Wer bezahlte die Spitzel?
Die Enthüllungen über dubiose Aktivitäten britischer Spitzel bei Gipfelprotesten in Deutschland werfen zahlreiche rechtliche Fragen auf. Die Affäre beschäftigt jetzt die Landtagsparlamente
Nachdem die Enttarnungen britischer Spitzel und ihre internationale Verwendung in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten hohe Wellen schlugen, nimmt die Aufarbeitung der Affäre in Deutschland jetzt ihren Weg durch die Landesparlamente. Eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Barbara Borchardt fragt das Landesinnenministerium Mecklenburg-Vorpommern jetzt nach Details der Zusammenarbeit zwischen der Rostocker Polizei und dem Scotland Yard anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm.
Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) Jörg Ziercke hatte erklärt, Kennedy habe aus Berlin "nicht berichtet, sein Aufenthalt dort hätte stattdessen seiner "Legendenbildung“ gedient. Folglich habe auch das Berliner Landeskriminalamt (LKA) nicht von den britischen Behörden informiert werden müssen. Allerdings ist fraglich, wie ein Spitzel überhaupt "außer Dienst sein“ kann, wenn er weiter seine falsche Identität benutzt. Berlin war zudem Kennedys jahrelanger Hauptstützpunkt in Deutschland, wo er zahlreiche Freundschaften inszenierte wie auch an Treffen teilnahm. Laut Selbstauskunft hat er seinen Vorgesetzten auch "Beweismittel“ von dort mitgebracht. Kennedy war also durchaus in Berlin dienstlich unterwegs. Es läge ein Bruch internationaler Verträge vor, wenn seine britischen Vorgesetzten deutschen Behörden hierüber nicht berichteten.
Kennedy hat in Berlin – auf dem Höhepunkt der "militanten Kampagne“ linker Gruppen und einer durch Medien emotional aufgeheizten Öffentlichkeit – im Rahmen einer Demonstration zum Erhalt von Hausprojekten eine Mülltonne als Barrikade angezündet. Ausländische verdeckte Ermittler dürfen allerdings keine "milieubedingten Straftaten“ begehen. darauf weist auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage hin. Das scheint den meisten Spitzeln indes egal zu sein: Kennedy gab beispielsweise zur Unterstützung seiner Legende als "Drogenkurier“ Heroin und Kokain weiter. Nach seiner Verhaftung in Berlin im Anschluss an die "One struggle - One fight"-Demonstration Ende 2007 wurde er umgehend freigelassen, sein Brandstiftungs-Verfahren als "Bagatelldelikt“ schnell eingestellt. Die Berliner Staatsanwaltschaft behält indes andere Aktivisten für gleiche (und nicht einmal bewiesene) Vorwürfe lange in Untersuchungshaft, während die Berliner Boulevard-Presse parallel dazu die Vorverurteilung übernimmt. Aufklärung der dubiosen Kennedy-Affäre würde wohl nur eine Strafanzeige gegen das LKA Berlin wegen Strafvereitelung bringen.
Einsätze ausländischer Spitzel werden zwar seit Jahren praktiziert, eine kritische Öffentlichkeit wie auch Parlamentarier aber aus "einsatztaktischen Gründen“ nicht unterrichtet (Grenzüberschreitende Spitzel). Es gibt hier also keine öffentliche Kontrolle. Dabei basieren die Einsätze häufig auf fadenscheinigem, unbegründetem Verdacht. Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) hatte die Ausleihe britischer Polizisten etwa diffus auf "Erkenntnisse aus den G8-Treffen in Genua, Gleneagles und Heiligendamm" gegründet. Ähnlich lax hatte der LKA-Spitzel Simon Bromma seine Einsatzziel begründet, als er von den Ausgeforschten zur Rede gestellt wurde.
Die Landespolizeigesetze wie auch Bestimmungen anderer EU-Mitgliedsstaaten lassen einen Einsatz zur Gefahrenabwehr allerdings ohne nähere Bestimmungen, etwa von Zielpersonen, nicht zu. Nach entsprechender Änderung des Polizeigesetzes in Österreich mussten deshalb Spitzel aus der linken Szene abgezogen werden.
Kennedys Einsatz zog sich sogar über mehrere Jahre hin. Es liegt also nahe, dass er zum vorausschauenden Ausforschen verwendet wurde. Zudem verstricken sich Behörden in Widersprüche: Kennedy war entgegen der Behauptungen des BKA-Chefs neben Berlin auch in Hamburg aktiv, wo er sich kurz vor seiner Enttarnung für einen Kongress von Tierrechtsaktivisten anmeldete. Einer sagt hier also nicht die Wahrheit: Mark Kennedy oder Jörg Ziercke.
Zivil- und strafrechtliche Fragen
Ausländische Spitzel gelten in Deutschland nicht als Polizisten, also Angehörige deutscher Verfolgungsbehörden. Um ihre erlangten Erkenntnisse dennoch gerichtlich verwerten zu können, erkennen Gerichte ihnen den Status als "Vertrauenspersonen“ zu. Damit entfällt womöglich auch das Beantragen richterlicher Beschlüsse für das tiefgehende Eindringen in die Privatsphäre Betroffener und ihrer Kontaktpersonen.
