"Wenn die Linie fehlt ..."

Seite 2: "Hoch die internationale Solidarität!"

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"In der DDR war Internationalismus Staatsdoktrin", entgegnete ein Vertreter der Initiative "Ossis gegen Rechts", deren Flyer mit dem Untertitel" Faschisten gehören in den Knast und nicht in das Parlament! (und nicht die CSU vergessen)" als Antwort auf den Hinweis, dass das Phänomen der Xenophobie auch in der DDR bekannt war.

"Auch bei uns in Bayern gibt es Gegenden, wo die Linke auf über 5% gekommen ist", berichtete Ursula Grandel, Geschäftsführerin des Unternehmens "Partizantravel" freudestrahlend. Die Firma bietet ausschließlich Reisen in von Separatismus geprägte Regionen Europas an, wie beispielsweise in das Baskenland, Schottland und Nordirland. Buchhändler stellten neben den Klassikern des Marxismus auch die Werke linker Autoren aus aller Welt vor. Wie im Katholizismus hat auch im Kommunismus die Internationalisierung längst begonnen, dominierten die Autoren aus Lateinamerika, Asien und vor allem Afrika.

Im Café K , welches von Mitgliedern der DKP betrieben wurde, gab es belegte Schnitten und Getränke. An den Tischen entstanden Gespräche und Diskussionen jenseits des offiziellen Veranstaltungsprogramms in der Haupthalle. Ein Stadtrat aus dem Hessischen erzählte: "Ich bin bei uns bekannt wie ein bunter Hund, schon seit den 1920er Jahren wählt man bei uns im Städtchen dunkelrot."

Eine Lehrerin aus Dortmund, die mit ihren drei erwachsenen Kindern angereist ist, hörte interessiert zu. Ihre Söhne studieren Medizin und Jura, die Tochter ist Künstlerin, bezeichnet sich im Gegensatz zu ihrer Mutter als Anarchistin und hat für die Konferenz extra eine Grafik angefertigt, welche auf die Armut in der Welt hinweist. "Ich hatte Berufsverbot", sagte die Mutter "Erst 1983 durfte ich wieder als Lehrerin arbeiten. Früher hatten wir 3000 Mitglieder, alleine in der DKP Dortmund, so viel sind es heute wohl in ganz Deutschland. '89 sind viele ausgetreten, sehr viele, auch ich wollte schon oft hinschmeißen, aber nun gut!" Die Linke wäre für sie keine Alternative: "Dort gibt es viel Prekariat, zumindest bei uns in Dortmund!"

Auf einer Podiumsdikussion von DKP und SDAJ wurden die Redner von einigen jungen Leuten herausgefordert, die in FDJ-Hemden erschienen waren. Einer der Blauhemden, ein junger Mann mit altklugem Gesichtsaudruck, der sich in bayrischer Mundart ausdrückte, warf den Gästen auf der Bühne Revisionismus vor, bezüglich deren politischer Aktivitäten in der Bundesrepublik der 1960 und 1970er Jahre, worauf er von Vertretern der Anitfa als "Spalter" beschimpft wurde.

Die FDJler, die Kampfreserve ohne Partei, die Staatsjugend ohne Staat, verließen daraufhin empört den Saal und wurden dabei von dem Schlachtruf der Autonomen begleitet: "Hoch die internationale Solidarität!" Vor der Tür hatte ein 17jähriges Mitglied der SDAJ, der "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend", dessen Eltern als Immobilienmakler tätig sind und das in der vergangenen Nacht aus Frankfurt am Main angereist war, von den Blauhemden eine DDR-Fahne erworben. Stolz verkündete der im Jahr 2000 geboren Schüler, die DDR wäre für ihn der bessere deutsche Staat, weil dort die Rechte von Homosexuellen angeblich besser verankert waren.

"Sind Menschen tatsächlich alle gleich?"

Unterdessen referierte einer der interessantesten Gäste, der Politikwissenschaftler Achille Mbembe, zu dem Thema "Sind Menschen tatsächlich alle gleich?" Es handelte sich um einen inspirierenden Beitrag, des gebürtigen Kameruners, der in Johannesburg als Professor lehrt. In seinem Werk Critique de la raison nègre, auf Deutsch unter dem Titel Kritik der schwarzen Vernunft erschienen, analysiert er die geopolitischen Zielsetzungen des Globalkapitalismus und die legt die Entstehung des rassistischen Denkens im Kapitalismus frei.

Mbembe vertritt unter Anderem die These, wonach wir uns in einer paradoxen Epoche befinden würden. Noch nie habe es dank digitaler Technik so viele Wissensquellen wie heute gegeben. Und doch herrsche überall das blanke Unwissen. Ferner beschreibt er einen Zerfall der Gesellschaften, sieht prosperierende Inseln, inmitten von Zonen der Verelendung, und beruft sich dabei auch auf Walter Benjamin.

Zum Abschluss der Konferenz erklang die Internationale. Am Ausgang sagte ein Besucher zu seiner Frau: "Ich bin sicher, die Revolution wird kommen, aber nicht mehr in Europa!" Der Mann trug ein Buch in der Hand, welches er wahrscheinlich auf der Konferenz erworben hatte, ein Buch des italienischen Philosophen und Kommunisten Domenico Losurdo, mit dem Titel "Wenn die Linke fehlt". Untertitel "Gesellschaft des Spektakels, Krise, Krieg".

In einer Zeit, wo 45 Prozent aller Amerikaner Facebook als ihre wesentliche Nachrichtenquelle bezeichnen, wie der britische Historiker Niall Ferguson kürzlich erläuterte, darf man mit Sicherheit der Frage nachgehen, was passiert, wenn eine Linke fehlt - bzw. ob diese fehlt. Der Autor des erwähnten Buches schreibt diesbezüglich im Vorwort:

Durch die Tatsache, dass in unseren Tagen, wie wir gesehen haben, seriöse westliche Wissenschaftler beklagen, im Westen sei heute die "Demokratie" durch "Plutokratie" ersetzt worden, ist die Rede der herrschenden Ideologie über "Demokratie" noch grotesker. Und dabei geschieht es im Namen der "Demokratie", dass infame koloniale und neokoloniale Kriege entfacht werden, und ebenfalls in ihrem Namen, dass die Vereinigten Staaten in Komplizenschaft mit ihren Vasallen die Kriegsvorbereitungen gegen China und Russland verstärken.

Dem wäre eigentlich nichts hinzuzufügen.