Wem nutzt eine solche Gewerkschaft?
IG-Metall bereitet mit einem "Zukunftspaket" Tarifrunde vor
Im Vorlauf zur Tarifrunde 2020 schlägt die IG Metall den Arbeitgebern ein "Zukunftspaket" vor und verzichtet auf die Aufstellung einer Tarifforderung. Sie gibt damit bekannt, dass sie angesichts der "Transformation" der Wirtschaft eigentlich keinen Tarifkampf führen will. An dessen Stelle soll ein "Moratorium für einen fairen Wandel" treten. Dass sich die Gewerkschaft dennoch nicht als Tarifpartei aufgeben will, demonstriert sie mit einer Karikatur von Kampfbereitschaft: Sie stellt den Unternehmen ein Ultimatum, bis zum 3. Februar auf diese Ansage zu reagieren. Die Arbeitgeber sollen sich bis dahin verpflichten, für die einzelnen Betriebe Zukunftstarifverträge abzuschließen.
Die Öffentlichkeit hat dieses Angebot der Gewerkschaft an die Unternehmen gleich so aufgenommen, dass in der kommenden Tarifrunde Lohn und Gehalt keine Rolle spielen werden - was einmal mehr beweisen soll, wie gut es deutschen Arbeitnehmern in der Elektro- und Metallindustrie geht. Das ist umso erstaunlicher, als die Medien in den letzten Wochen noch voll waren von einschlägigen Horrormeldungen. Viele Bürger sind demnach mit ihrem Einkommen kaum in der Lage, ihre Mieten zu bestreiten, stöhnen unter dem weiteren Anstieg der Energiekosten, so dass sie sich bei der Energiewende nicht "mitnehmen" lassen, können angesichts der niedrigen Zinsen keine Vorsorge für die Altersarmut treffen usw.
Die Gewerkschaft wird als erste solche Notlagen bestätigen. Aber egal: Angesichts des drohenden Verlusts von Arbeitsplätzen steht für sie nun deren Sicherung im Vordergrund. Wie die aussieht, darüber gibt das Vorhaben der Gewerkschaft Auskunft, eine Tarifrunde vorzubereiten, die keine sein will.
"Moratorium für einen fairen Wandel"
Ausgangspunkt der Gewerkschaft für die Tarifrunde ist die Lage der deutschen Wirtschaft, die angeblich vor den Herausforderungen einer Transformation der Industrie durch Elektromobilität und Digitalisierung steht. Dabei geht sie davon aus, dass sowohl die Gewinne der Unternehmen wie auch die Einkommensmöglichkeiten der Beschäftigten gefährdet sind. Deswegen sei die Lage - ganz klassenübergreifend - eine Herausforderung für beide Seiten, ein wahres Gemeinschaftsanliegen.
Vergessen muss man dabei nur, dass die Betroffenheit in dieser Lage sehr unterschiedlich ausfällt. Auf der einen Seite stehen die Kapitaleigner in der Auto-, Metall- und Elektroindustrie. Sie wollen ihre Konkurrenzsituation auf dem Weltmarkt behaupten und ihre Gewinne oder Renditen sichern; sie haben Absatzschwierigkeiten, was sich in zurückgehenden Auftragszahlen niederschlägt; und sie wollen mit neuen Produkten, neuen Produktionsverfahren ihre Geschäftsaussichten positiv gestalten. Dafür stehen die Stichworte Elektromobilität und Digitalisierung, die die Gewerkschaft als einen Sachzwang behandelt und für den sie das Stichwort "Transformation" bemüht. Dieser angeblichen Sachnotwendigkeit will sie sich nicht verstellen.
Auf der anderen Seite stehen die verehrten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, also die Mitglieder der Gewerkschaft, die sich zur Wahrung ihrer Interessen in eben diesem Verein zusammengeschlossen haben: Deren Betroffenheit gestaltet sich etwas anders. Sie sind davon abhängig, inwieweit sie für das weitere Geschäft in der Branche benötigt werden. Ob und wie sich der zukünftige Einsatz gestaltet, hängt ganz von der Kalkulation der Unternehmen ab. Wie die erfolgreich zu realisieren ist, daran will die Gewerkschaft in Form von Mitbestimmung mitwirken - und beweist damit einmal mehr, dass die Gewinne der Familien Piech und Porsche, Quant und Kladden, der Eigner von Siemens, der Scheichs von Katar oder der Investoren von BlackRock Vorrang haben vor den Lebensnotwendigkeiten ihrer Mitglieder. Vom Erfolg dieser Gewinnrechnungen hängt ab, ob und in welchem Umfang die Gewerkschaftsmitglieder - und nicht nur die - ihren Lebensunterhalt bestreiten können.
Dass die Sicherung der Zukunft des "Industriestandorts Deutschland" einiges an Arbeitsplätzen kosten wird - schließlich haben die Betriebe dies bereits angekündigt -, davon geht die Gewerkschaft fest aus und sieht sich deshalb gefordert. Also verbindet sie das Moratorium mit einem Bündel von Forderungen.
