noch aus.