Wenn das Quantenbit sich seiner selbst gewahr wird
In Luzern nahmen sich vorwiegend die Physiker des "Rätsels des Bewusstseins" an
Vor zehn Jahren wäre wahrscheinlich alles noch ganz anders gewesen: Ein Symposium mit dem publikumswirksamen Titel "Das Rätsel des Bewusstseins" hätte Hirnforscher, Neurologen und andere Biologen, Vertreter der und andere Philosophen und vielleicht noch Psychologen versammelt. Mit anderen Worten, jener transdisziplinäre Diskurszusammenhang, der sich "Kognitionswissenschaften" nennt, wäre Auskunftspartner gewesen, und Namen wie Gerhard Roth, Wolf Singer, Detlef Linke oder Ernst Pöppel wären wohl auf der Referentenliste gestanden. Heute, im Jahr eins nach dem offiziellen Ende der "decade of the brain", sieht die Sachlage völlig anders aus: Mathematiker, (Quanten-)Physiker und Ästhetikwissenschaftler sowie -praktiker geben Auskunft über ihre Theorien und Thesen zur Entstehung des Bewusstseins.
Von der Neurobiologie zur Neurophysik?
Und so versammelte René Stettler von der Neuen Galerie Luzern auf seinem "4. biennalen internationalen Symposion zu Wissenschaft, Technik und Ästhetik" Referenten, die sich mit Bewusstsein eben nicht (mehr) auf organischer oder neuronaler Ebene beschäftigen, sondern die noch tiefer, in den Nanobereich der Quantenwelt schauen. Klingende Namen standen auf dem Programm: Roger Penrose, der durch populärwissenschaftliche Bücher weltweit einem breiten Publikum bekannt ist; Anton Zeilinger, der oberösterreichische Quantenphysiker, der vor allem aufgrund seiner Quantenteleportations-Versuche (des "Beamens" aus der Science Fiction) viel Medienresonanz erhielt; Stuart Hameroff, der Guru unter den Bewusstseinsforschern neuen Typs aus den USA. Knapp 400 Menschen pilgerten für zwei Tage ins volle (und viel zu enge) Luzerner Theater. Bei weitem nicht jeder dürfte verstanden haben, worum es ging. Grundkenntnisse in Mathematik waren für mehrere Vorträge nötig, auch epistemologisches Vorwissen war mitunter gefragt. Und dennoch: Vor allem am ersten Tag kam es zu einer höchst spannenden Diskussion am Schnittpunkt von Realismus und Konstruktivismus, von 'objektiver' und 'subjektiver' Interpretation der Quantenphänomene.
Bewusstseinsforscher - Problemlöser oder -macher?
Doch worin liegt überhaupt genau das Rätselhafte des Bewusstseins? Gibt es überhaupt Rätsel auf? Stuart Hameroffs Antwort in seinem Vortrag: Rätselhaft sei vieles - die subjektive Erlebnisseite des Bewusstseins (als "Qualia"-Problem bekannt), die Einheit des Selbst und der Wahrnehmung, der offensichtlich indeterministische freie Wille, das subjektive Zeitempfinden, die Gebundenheit von Bewusstsein an lebende Systeme und vieles andere. Und Roger Penrose fragte: Wie ist es möglich, dass Bewegung und Farbe eines Objekts in der subjektiven Wahrnehmung zusammenkommen, wo doch verschiedene Inputs in verschiedenen Gehirnarealen verarbeitet werden?
Der als Chairman eingeladene Klagenfurter Philosoph Josef Mitterer würde auf diese Frage wohl antworten: Diese Rätsel seien nur dann rätselhaft, wenn man Voraussetzungen nicht reflektiere, die diese Rätsel erst erzeugten. Bei der Unzahl an Bewusstseinsforschern, die alle das Rätsel des Bewusstseins lösen wollen, vergesse man fast, wer das Rätsel eigentlich geschaffen habe, sagte Mitterer auf dem Symposium ganz nebenbei in der Befragung Ernst von Glasersfelds. Für Mitterer sind die selbstgeschaffenen Rätsel des Bewusstseins Folgen unserer dualistischen Logik und Sprechweise. Für das Penrose-Beispiel bedeutet dies: Das Rätselhafte an der Einheit der Wahrnehmung entsteht nur dann, wenn man unterstellt, dass das Objekt aus der Wahrnehmungswelt schon vor der Wahrnehmung als Einheit existiert und dann vom Gehirn zerlegt und wieder zusammengebaut wird. Die Einheit der Wahrnehmung ist nur rätselhaft, wenn entweder die Verarbeitungsprozesse im Gehirn als reale Welt oder aber das erkannte Objekt als Realität aufgefasst wird, die es zu untersuchen und erforschen gilt. Also wäre eine konstruktivistische Sicht auf das Bewusstsein des Rätsels Lösung?