Ungeklärt ist zudem, wie Betroffene Rechtssicherheit erlangen können, wenn sie nicht wissen dass Kennedy als Agent Provocateur agierte und sie dadurch ins Visier von Strafverfolgung gerieten. Es ist aus Großbritannien, Irland und Island bekannt, dass Kennedy Aktivisten zu Aktionen anstiftete und sie hierfür in Techniken unterrichtete. Nach seiner Enttarnung ist ein Verfahren gegen Klimaaktivisten, deren geplante Blockade des Kraftwerks Ratcliffe nach seiner Undercover-Aufklärung aufflog und vor einem britischen Gericht verhandelt wurde, sofort eingestellt worden. Die Bundesregierung verweist zur Frage der Rechtssicherheit auf die Strafprozessordnung, nach der Verdächtige oder ihre Kontaktpersonen innerhalb von Gerichtsverfahren Auskunft über die polizeilichen Informationsquellen erlangen können. Dazu müssen diese aber überhaupt über etwaige Ermittlungen unterrichtet werden. Die deutsche Polizei ist indes für ihr mageres Auskunftsverhalten bekannt, weshalb linke Bürgerrechtsaktivisten regelmäßig zu Auskunftsersuchen in Polizeidatenbanken aufrufen.
Auch das Praktizieren von Sexualität zum Erschleichen von Vertrauen oder dem Erlangen von Informationen, wie es über Kennedy aus mehreren Ländern berichtet wird, könnte in Deutschland straf- und zivilrechtlich relevant sein. Das Vortäuschen einer anderen Identität zur Ausübung von Sexualität ist zwar in Deutschland nicht strafbar. Allerdings könnte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt sein, erst Recht wenn Beziehungen über einen längeren Zeitraum gehen. Nach deutschem Recht wäre die Privatheit der Sexualsphäre tangiert. Es dürfte auch einen Unterschied machen, ob die Ziel- oder deren Kontaktpersonen als polizeiliche Sexualobjekte ausgewählt werden. Zivilrechtlich könnten Betroffene, die angesichts der "Ent-täuschung“ eine Traumatisierung nachweisen, laut Einschätzung von Anwälten hohe Schadensersatzansprüche geltend machen. In Großbritannien wird die Problematik unter dem Gesichtspunkt diskutiert, dass Staatsbedienstete ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Staatsbürgern verletzt haben.
Als Spitzel scheint man gut zu verdienen
Laut seiner an die Tageszeitung Daily Mail verkauften Geschichte hat Kennedy in Großbritannien zusätzlich zu seinem regulären Einkommen von 60.000 Euro weitere Sonderzahlungen von bis zu 240.000 Euro erhalten. Wenn deutsche Landeskriminalämter ihn vertraglich eingestellt haben, dürfte seine Besoldung nicht weit vom Gehalt des Entsendelandes abweichen. Bekanntlich waren allerdings gleich mehrere ausländische verdeckte Ermittler im Einsatz, die von der britischen ACPO ausgeliehen wurden. Erhellendes würde hierzu womöglich nur Auskünfte über hauspolitische Ausgaben für verdeckte Ermittlungen bringen, die von Bundes- und Landesregierungen gewöhnlich nicht verweigert werden.
Die grenzüberschreitende polizeiliche Spitzelausleihe und mithin die Anbahnung der vertraglichen Anstellung wird in einer "European Cooperation Group on Undercover Acitvities“ koordiniert, zu der auch das deutsche Bundeskriminalamt wie das Zollkriminalamt eingeladen werden. Hier hat das BKA vermutlich die von dessen Präsident zugegebene "Vermittlung“ Kennedys an deutsche Landesinnenministerien arrangiert. Die EU-Polizeiagentur Europol unterhält mit der Cross-Border SurveillanceWorking Group zudem eine eigene Arbeitsgruppe, um auch die Finanzierung von Informanten, also Privatpersonen die mit Innenbehörden kooperieren, innerhalb der EU zu vereinfachen.
Die britischen Spitzel wurden von der "Assosciaton of Chief Police Officers“ (ACPO) geführt. Die ACPO ist allerdings seit Ende der 90er Jahre als Firma eingetragen und übernimmt Aufgaben für Scotland Yard. Es ist mehr als zweifelhaft, wenn sich deutsche Behörden ausländischer verdeckter Ermittler bedienen, die für private Firmen arbeiten.
Seit Ende der 90er Jahre widmet sich die ACPO vorrangig politischem "Extremismus" und hat hierfür Dossiers von 2.000 angeblichen politischen Aktivisten angelegt. Unklar ist, ob die Daten auch an andere Firmen, darunter den Energieversorger E.ON weitergegeben wurden – der Kraftwerksbetreiber bestreitet bislang jede Zusammenarbeit.
Wegen öffentlicher Auseinandersetzungen nach Bekanntwerden der umstrittenen Spitzelei will der britische Innenminister der ACPO die Kompetenz zur Führung verdeckter Ermittler entziehen. Hinzu kommt, dass Kennedy sowohl für die private Sicherheitsfirma "Global Open Ltd.“ arbeitete wie auch mit "Tokra Ltd.“ ein eigenes entsprechendes Unternehmen gründete. Die im Polizeisold erlangten Informationen hat er womöglich auch privat weiterverwertet.