Wenn die Mediziner in Eizellen schwimmen

Was tun, wenn die Kühltruhen von kostbaren menschlichen Eizellen überquellen? Die Chance der Jungfernzeugung ausloten!

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Ian Wilmut vom Roslin Institute, Edinburgh, bekannt durch das Schaf Dolly, hat den Wunsch, Eizellen parthenogenetisch weiterzuentwickeln, von der britischen Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) absegnen lassen.

Der Wissenschaftler erklärte kürzlich im "National Institute of Health", Bethesda, vor einem fachkundigen Auditorium, ihm ginge es nunmehr um die Stammzellenforschung, damit zukünftig die bekannten angeborenen Erkrankungen wie myatrophische Lateralsklerose und Lou Gehrig Erkrankung behandelt werden können. Da mit diesen selten Krankheiten kein Geld gemacht werden kann, dürften Bemerkungen in der britischen Presse zutreffen, wonach sein Blick auf den perfekten Klon ausgerichtet bleibt, und der Umweg über die Stammzellenforschung aus der Not eine Tugend macht. Keine zwei Jahre ist es her, da verbot die HFEA in Großbritannien das reproduktive Klonen und entschied, dass artifiziell erzeugte menschliche Embryonen innerhalb von 14 Tagen vernichtet werden müssen. Nun im März dieses Jahres die erste Korrektur: das britische Oberhaus erleichtert die Forschung für den Zellkerntransfer und überraschenderweise auch die Parthenogenese, wenngleich nicht zum Zwecke des Klonens.

8 Tage alte Embryonen aus Oozyten (Bild: Science: 2002;295:819)

Jungfernzeugung und Jungferngeburt sind nicht erst mit Jesus Christus in die Welt gekommen. Nach der Sage hat Zeus seine Tochter Pallas Athene aus seinem Haupt auf dem Gipfel des Olymp geboren; deshalb "Parthenos" der Beiname der Athene. Hesiod erklärt den göttlichen Vorgang so: Zeus in der Furcht vor einem Kind, das stärker ist als er, verschlingt seine erste Gemahlin Metis und bringt die gemeinsame Tochter durch Kopfgeburt zur Welt.

So bedeutungsschwanger sieht es die Zoologie nicht. Da meint Parthenogenese die Nachkommen aus unbefruchteten Eiern der Mutter. Das führt beispielsweise bei den Bienen zu Drohnen (haploider Chromosomensatz), im Unterschied zu den befruchteten Eizellen, aus denen sich die diploiden fleißigen Weibchen entwickeln. Bei Reptilien und Vögeln entstehen durch die automiktische Parthenogenese männliche Nachkommen, weil sich während der Meiose ein haploider Richtungskörper wie eine Samenzelle verhält und mit der haploiden Eizelle fusioniert. Bei der apomiktischen Parthenogenese hingegen bleibt die Reduktionsteilung aus. Somit haben die durchweg weiblichen Nachkommen den gleichen Chromosomensatz wie die Mutter. Schaben, wie die gewöhnlichen Küchenschaben, werden apomiktisch, falls die Schabenmänner ausbleiben.

Bei Säugetieren wurde die Parthenogenese 1936 von Gregory Pincus mit Kaninchenoozyten beschrieben: die richtige Temperatur und chemische Zusätze waren erfolgreich; danach scheiterte die weitere Entwicklung an den unzulänglichen technischen Möglichkeiten. Vor zwei Jahren berichteten Michael West und Mitarbeiter von Advanced Cell Technology (ACT) in Massachusetts über kurzlebige menschliche Parthenogeneten und ein Jahr später über den besseren Erfolg mit nicht-menschlichen Stammzellen.

Im Frühjahr beschrieben Helen Lin und Mitarbeiter von der Stemron Corporation, Inc. aus Maryland in Stem Cells die Entwicklung menschlicher Oozyten zu Stammzellen. "Die Verwendung unbefruchteter Eizellen ist weniger kontrovers als die von Embryonen," erklären die Autoren und sie fügen einen beachtenswerten Gesichtspunkt hinzu: "Ohne Kontakt mit einem Spermium ist die Eizelle in Bezug auf alle anderen Stammzelltypen unvergleichlich homozygot. Das bedeutet, sie ist weniger immunogen und damit anpassungsfähiger unter Bezug auf MHC, den Major Histocompatibility Complex." Das bedeutet weniger Eigenleben im Zellkomplex und weniger Abstoßungsreaktionen.

An diesen Erfolg will Ian Wilmut anknüpfen. In Großbritannien werden das Roslin Insitute, das Guy's Hospital in London, das Institute of Stem Cell Research an der Universität von Edinburgh und das Londoner Fertility Centre mit Eizellen überschwemmt, die bei der künstlichen Befruchtung anfallen.

Niemand kümmert sich darum, dass Milliarden männlicher Spermien täglich verloren gehen, durch den Geschlechtsverkehr und durchs Onanieren. Anders bei Frauen: die Eizelle reift im 4-Wochen-Rhythmus heran, womit statistisch gesehen von der Menarche bis zur Menopause etwa 400 Oozyten gebildet werden. Eizellen waren anfänglich also Mangelware, zumal sie nicht nur einfach herausfließen, sondern zur Freisetzung die geübte Hand des Mediziners benötigen. Im Zuge der Sammelfreudigkeit haben sich Eizellen in Masse angesammelt. Zum einen, weil die operative Entnahme von Oozyten großzügig darauf zugreift. Zum anderen, weil die Befruchtung von mehr als einer Eizelle wegen der daraus erwachsenen Mehrlingsschwangerschaften mit hirngeschädigten Kinder mittlerweile verboten ist. Auch will die gebär-suchende Frau nur selten auf die Eier einer Geschlechtsgenossin zurückgreifen, um "ihr" Kind zu empfangen.

Eingedenk der natürlichen Lösungen ist die prospektive Potenz der ungeschlechtlichen Vermehrung äußerst ermutigend. Auch könnte sich die katholische Kirche kaum dem Erfolg verschließen, sollte ein Klon parthenogenetisch statt durch aufwendigen Kerntransfer zur Welt gebracht werden. Folglich bestätigt der 25. Jahrestag der künstlichen Befruchtung, der kürzlich in England mit 1000 auf diese Weise in die Welt gekommenen Menschen zelebriert wurde, den Spruch "gut Ding braucht Weil".

Während anderswo mit drakonischen Strafen der Überbevölkerung begegnet wird und Millionen von Waisen jahrelang ohne Familienanschluss bleiben, wird das Versagen, leibliche Kinder in die Welt zu setzen, in der westlichen Welt als Krankheit und als Makel empfunden. Daraus ist inzwischen eine Industrie geworden, die dringend nach Absatzmärkten sucht.