Weltkommunikation - Vom Kabel zum Netz
Bevor Elektronen und Photonen als Träger von Kommunikationssignalen entdeckt wurden, sollten Frösche diesen Job erledigen. Und was kommt als nächstes?
Was ermöglicht die Medienmoderne? Die globale Medienkultur funktioniert auf der Basis von Elektrizität. Als entscheidende Infrastruktur der Globalisierung findet der Medienaspekt jedoch kaum Beachtung in den einschlägigen Diskursen. Das „Netz“ als rein begriffliche Beobachtungskategorie hat zwar medientheoretisch Konjunktur. Von seiner Technikgeschichte weitgehend befreit, bleibt es aber nichts als eine idealistische Metapher. Fragen wir also nach der Infrastruktur der globalen Netze.
An ihrem Anfang stand – wer hätte das gedacht? – ein Kübel Frösche. Es gibt so manche Ideen, mit welcher Infrastruktur man auf dieser Welt kommunizieren könnte. Doch schon als die Elektrizität eine noch relativ unbekannte Technologie war, faszinierte viele Forscher die Idee, sie für den alten Traum der Telekommunikation einzusetzen.
1795 machte der spanische Arzt Francisco Salvà y Campillo den Vorschlag, zur Übertragung beliebiger Nachrichten über Eisendrähte einen galvanischen Telegraphen zu bauen. Empfangsseitig befindet sich eine Gruppe von Männern, und es wäre „nur notwendig, jedem der Männer einen Buchstaben des Alphabetes zuzuordnen, den er ansagt, wenn er einen elektrischen Schlag verspürt“. Ein praktikables Experiment. Zum Dauerbetrieb des galvanischen Telegraphen könnte man dann die Männer durch Frösche ersetzen, das wären doch „billige Tiere, die man in einem Topf länger als zwei Monate am Leben erhalten kann, (…) wenn sie auch alle zwei Stunden ersetzt werden müßten.“
Nun, wir sind sicherlich froh, heute ein Handy in der Tasche zu haben und nicht ein paar Frösche. Doch zur Sache: Ärzten und Physiologen wie dem zitierten spanischen Arzt waren die anatomischen Gegebenheiten bekannt, und zu diesen gehört die Reizweiterleitung in den Nerven von Lebewesen. Diesem natürlichen Vorbild entsprechend sollten Signalleitungen die „galvanische Kraft“ weiterleiten. Samuel Thomas Soemmerring nutzte Anfang des 19. Jahrhunderts zur experimentellen Signalweiterleitung „Communicationsdraht aus Kupfer mit Seide übersponnen“. Zusammen mit der Überlegung, dass derselbe Draht „vor- und rückwärts die galvanische Kraft leitet“, stand eine sehr fortschrittliche Idee im Raum, die allerdings zur praktischen Anwendung im „Signalapparat“ damals noch nicht taugte. Doch die Vorstellung davon, in welchen Bahnen das außergewöhnliche Fluidum Elektrizität fließen könnte, wechselte damit vom Organischen zum Metallischen. Die Ära des Kabels bedeutet einen technologischen Paradigmenwechsel.
1811 experimentierte Soemmering mit einem Unterwasser-Telegraphenkabel durch die Isar bei München. 1850 stand die elektrische Telegraphenleitung London-Paris, die den Ärmelkanal überbrückte. Sofort war die Idee im Raum, Europa mit Übersee zu verkabeln; nach vielen Versuchen stand ab 1866 die Nordatlantik-Verkabelung. Hier nahm seinen Ausgang, was als globale Medienkultur zu verstehen ist: Seit knapp 150 Jahren ist die Welt „online“.
Die Weltkommunikation hing anfangs buchstäblich an einem dünnen Faden. Das Transatlantikkabel jedoch wurde bis 1900 zu einem britisch dominierten Verbund von Land- und Seekabeln ausgebaut, das die industrialisierten Länder untereinander und mit ihren Kolonien in einer linearen Systematik verband. Die telegraphische Kommunikation, über Kabel oder später auch drahtlos, diente vor allem dem Zweck, die Abläufe in Politik und Wirtschaft effizient zu gestalten. „Inhalte“ für den Zweck der Unterhaltung und Information, ja der gesamte audiovisuelle Sinn und Zweck der Massenmedien kann eher als Folgeeffekt der neuen Telekommunikationen gesehen werden denn als Motiv für ihre Entwicklung und ihren Ausbau. Technik und Infrastruktur hingegen spielten nicht zuletzt im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen eine entscheidende Rolle im Auf- und Ausbau hegemonialer Medienstrukturen. Dieser materiale Aspekt als Grundlage geopolitischer Strategien bestimmt die Infrastruktur der Medienmoderne bis hin zur Implementierung des Internet im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts.
