"Wenn die Linie fehlt ..."
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Impressionen von der diesjährigen Rosa-Luxemburg Konferenz in Berlin
Mit den drei Buchstaben MOA schmückt sich im Berliner Ortsteil Moabit seit geraumer Zeit alles, was urban, hip und irgendwie angesagt klingen soll.
Dieses Viertel bewegt sich, was das Image und die öffentliche Ausstrahlungskraft angeht, im Schatten von hauptstädtischen Bezirken und Wohngebieten wie Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln oder dem benachbarten Prenzlauer Berg, obwohl dieser inzwischen als totsaniert gilt und die Aura von grünbourgeoiser Behäbigkeit und Biedermeier verströmt. Auf jeden Fall ist Moabits öffentliche Wahrnehmung ausbaufähig, von einigen Lebensstil-Enklaven abgesehen, die ungefähr dem entsprächen, was eine Stadt sein sollte, wie es Truman Capote einst mit folgenden Worten ausdrückte:
nämlich stets frech und lebendig, ein Ort, wo man zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Buch kaufen oder einen Freund treffen kann, wo jede Sprache gesprochen wird und Fremdenhass fast unbekannt ist, wo für jeden Geldbeutel und Appetit gesorgt ist, wo jede Straße in jedem Viertel und ihre Bewohner ihre Funktion erfüllen und nicht in Apathie, Gleichgültigkeit und Verwesung versinken
Während Moabit lange Zeit überwiegend Assoziationen von endlosen Reihen wilhelminischer Mietskasernen hervorrief, von Industrieanlagen und Gewerbehöfen, soll MOA identitätsstiftend wirken (Sind wir nicht alle MOA?), Aufbruch und Dynamik anklingen lassen, bereits jenen Prozess umschreiben, welcher von Stadtökologen und Humangeographen als Gentrifizierung bezeichnet wird. Die geographische Lage Moabits, heute ein Bestandteil des Bezirkes Mitte, in unmittelbarer Nähe des Regierungsviertels gelegen, ist diesbezüglich Fluch und Segen dieses innerstädtischen Wohnquartiers zugleich.
Ein Einkaufszentrum im Ortsteil, gemäß den Gesetzen der Globalisierung als "Mall "bezeichnet, trägt auch den Namen MOA, ebenso das sich in diesem Zentrum befindliche Mercure-Hotel, welches am vergangenem Sonnabend als Veranstaltungsort der diesjährigen Rosa-Luxemburg-Konferenz fungierte.
Impressionen von der diesjährigen Rosa-Luxemburg Konferenz in Berlin (11 Bilder)
Der Ort war aber nicht als ideologisches Bekenntnis zu verstehen, wie die Veranstalter verlautbaren ließen (etwa um vor Ort die schroffen Gegensätze im Zeitalter des Turbokapitalismus studieren zu können), sondern - viel profaner - um die Kosten niedrig zu halten.
Um ins Hotel zu gelangen, mussten die zahlreichen Besucher der Konferenz eine Rolltreppe betreten, die in den ersten Stock führte, in den Veranstaltungsort. Schon eine halbe Stunde vor der offiziellen Eröffnung war diese Rolltreppe überfüllt. Es bildete sich eine Schlange von dem Eingangsbereich der Mall, vor deren Türe eine Initiative zur Erinnerung an den in einer Polizeizelle in Dessau ums Leben gekommenen Asylbewerber Oury Jalloh ihren Stand aufgebaut hatte, bis zu der Sicherheitskontrolle vor dem Tagungsort.
Das Warten in der Schlange, flankiert von den Agitationsversuchen trotzkistischer Gruppen, die den Besuchern - gegen Bares - ihre publizistischen Erzeugnisse zu verkaufen versuchten, gab Möglichkeit für eine Milieustudie, bezüglich der Gäste dieser Konferenz. Ein ältere Dame, die etwas zu viel Rouge aufgetragen hatte (vielleicht handelte es sich dabei auch um ein politisches Bekenntnis), zeigte sich entzückt, wie ihr eine Spartakistin die Katalonien-Krise erklärt hatte, und kaufte ihr gleich ein Exemplar des nach dem römischen Gladiator, dem Führer des Sklavenaufstandes, benannten Druckerzeugnisses ab.