Das Zukunftspaket
Vereinbart werden sollen mit den Arbeitgebern Verträge, um die Beschäftigung zu sichern, Personalabbau, Ausgliederungen, Standortschließungen und Verlagerungen zu vermeiden sowie die Arbeitgeber auf Investitionen und Qualifizierung der Beschäftigten zu verpflichten. Eine Zahl für Tariflohnerhöhung nennt die Gewerkschaft nicht, strebt aber, wie es heißt, eine gütliche Einigung zur Reallohnsicherung an, um die Kaufkraft angesichts einer eingetrübten Konjunktur zu stärken. Zudem sollen IGM-Mitglieder einen Bonus erhalten, damit sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, ihr Elektroauto aufladen oder sich ein E-Bike leisten können. Ein wahrlich erstaunlicher Katalog!
Mit ihren Forderungen umschreibt die IGM bereits eine Reihe von Alternativen, wie sich Lohnkosten senken lassen und damit die Profitabilität der Unternehmen verbessert werden kann. An erster Stelle steht da der Personalabbau, der so weit gehen kann, dass ganze Standorte geschlossen werden. Tätigkeiten können an Subunternehmen vergeben werden, die ihre Arbeiter schlechter bezahlen als die Stammbelegschaft, oder die Produktion kann in Länder verlagert werden, in denen die Lohnkosten niedriger ausfallen. So zeigt sich, dass Löhne und Gehälter als Kosten im Gegensatz zum Gewinn stehen. Sie sind notwendig, um den Reichtum zu produzieren; ihre Höhe beeinträchtigt aber den Gewinn, also gibt es immer das Bestreben, diesen Anteil an den Kosten zu senken.
Das verhindern will die Gewerkschaft nicht, sondern die Kostensenkung so gestalten, dass es nicht sofort heißt, die Arbeitnehmer würden um ihre Einkommensquelle gebracht. So schreckt die IGM nicht davor zurück, selbst ihre eigenen Ideologien aus dem Verkehr zu ziehen. Lange Jahre hat sie nämlich behauptet, die Flexibilisierung des Arbeitstages diene der Zeitsouveränität der Arbeitnehmer, die selber bestimmen können sollten, wann sie mehr arbeiten und wann sie mehr Freizeit haben. Jetzt präsentiert sie zur Verhinderung von Entlassungen die Räumung der Arbeitszeitkonten und legt damit offen, wozu sie da sind: Mit der Flexibilisierung der Arbeitszeit hat die Gewerkschaft den Unternehmen die Freiheit verschafft, die Arbeitszeit ganz nach dem Gang des Geschäfts festzulegen; Überstunden müssen also nicht mehr mit Zulagen erkauft werden, vielmehr wird einfach mehr Freizeit verordnet, wenn es das Geschäft erfordert.
Dass der Rückgriff auf die Arbeitszeitkonten nicht ausreichen wird, um den anstehenden Personalabbau zu vermeiden, ist auch der Gewerkschaft klar, weswegen sie sich zudem an die Politik wendet, um der Wirtschaft größere Freiheiten im Umgang mit Kurzarbeit zu ermöglichen. Damit dementiert sie gleichzeitig ihre Forderung, dass "bei Unterauslastung einzelner Beschäftigungsgruppen … vorrangig eine Reduzierung des Arbeitsvolumens ohne Entgeltabsenkung" erfolgen soll. Schließlich beinhaltet Kurzarbeit eine Kürzung des Gehalts und keinen vollen Ausgleich durch die Agentur für Arbeit. Die Gewerkschaft will so ihren Mitgliedern den Arbeitsplatz sichern, auch wenn sie gerade nicht im vollen Umfang gebraucht werden; sie sichert damit aber vor allem den Unternehmen die flexible Verfügung über eine Belegschaft und erspart ihnen Abfindungen oder spätere Neueinstellungen.
Der Ideenreichtum der Gewerkschaft wird jedoch, ausweislich ihrer eigenen Erkenntnis, nicht verhindern, dass die Belegschaft die Konsequenzen des veränderten Geschäftsgangs zu spüren bekommt - bis hin zum Verlust ihrer Einkommensquelle in Form eines Arbeitsplatzes. Gewerkschafter wissen hier sehr genau zu unterscheiden zwischen betriebsbedingten Kündigungen und Entlassungen unter Mitwirkung der Gewerkschaft bzw. der Betriebsräte über einen Sozialplan, durch den die Entlassenen eine Schadensminderung erhalten sollen, wenn sie außer Lohn und Brot gesetzt werden. Als Entlassungen betrachtet sie eigentlich nur solche, die ohne Sozialplan stattfinden - und nur die gilt es zu vermeiden. So sind auch die Schließung von Standorten oder Betrieben, die Auslagerung von Produktionsteilen nicht ausgeschlossen. Wenn die Gewerkschaft davon spricht, dass diese "möglichst" vermieden werden sollen, dann rechnet sie wohl fest mit dieser Alternative. Doch wenn sich das alles nicht rechnet, dann wird sich auch da die Gewerkschaft einer Lösung nicht verschließen.