Die aus einer Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Prinzipien der Telekommunikation resultierende Infrastruktur der Medienmoderne macht mittlerweile für ihre Nutzer kaum mehr wahrnehmbare Unterschiede. Das hat seinen Grund in der durchgehend digitalen Codierung und den Hardware-Standardisierungen der technischen Signalverarbeitung. Deren Datenstrom wird, unbemerkt für die Benutzer, über Kupfer- wie Glasfaserkabelnetze und über Funk- wie Satellitenkanäle abgewickelt.
Das funktioniert deshalb weitgehend unbemerkt, weil die Ebene des Datenträgers – das physikalische Medium selbst, das Netzwerktechniker als „Layer 0“ bezeichnen – von einer physikalischen Schicht, dem „Physical Layer“ überlagert wird, welche die Schaltungslogistik einheitlich definiert und damit technisch kompatibel macht (Kanäle, Steckverbindungen, Datenaustauschprotokolle). Die Physik der Kabel mit globaler Reichweite hat nun aber ihre eigene Geschichte. Beeinflusst von den Fortschritten in der Funktechnologie, machte das Kabel – ein aus der Kombination einfacher Leitungsdrähte entwickelter, entscheidender Bestandteil der Infrastruktur der Medienmoderne – folgende wesentliche Entwicklungsschritte durch.
- Der erste Schritt war der zum Koaxialkabel, das ein wesentlicher Bestandteil heutiger Medien- und Computernetze (Kabelfernsehen und –radio, Ethernet) ist und dazu geeignet, hochfrequente und breitbandige Signale zu übertragen. In den Anfangszeiten der Telefonie wurde für jede Signalübertragung eine eigene, gegenüber Störungen isolierte Leitung benötigt. Ein Draht oder die Ader in einem Kabel war für die Dauer des telefonischen Signalaustausches belegt, wie schon zuvor der Telegraphendraht für den Moment der Übertragung. Ein Teilnehmer am Telefonnetz musste, vor allem bei einem Ferngespräch, das Gespräch anmelden und auf die Freischaltung der Leitung durch die Vermittlung warten. Die Kapazität einer solchen Verbindung erschöpft sich natürlich in Abhängigkeit von der Nutzung des einzelnen Kanals – bzw. alternativ dazu im Ausbau zahlreicher Kanäle. Einen anderen Weg bietet die im Funkverkehr in Anwendung gebrachte Trägerfrequenztechnik. Dies bezeichnet ein hochfrequentes Verfahren, mit denen in einem Übertragungskanal mehrere Signalübertragungen zugleich möglich sind. Diese Technik ist auch im Kabel anwendbar. Das entsprechende Koaxialkabel wurde ab 1936 entwickelt und eingesetzt. Dabei handelt es sich um einen Leiterkern aus Kupferdraht, der mit einer parallelen Ummantelung aus feinem Kupferdrahtgeflecht umgeben ist, beide sind durch eine Kunststoffisolierung getrennt. Das Signal wird hier nicht durch den „Draht“ übertragen, sondern durch das elektrische Feld, das sich bei Anlegen einer Spannung zwischen dem Außen- und dem Innenleiter des Kabels aufbaut. Ein solches ca. 1cm starkes Koaxialkabel kann mit hoher Störsicherheit betrieben werden und verhindert große Abstrahlverluste. Ein Koaxialkabelnetz für den Betrieb von Telefon-, Radio- und Fernsehsignalen wurde bereits vor 1945 im nationalsozialistischen Deutschland ausgebaut.
