Wenn Schmerzen unerträglich werden: Fachärzte warnen vor Versorgungskrise
Chronische Schmerzpatienten fühlen sich schon jetzt oft nicht ernst genommen. Teils vergehen Jahre bis zur Diagnose. Drohen weitere Verschlechterungen?
Einbildung, Überempfindlichkeit oder Übertreibung sind laut einer Umfrage des Arbeitskreises Patientenorganisationen der Deutschen Schmerzgesellschaft keine seltenen Unterstellungen, wenn Menschen mit hartnäckigen Schmerzen ärztliche Hilfe suchen.
Mehr als 83,7 Prozent der Befragten gaben in diesem Herbst an, schon einmal das Gefühl gehabt zu haben, dass ein Arzt oder eine andere medizinische Fachkraft ihnen das Ausmaß oder die Schwere ihrer Symptome nicht geglaubt habe.
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Bei den 1.200 Befragten waren Fibromyalgie, Migräne oder andere Krankheitsbilder mit chronischen Schmerzen festgestellt worden.
Von insgesamt rund 23 Millionen Menschen mit chronischen Schmerzen in Deutschland gelten rund sechs Millionen als stark in ihrem Alltag eingeschränkt.
Rätselhafte Schmerzattacken: Die diagnostische Odyssee
Die Ursache für chronische Schmerzen bleibt oft lange rätselhaft und wird erst spät diagnostiziert. Laut einer 2022 veröffentlichten Umfrage wartete mehr als die Hälfte der Betroffenen (54 Prozent) nach dem ersten Arztbesuch aufgrund der Schmerzen über ein Jahr auf die Diagnose, bei 25 Prozent dauerte die "diagnostische Odyssee", wie es im Fachjargon heißt, sogar mehr als drei Jahre.
Oft werden im Abstand von mehreren Wochen oder Monaten verschiedene Fachärzte aufgesucht – und gesetzlich Versicherte warteten im vergangenen Jahr durchschnittlich doppelt so lange auf einen Facharzttermin wie Privatpatienten.
In dringenden Fällen lässt sich die Wartezeit durch eine hausärztliche Überweisung mit Dringlichkeitscode verkürzen, kann aber immer noch bis zu vier Wochen dauern.
Dringlichkeitscode vom Hausarzt kann Wartezeit verkürzen
"Als gesetzlich krankenversicherter Patient haben Sie einen Anspruch auf die Vermittlung von Terminen zu Fachärzten in dringenden Fällen innerhalb von vier Wochen", stellt die Verbraucherzentrale klar. "Voraussetzung ist, dass Sie eine ärztliche Überweisung mit Dringlichkeitscode von Ihrem Hausarzt haben."
Die Frage ist aber, wie oft es als dringlich anerkannt wird, wenn eine Kassenpatientin aus ihrer Sicht höllische Schmerzen beschreibt, ohne auffällige Laborwerte, Tumormarker, Herzrhythmusstörungen oder ähnliches vorweisen zu können.
Schmerzen mit unklarer Ursache: ein möglicher Grund bei Frauen
Bei Endometriose versagen auch bildgebende Verfahren wie Ultraschall oder Computertomographie. Letzte Gewissheit gibt es oft erst nach einer Bauchspiegelung unter Vollnarkose, bei der Gewebeproben entnommen werden.
Sechs bis zehn Jahre warten die Patientinnen in der Regel auf eine Diagnose, nachdem sie erstmals Symptome feststellen, die über "normale" Periodenschmerzen hinausgehen und zunehmend ihr Leben beeinträchtigen. Die Krankheit gilt als "Chamäleon der Gynäkologie".
Wenn Endometriose-Wucherungen auf den Ischiasnerv drücken, führt der erste Gang aber meist nicht in eine gynäkologische Praxis, sondern zum Orthopäden oder zur Neurologin, weil die Schmerzattacken dann vor allem Rücken und Bein betreffen.
Schmerzpatienten auf der Suche nach Alternativen
Wer in den Praxen auf Ratlosigkeit trifft, gibt vielleicht irgendwann auf, versucht es mit frei verkäuflichen Schmerzmitteln, Wärmepflastern, Yoga oder Cannabis. Manches davon kann die Symptome eine Zeit lang lindern – aber auch unseriöse "Heiler" aus der Esoterikszene können teils gute Geschäfte mit Menschen machen, für deren Schmerzen zu lange keine medizinische Ursache gefunden wird.
Elektronische Patientenakte: Lösungsansatz mit Haken
Die elektronische Patientenakte soll nun laut Bundesgesundheitsministerium helfen, die "diagnostische Odyssee" zu verkürzen, durch Zusammenführung der Gesundheitsdaten den Ärztinnen und Ärzten einen besseren Überblick zu verschaffen und die Erforschung von Krankheiten zu erleichtern. Allerdings sehen kritische Stimmen in dem Projekt eine Aufweichung der ärztlichen Schweigepflicht – oder sogar deren Ende.
Gesundheitsreform: Fachärzte fürchten Versorgungskrise
Unabhängig davon befürchtet die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) eine Versorgungskrise in ihrem Bereich. "Auf die nun verabschiedete Gesundheitsreform folgen Strukturveränderungen mit weitreichenden Auswirkungen auf die schmerzmedizinische Versorgung im ambulanten, teilstationären und stationären Bereich", erklärte am Donnerstag der designierte Präsident der DGS, Dr. Richard Ibrahim.
Die beschlossene Krankenhausreform gefährdet nach Einschätzung von Fachleuten die Existenz spezialisierter schmerzmedizinischer Einrichtungen. Die Gewerkschaft ver.di hatte in diesem Zusammenhang generell vor einem "Kliniksterben" mit drastischen Folgen für die flächendeckende Versorgung gewarnt, falls nicht bald eine Brückenfinanzierung für wirtschaftlich angeschlagene Krankenhäuser komme.
Die Deutschen Schmerz- und Palliativtage 2025 in Frankfurt am Main sollen deshalb im März unter dem Motto "Sichere Versorgung – ambulant, teilstationär, stationär" stehen.