Eine andere Besucherin bekannte:
Ich hatte nie etwas mit den Linken am Hut, bin im alten West-Berlin aufgewachsen, stramm antikommunistisch. Allerdings wundere ich mich immer über diese Nachrichten, wonach die Konjunktur brummt, in meinem Umfeld reicht es weder hinten und vorne nicht. Vielen geht es finanziell schlecht. Verschuldet, schlecht bezahlt, kein guter Arbeitsplatz, zu teure Miete, Angst vor Mieterhöhung, Kfz Prämie wieder erhöht, Strom und Gas erhöht und, und, und. Warum Inzwischen bin ich der Meinung, dass wir sehr viel mehr Sozialpolitik benötigen. Das sage ich, als ehemalige CDU-Wählerin. Hier auf der Konferenz suche ich nach Antworten, wenn das meine Eltern wüssten, die würden sich im Grabe umdrehen.
Afrika war der diesjährige Schwerpunkt der Konferenz, unter dem Motto "Amandla! Awethu! - Alle Macht dem Volk", einst Kampfslogan des ANC im Kampf gegen das Apartheidregime. Dargeboten wurde das dicht gedrängte Programm von den Moderatoren, der Sängerin Gina Pietsch und dem Kabarettisten Dr. Seltsam. Zum 23. Mal verantaltete die Tageszeitung Junge Welt zusammen mit rund 30 Unterstützerorganisationen den Jahresauftakt der bundesdeutschen Linken.
Der internationale Anspruch war zunächst sicherlich eher an den geladenen Gästen erkennbar (unter ihnen der stellvertretende Außenminister Venezuelas oder Adel Amer, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Israels), als an den Besuchern, die sich vor dem Eingangsbereich drängten.
Etwa 3000 Gäste wurden als Besucher gezählt, ein Anstieg, für den es Erklärungsbedarf gibt. Fast 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der realsozialistischen Regime haben sich die Visionen des amerikanischen Politologen Francis Fukuyama, wonach das Ende der Geschichte angebrochen sei, die Zukunft der amerikanischen Form der Demokratie und Marktwirtschaft weltweit gehören werde, verdunkelt.
Die Globalisierung - mit ihren Wesensmerkmalen des hochmobilen Kapitals, der beschleunigten Kommunikation und der raschen Mobilisierung - hat überall zu einer Schwächung älterer Regierungsformen geführt, ob in den Demokratien Europas, den autoritären Regimes der arabischen Welt oder andernorts. Vor allem auch zu einer Schwächung der demokratischen Institutionen. Die von der ersten Finanzkrise 2008 ausgegangenen Schockwellen, der Brexit, wie auch die amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 bestätigen, was Hannah Arendt schon 1968 analysierte:
wonach zum ersten Mal in der Geschichte aller Völker der Erde eine "gemeinsame Gegenwart" hätten. Gerade im Zeitalter der Globalisierung sei jedes Volk "der unmittelbare Nachbar jedes anderen" geworden, und Erschütterungen auf der einen Seite des Erdballs teilen sich mit außerordentlichen Geschwindigkeit der gesamten Erdoberfläche mit.
Die technologischen Möglichkeiten unserer Zeit, die Allgegenwart der sozialen Netzwerke, haben diese Entwicklung dramatisch beschleunigt. Der indische Schriftsteller Pankaj Mishra vermerkte diesbezüglich:
Die bösartigen Köpfe des IS nutzen die wechselseitige Abhängigkeit in der Welt besonders entschlossen für ihre Zwecke. In ihren Händen verwandelt sich das Internet in ein verheerend effektives Propagandainstrument im Dienste des globalen Dschihad. Aber auch Demagogen jeglicher Couleur, von Recep Tayyip Erdogan in der Türkei, über Narendra Modi in Indien bis hin zu Marine Le Pen in Frankreich und Donald Trump in den USA, nutzen die aufgestaute Mischung aus Zynismus, Langeweile und Unzufriedenheit.
Das diesjährige Konferenzgeschehen zog sich über 2 Etagen hin. In der oberen Etage, präsentierte sich ein Großteil der linken und ultralinken Szene: über 70 Vereine, Institutionen und Initiativen in Form von Infoständen. Anarchisten neben Anhängern der 4. und 5. Internationale waren hier ebenso anzutreffen, wie die maoistischen Popagandisten der Theorien von Bob Avakian, die zumindest in Deutschland unter anderen Linken einen eher zweifelhaften Ruf genießen.