Hilft der Konstruktivismus?
Für Ernst von Glasersfeld, den mittlerweile 83jährigen Mitbegründer der (radikal)konstruktivistischen Philosophie, jedenfalls nicht, um den Dualismus zu überwinden. Im Abstract seines Eröffnungsvortrags "Wie das Ich von sich zu wissen beginnt" heißt es:
"In einer pragmatischen Untersuchung (...) will ich nahe legen, dass 'Selbst', 'Reflexion' und 'Bewusstsein' unzertrennlich miteinander verbunden sind. Wir können sie zwar als Phänomene ungefähr beschreiben, doch ihr Ursprung bleibt das Geheimnis einer der menschlichen Vernunft anscheinend unzugänglichen Sphäre."
Ernst von Glasersfelds wie immer in edelstem Prager Deutsch gesprochenen Worte waren zwar sicher die allgemeinverständlichsten, aber die Fragen und Paradoxien, die der Konstruktivismus immer schon aufgeworfen hat, wurden einmal mehr offensichtlich: Wer ist im Konstruktivismus das Agens, wer ist also Konstrukteur - und was ist Konstrukt dieses Konstrukteurs? In Glasersfelds Vortrag koexistierten die Begriffe "Beobachter", "Denkender", "Selbst", "Geist", "Bewusstsein", "Verstand", "Ich", "Wille" und "Subjekt" derart friedlich und nicht näher bestimmt, dass man fast zu dem Schluss kommen musste, all diese Instanzen seien Konstrukteure und Konstruktionen zugleich. Man landet also einmal mehr im urkonstruktivistischen Problem, wie es logisch zu bewerkstelligen sei, dass der Konstrukteur eine Konstruktion des Konstrukteurs ist.
Der Realitätsstatus der Quantenwelt
Und dennoch steckten die eröffnenden Ausführungen Glasersfelds die weitere Debatte ab, allerdings auf einer völlig anderen Ebene: Auch unter den Quantenphysikern tobt (neuerdings wieder vermehrt?) ein Realismus/Konstruktivismus-Problem: Man streitet über den Realitätsstatus der Quantenwelt. Das Luzerner Symposium zeigte, dass es realistisch-objektivistische (Penrose) als auch konstruktivistisch-subjektivistische (Zeilinger) Interpretationen von Quantenphänomenen gibt. Im Modell von Penrose etwa wandelt jeder Mess-Akt die Quantenwelt, die durch Phänomene wie Überlagerung (superposition) und Verschränkung (entanglement) gekennzeichnet ist, in die klassische Welt um - diesen Vorgang nennt Penrose die "objektive Reduktion". Die Quantenwelt ist daher sehr wohl reale Basis und Substrat, der Messende kommt allerdings immer schon zu spät, also bleibt für die Physik nur mehr die einzige klassische Welt 'übrig'.
Das Bewusstsein (des Messenden) taucht allerdings auch bei Penrose auf, obwohl er im Vortrag lapidar meinte, "you don't need it". Im sogenannten Hameroff-Penrose Modell der "orchestrierten objektiven Reduktion" (Orch OR) entsteht Bewusstsein ebenfalls durch einen Übergang von der Quantenwelt in die klassische Welt: Intrazelluläre Proteinstrukturen im Nanobereich, sogenannte Mikro-Tubuli, erzeugen in diesem Modell beim Kollaps der Wellenfunktion ein bewusstes Ereignis, die informationellen Codierungen dieser Strukturen können als Quantenbits bezeichnet werden. - Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass derartige Reduktionismus-Theorien auch bei Biologen in ähnlicher Form vorkommen, wie etwa die 'Kennzeichnungs-Hypothese' von Gerhard Roth u.a. Für Anton Zeilinger beschreiben (quanten)physikalische Phänomene keine wirkliche Welt. Mit "there is no quantum world" beginnt sein Lieblingszitat von Niels Bohr. Zeilinger interessiert das qubit (= das Quantenbit) nicht als Einheit, die durch 'objektive Reduktion' die eine und reale Wirklichkeit entstehen lässt, sondern als subjektiver Informationsträger in Konsequenz der Wahl des Messapparats. Zeilinger stellte sich gleich zu Beginn seines Vortrags "Quanten und Information: Eine Rolle des Bewusstseins?" in Opposition zu Penrose, was in der anschließenden, von Peter Weibel geleiteten Diskussion zu einem Aufflammen der Realismus/Konstruktivismus-Kontroverse führte. Josef Mitterer betonte hingegen, dass sowohl realistische als auch konstruktivistische Positionen von dualistischen Bezügen auf die Welt ausgingen - die Frage, ob die Quantenwelt real sei oder nicht, wäre in seinem nondualistischen Erkenntnismodell jedenfalls mehr als obsolet.