Sie will mit den einzelnen Unternehmen Zukunftssicherungsverträge abschließen und lässt sich damit auf die Konkurrenz der Unternehmen ein, in der jede Akteur gegen die anderen im Wesentlichen über die Preise konkurriert, wobei er sich hinsichtlich der eigenen Kostengestaltung an den Ausgaben für Arbeitskräfte schadlos hält. Dazu dienen Investitionen, die durch Einsatz neuer Technologien Arbeitsschritte und damit Arbeitskräfte überflüssig machen und so Lohnkosten einsparen helfen. Dass deswegen Entlassungen anstehen, ist auch der Gewerkschaft eine Selbstverständlichkeit, deshalb fordert sie die Qualifizierung ihrer Mitglieder, damit diese sich auf neue Anforderungen einstellen können - entweder am bisherigen Arbeitsplatz, der sich verändert hat, oder weil sie sich einen neuen suchen müssen.
"Gerade in diesen Zeiten braucht es gesellschaftlichen Zusammenhalt"
Weil die Gewerkschaft fest davon ausgeht, dass die Änderungen im Geschäftsleben auf Kosten der Arbeitnehmer gehen - denn die Gewinnerzielung bleibt letztlich unsicher -, fordert sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und setzt dabei auf die Vernunft der Unternehmen. Die soll darin bestehen, dass der feststehende Schaden für die Arbeitnehmer erträglich gestaltet wird, und in solchen Trostpflastern sieht die Gewerkschaft ihre eigentliche Aufgabe und Leistung.
Um diese Leistung überhaupt zu entdecken, muss man sich immer vor Augen halten, dass es auch schlimmer hätte kommen können. So ist die freie Verfügung der Arbeitgeber über die Arbeitszeitkonten eben besser als Kurzarbeit, Kurzarbeit allemal besser als Entlassungen und Entlassungen über Sozialplan sind immer noch besser als solche ohne. Somit ist die Liste der Leistungen der Gewerkschaft lang und führt letztlich nur eins vor: Wie unsicher die Existenz als abhängig Beschäftigter ist und über welche Freiheiten die Gegenseite im Umgang mit der Arbeitskraft verfügt.
Gefordert ist aus dem Blickwinkel der IGM auch die Politik, denn es braucht Änderungen der Gesetze zur Kurzarbeit, zur Qualifizierung und zur Gestaltung der Sozialpläne. All das, damit die Gewerkschaft bei der - gemeinsam mit den Arbeitgebern anvisierten - Abwicklung der Schäden auf Arbeitnehmerseite freie Hand hat. So tritt sie als Lobbyist für ihre Unternehmen auf. Wer nur als Manövriermasse in Erscheinung tritt, sind die Mitglieder. Sie werden als diejenigen behandelt, die als abhängige Größe von der Kalkulation der Unternehmen den ausgemachten Schaden haben werden. Wenn statt Entlassungen "nur" Kurzarbeit angesagt ist, statt betriebsbedingte Kündigungen über den Sozialplan, dann sind das die Verdienste, die sich die Gewerkschaft zu Gute hält.
All das ist weit davon entfernt, die eigenen Mitglieder zu organisieren, um durch Zusammenschluss und Ausschaltung der Konkurrenz untereinander der Macht des Kapitals etwas entgegen zu setzen. Dafür stand übrigens einmal der Begriff der Solidarität, den die Gewerkschaft heute nur noch dann im Munde führt, wenn Verzicht gefordert ist, wenn z.B. Entlassungen, die zur Sicherung von Arbeitsplätzen nötig sind, durchzuführen sind. Dann müssen alle Seiten zusammenstehen.
Gefragt sind die Mitglieder nur noch als Beitragszahler, Wähler von Betriebsräten, Statisten bei Demonstrationen oder Streiks. Ansonsten sollen sie alles ihren Funktionären überlassen, die als kompetente Ko-Manager und Wirtschaftspolitiker genau wissen, was die Wirtschaft braucht. So sollen ja auch eventuelle Lohnsteigerungen nicht einfach den Leuten, für dessen Interessen die Organisation offiziell einsteht, zugutekommen, sondern den Konsum ankurbeln und so die Wirtschaft in Schwung halten.
Damit dennoch Arbeitnehmer sich diesem Verein anschließen (und dafür einen nicht unbeträchtlichen Obolus zu leisten haben), sieht die neue Tarifrunde auch einen Bonus für Mitglieder vor, damit sie sich die Mehrkosten für Fahrten zur Arbeit und für Energie auch in Zukunft leisten können. Denn eins ist klar, die angestrebten Lohnerhöhungen werden dies nicht sicherstellen - genau so wenig, wie sie in den letzten Jahren z.B. die Kostensteigerungen fürs Wohnen ausgeglichen haben, was der erhöhte Anteil der Mietkosten am Lohn zeigt. So erleben wir gegenwärtig, dass dieses elementare Bedürfnis, ein Dach über dem Kopf zu haben, zur "großen sozialen Frage" (Innenminister Seehofer) unserer Zeit mutiert! All dies nach 150 Jahren gewerkschaftlichem Kampf und den entsprechenden Schönrechnereien der Funktionäre!
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