Welche Auswirkungen hat Corona auf die Landwirtschaft?
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Wie sicher ist die Ernährung in den kommenden Monaten? Noch sehen Experten keinen Anlass zur Sorge
Wird es Engpässe bei Saatgut, Dünge- oder Pflanzenschutzmitteln geben? Kommt es zu Schwierigkeiten beim Anbau oder Ernte von Ackerkulturen? Gibt es Probleme bei der Produktion von Milchprodukten und Fleisch? Kann es sein, dass es in den nächsten Wochen und Monaten zu Versorgungsunsicherheiten und Preisanstieg kommt, weil Produktions- und Lieferketten eingeschränkt sind?
Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sei gesichert, erklärte Agrarministerin Julia Klöckner auf der Bundespressekonferenz vom 17. März 2020. Landwirtschaftliche Betriebe würden bei allen Maßnahmen berücksichtigt.
Experten für Agrarmärkte sehen die Sache etwas differenzierter. Je nachdem, wie lang die Krise dauert, ergeben sich in der Erntezeit Risiken für all jene Kulturen mit hohem Handarbeitsbedarf, erklärt Klaus Dittert, Leiter der Abteilung für Pflanzenernährung und Ertragsphysiologie an der Georg-August-Universität Göttingen.
Mit Einschränkungen sei vor allem bei Frischgemüse und Obst zu rechnen, also jenen Produkten, die einen großen Handarbeitsbedarf aufweisen und von denen wir gewohnt sind, sie zu allen Jahreszeiten kaufen zu können. Die Bevölkerung wird sich schlimmstenfalls etwas weniger gesund und ausgewogen ernähren können.
Die Erzeugerbetriebe könnte es unter Umständen härter treffen: Sie könnten in größere wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten - bis hin zur Betriebsschließung.
Eventuell müsse man länger auf die Lieferung von Ersatzteilen für Landmaschinen warten, so dass möglicherweise Maschinen für Aussaat, Pflege und Ernte der landschaftlichen Erzeugnisse etc. ausfallen werden.
Auch Sebastian Hess, Leiter des Fachgebiets Agrarmärkte an der Universität Hohenheim hält Lieferketten mit verderblichen Agrarprodukten, die hohe Anforderungen an Transport- und Verarbeitungslogistik stellen, für verwundbar. Jede Einschränkung im Transport könne zu Unterbrechungen von Kühlketten führen bzw. dazu, dass vorhandene Lagerkapazitäten nicht ausreichen.
Helfen Deutsche in der Spargelernte aus?
Engpässe könnten vor allem bei Frischgemüse, Obst, Kulturen wie Spargel oder Erdbeeren entstehen. Das liegt vor allem daran, dass hier für gewöhnlich ausländische Arbeitskräfte eingesetzt werden. Jedes Frühjahr reisen rund 300.000 Saisonarbeiter aus Osteuropa nach Deutschland ein, darunter viele Rumänen, die sich für wenig Geld auf deutschen Äckern abrackern.
Wegen der kürzlichen Grenzschließungen gelangen nun viel weniger von ihnen ins Land. Rumänen wird schon an der Grenze zu Ungarn die Einreise verweigert. Selbst wenn durch Sondergenehmigungen Erntehelfer ins Land kommen, so gehen die Bauernverbände davon aus, dass der Bedarf von knapp 300.000 Saisonarbeitern in diesem Jahr nicht gedeckt werden kann.
Vor diesem Hintergrund brachte Julia Klöckner den Vorschlag ein, dass Mitarbeiter in der Gastronomie, die wegen Schließung ihrer Betriebe ohnehin nichts zu tun haben, in der Spargel-Ernte einspringen könnten.
Im Prinzip ist die Idee nicht dumm. Leute, die bisher nie in der Landwirtschaft gearbeitet haben, hätten endlich Gelegenheit zu erfahren, wie ihre Lebensmittel produziert werden. Das Problem ist: Osteuropäische Arbeiter gaben sich stets mit geringen Löhnen zufrieden, weil es ein hohes Kaufkraftgefälle zwischen Deutschland und ihren Heimatländern gab. Dieser Vorteil entfällt bei deutschen Arbeitskräften, die sich weigern werden, den Knochenjob für denselben Niedriglohn zu machen. Hinzu kommt, dass einheimische Arbeitskräfte im Spargelernten relativ ungeübt sind.
Trotzdem haben einige Spargelbetriebe bereits Kontakt zu Gastronomie oder Reinigungsfirmen aufgenommen, um Arbeitskräfte anzuwerben.
Bauern und andere Verbände fordern darüber hinaus von der Politik flexiblere Regelungen. So sollen weniger Menschen länger arbeiten dürfen, um die Ernte einzubringen. Und Arbeitslosen, Asylbewerbern und Rentnern soll es leichter gemacht werden, sich etwas hinzu zu verdienen.
Aber auch im Kräuter- oder Obstanbau fehlt es an Arbeitskräften. Da stellt sich grundsätzlich die Frage: Inwiefern sind wir in der Lage, ohne Hilfe aus dem Ausland zurecht zu kommen?
Bisher ausreichend vorhanden: Fleisch, Kartoffeln, Getreide
Insgesamt sank der Grad der Selbstversorgung in Deutschland laust Statista von 1990 bis 2018 von 98 auf 88 Prozent. Konnten wir uns im Jahr 2017 ausreichend mit Fleisch, Milch, Kartoffeln, und Zucker versorgen, lagen die Defizite beim Gemüse bei 63 Prozent und bei Obst sogar bei 78 Prozent.
Glaubt man der Bundesanstalt für Landwirtschaft, sank die Selbstversorgung mit Getreide 2016/17 erstmalig unter 100 Prozent. So konnte der Bedarf Getreide verarbeitender Unternehmen nicht hinreichend gedeckt werden. Wegen mangelnder Anbauflächen wurde Roggen und Triticale in den letzten Jahren importiert. Importiert wurden auch etwa 60 Prozent des hierzulande verarbeiteten Hafers und Maises.
Obst und Gemüse, aber auch Eier werden aus dem Ausland zugekauft, während Schweinefleisch, Kartoffeln und Milchprodukte exportiert werden. Auch die Exporte könnten in absehbarer Zeit ins Stocken geraten. Schon jetzt werden Kühlcontainer in China nicht entladen und kommen nicht leer zurück.
Im Laufe dieses Jahres müssen genügend essenzielle Düngemittel wie Stickstoff und Kalium produziert werden müssen, erklärt Pflanzenernährungsexperte Klaus Dittert. Gebe es zu wenig davon, hätte dies Auswirkungen auf die produzierten Erntemengen im nächsten Jahr. Dann könnten auch im Land erzeugte Grundnahrungsmittel wie Weizen und Kartoffeln knapp werden.
Währenddessen steigt die Nachfrage nach Lebensmitteln, die in der eigenen Region erzeugt und zum Beispiel auf Wochenmärkten verkauft werden. Lebensmittel-Lieferdienste wie der von Rewe haben Hochkonjunktur.
Ungewohnt hoher Nachfrage erfreuen sich auch Biogemüsebetriebe mit Lieferservice - wie der "Grüne Bote" in Nordhessen.