Der Endo-Blick oder: Das Bewusstsein als Gefängnis
Nach einem philosophisch erkenntnisreichen ersten Tag ging es etwas mehr down to earth weiter: Es waren Menschen am Wort, die eher die Bewusstseinsrätsel erhärteten denn diese zu lösen vermochten: Stuart Hameroff beschäftigte sich in seiner Nachbar-Rolle als Anästhesiologe mit der Frage, warum unter Narkotisierung die Bewusstseinswelt völlig verschwindet. Der kolumbianische Anthropologe Luis Eduardo Luna sprach über die bewusstseinserweiternde Wirkung des Ayahuasca-Getränks aus der Amazonasregion. Glasersfelds These vom Vortag, wonach Bewusstsein ein stufenweise-graduelles und kein binäres oder gar einheitliches Phänomen sei, wurde so empirisch veranschaulicht. Bei der zweiten Podiumsdiskussion ging es dann wieder um die reale Realität: Ob veränderte Bewusstseinszustände einen Einblick in ebendiese ermöglichten, fragte Peter Weibel die mittlerweile angewachsene Runde aus Anthropologie, Medienkunst, Mathematik und Physik. Bevor es aber so weit war, wartete das Auditorium gespannt auf den Vortrag des Tübinger Physikers Otto E. Rössler.
Der Mann mit Kontaktmikrofon auf traditionell weißem Hemd sprach nicht nur viel von Einstein, er ähnelt ihm auch immer mehr: Vorträge von Otto Rössler sind Performances im wahrsten Sinne des Wortes, die ihm das gestatten, was jedem Studierenden im Proseminar verwehrt wäre (und für diesen wohl den baldigen Rauswurf aus der Universität bedeuten würde): Völlige Unvorbereitetheit und kultivierte Spontaneität, konstante Themenbrüche und gerissene Fäden, aufblitzende Genialität und wiederholtes Scheitern, welterklärender Ernst und selbstkritische Ironie, und das alles in Personalunion. Rössler in Dialog mit seinen leeren Overhead-Folien: Irgendwann/-wo muss der Vortrag ja beginnen. Draw a distinction, and you create a universe. Man kann Rössler nur lieben oder hassen. Oder mit ihm Mitleid haben. Rössler ist entweder der neue Einstein oder ein bluffender Schaumschläger - ich vermag es nicht zu beurteilen. Fest steht: Über Inertialsysteme und das Äquivalenzprinzip, über Phasenräume und Lichtkegel, über Post-Quantum Relativity und das Interface kam Rössler irgendwann zu der Aussage, dass jeder in seiner eigenen Quantenwelt lebe. Und: Das Bewusstsein sei unzerstörbar, und deshalb könne es auch keinen Selbstmord geben. "No one here get's out alive", wurde einmal mehr zitiert, und die Endophysik bot den bewährten Rahmen für eine metaphysische Interpretation unserer Welt als reality bubble.
Und die Kunst?
Die Quantenphysik und ihre erkenntnistheoretischen Interpretationen überlagerten auf dem Symposium nicht nur den Eröffnungsvortrag Ernst von Glasersfelds, sondern auch einen Vortrag und eine Präsentation im Kunstkontext: Ulrike Gabriel zeigte ihre interaktiven Medienkunst-Arbeiten, und Roy Ascott (sein Institut findet sich unter www.caiia-star.net) lieferte mit seiner (formal brillanten) techno-optimistischen Power-Point-Show zu unserer Zukunft aus Atomen, Bits, Neuronen und Genen das geeignete hybride Vokabular für interaktive Kunst: Neuschöpfungen wie "Technoetics", "Cyberception", "moist media", "vegetal reality" oder "natrificial space" grooven zwar ohne Ende, sind aber letztlich doch affirmative Ideologie. Man braucht sie kaum, um über Bewusstseinstheorien zu diskutieren, und dementsprechend erzeugten sie auch nur geringe Resonanz und wenige Anschlüsse in den Podiumsdiskussionen.
Dennoch: Es bleibt ein positiver Gesamteindruck von diesem Symposium, und im Zeitalter der schwindenden Bedeutung der Symposiumskultur und der Konferenzmüdigkeit der Besucher (siehe dazu diverse Konferenz-Berichte in dieser Rubrik) ist dies umso beachtlicher. Nicht alles war - wie erwähnt - allgemeinverständlich, anderes wiederum zu trivialisierend und auch irgendwie 'wissenschaftspopulistisch', aber dennoch: Die Quantendebatte zum Bewusstsein hat gezündet, ihre erkenntnistheoretische Metadiskussion erst recht - und man darf hoffen, dass dritte Wege jenseits von Realismus und Konstruktivismus, wie sie etwa Josef Mitterer vorschlägt, die zukünftige Debatte noch deutlicher bestimmen werden.