- Der zweite technische Schritt war die Entwicklung von optischen Glasfaserkabeln, die aus verklebten Faserbündeln bestehen, durch die digital codierte Lichtimpulse über große Entfernungen übertragen werden können. Statt der Elektronenbewegung im Kupferkabel kommen in der Glasfaser die Photonen als „Boten“ zum Einsatz. Grundlage dafür ist die Lasertechnologie, ein Verfahren der Impulsverstärkung von Lichtwellen. Die Übertragung funktioniert, indem die Daten digital in Lichtimpulse umcodiert und mittels Leuchtdioden durch aus geschmolzenem Glas oder entsprechendem Kunststoff gefertigte Fasern gesandt und von Photozellen empfangen werden. Den Spektralfarben des Lichtes sind Frequenzen der elektromagnetischen Wellen zugeordnet, was den unabhängigen Betrieb vieler Datenkanäle zugleich ermöglicht. Im Lichtwellenleiter werden die hochfrequenten Bereiche des elektromagnetischen Spektrums genutzt, sodass mit dem Einsatz von Glasfaserkabeln hohe Übertragungsraten und größte Reichweiten erzielt werden konnten – so hat sich die Anzahl möglicher Transatlantikverbindungen durch diese Technologie seit 1980 mehr als verdoppelt.
- Während in den vergangenen Jahren die nationalen Telekommunikationsunternehmen ihre Netze und internationalen Verbindungen mit der optischen Technologie der Glasfaserkabel sukzessive ausbauten, funktionieren Computernetzwerke und Kabel-TV-Netze auf der Grundlage von Koaxialkabeln als ihrem derzeit immer noch wichtigsten technischen Medium – vor allem was die sogenannte „last mile“ zum Endverbraucher betrifft. Für die Zukunft der technischen Übertragungsprozesse zeichnet sich nun die Möglichkeit einer quantenphysikalischen Revolution ab, die als „Teleportation“ diskutiert wird. Dabei werden mittels Lasertechnik Atome in elektromagnetischen Feldern geordnet und verschränkt (multiparticle entanglement) , wobei die quantenphysikalische Fernwirkung dieser Verschränkung und damit eine mögliche Informationsverarbeitung über beliebige Entfernungen funktioniert. Noch ist nicht klar, zu welchen Anwendungen dies führen wird, doch nach der Nutzung von Elektronen bzw. Photonen für Telekommunikationszwecke könnte die Nutzung von Quantenbits der nun folgende dritte technische Schritt sein, der eine nachhaltige Veränderung der Kommunikationstechnologie bedeutet.
Wenn wir zuletzt noch einen Ausblick wagen, dann nicht ohne wiederum auf die Geschichte zurückzugreifen. Um 1750 und damit lange, bevor irgendeine Leitung gelegt war, formulierte der Leipziger Physikprofessor und „Electrisierer“ Johann Heinrich Winkler die Vermutung, der elektrische Strom trage jede beliebige Botschaft „bis ans Ende der Welt“. Heute gibt es kaum mehr einen Ort auf der Welt, an dem wir nicht unsere Emails abrufen könnten. Die Physikprofessoren von heute fasziniert nicht mehr die Überwindung der Ferne, sie beschäftigen sich mit „multiparticle entanglement“, mit jener Theorie der Teleportation, bei der alle gewohnte raumzeitliche Dimensionierung außer Kraft gesetzt wäre. Keine Kabel, keine Wellen, keine Elektronen, keine Photonen, nichts würde irgendwann mehr an die Welt der Boten und der Botschaften, nichts an die Kabelverbindungen erinnern, wenn die „spukhafte Fernwirkung“ (Albert Einstein) erst einmal zu ihren Anwendungen findet.
Online sein und vom freien Informationsfluss in den Netzen zu schwadronieren, ist zuwenig. Es sollte unserer Vorstellungskraft gelingen, eine Technik zu antizipieren, die sich vom heutigen Internet so unterscheidet wie dieses von den Netzen der Telegraphie.
Erst dann wären wir auf Augenhöhe mit jenen Generationen, deren Entwicklungsarbeit die Elektrizität, dieses seltsame „Fludium“, zum Basismedium der Medienmoderne gemacht haben.
Von Frank Hartmann ist soeben das Buch erschienen: Globale Medienkultur. Verlag Facultas, Wien [UTB 2723] 2006. 239 Seiten, EUR 19,40