Grenzüberschreitende Spitzel
Aufgedeckte Einsätze verdeckter Ermittler dokumentieren ihre zunehmende Verwendung in internationalen politischen Zusammenhängen. Die EU will noch mehr Vereinfachung
Der stetigen Internationalisierung von Proteststrukturen, etwa bei Gipfelprotesten oder Grenzcamps, folgen immer mehr grenzüberschreitende Einsätze von Undercover-Polizisten. Nach der Enttarnung eines britischen Polizisten in Großbritannien ist auch in Heidelberg ein Spitzel aufgeflogen. Indes enthüllt die Dokumentation eines Gerichtsverfahrens gegen Tierrechtler in Österreich, wie eine „Führungsperson“ mit ins Ausland fährt und per Mobiltelefon Treffen mithört.
„Halli Hallo allerseits, bin wieder aus Brüssel zurück und schau mir mit Schrecken die Bilder und Videos aus Stuttgart an. Geht's euch allen soweit gut?“, schreibt „Simon Brenner“ nach seiner Rückkehr vom Grenzcamp in Belgien Anfang Oktober besorgt. Die Mail bezieht sich auf den heftigen Wasserwerfer- und Prügeleinsatz anlässlich der Demonstrationen gegen das S21-Projekt. Zwei Monate später wurde der Aktivist als Spitzel enttarnt.
Während eines Camping-Urlaubs in Frankreich wurde „Brenner“, dessen Vorname anscheinend nicht falsch ist, einer anderen Urlauberin als Polizist vorgestellt. Pech für den Undercover-Polizisten: Die Frau kommt aus Heidelberg und hatte ihn dort wiedererkannt und sofort geoutet. „Brenner“ versuchte sie zuvor vergeblich von seiner Enttarnung abzubringen. Linken Netzaktivisten gelang es darüber hinaus, einen seiner Mailaccounts bei ymail.com zu übernehmen und Zugriff auf über 2.000 Mails zu erlangen, darunter solche mit Einzelverbindungsnachweisen seines Mobiltelefons.
Ausbildung für verdeckte Ermittlungen
In der darauf folgenden unfreiwilligen Konfrontation durch seine politischen Zusammenhänge offenbart „Brenner“, im Bereich „Verdeckte Ermittlungen Staatsschutz“ im Stuttgarter Landeskriminalamt „geführt“ zu werden. Dorthin habe er etwa Informationen und „Personalakten“ übermittelt. Des Weiteren telefonierte „Brenner“ regelmäßig mit zwei Polizisten des Heidelberger Staatsschutzes. Dem Einsatz ging eine Ausbildung für verdeckte Ermittlungen und eine Einführung in die polizeiliche Einschätzung der Heidelberger linken Szene voraus.
Auf dem Brüsseler Grenzcamp brachte sich „Brenner“ in die Selbstorganisationsstrukturen ein und zeigte starkes Interesse an der Antirepressionsarbeit. Die war durchaus nötig, denn die belgische Polizei ging mit einer Härte gegen Demonstranten vor, die selbst Einheimische überraschte. Nach massiven Schlagstockeinsätzen, verbotenen Demonstrationen und „präventiver“ Verhaftung Hunderter Demonstranten war es in Brüssel zu einem Angriff auf eine Polizeistation gekommen, bei der mehrere Fenster zu Bruch gingen.
Eine brutale Festnahmeserie endete in folterähnlichen Zuständen auf der betreffenden Wache. Plakativ hatte sich der LKA-Mitarbeiter vor die prügelnden belgischen Zivilpolizisten gestellt, womöglich um seiner Legende zu mehr Authentizität zu verhelfen. Vom Grenzcamp hatte „Simon Brenner“ innerhalb von fünf Tagen 35 SMS an ein deutsches Handy geschickt, dessen Anschlussnehmer die Frankfurter Rundschau erfolglos herausfinden wollte: Auf die Frage, ob der Angerufene für das Landeskriminalamt arbeite, legte der Gesprächspartner kommentarlos auf.
Laut „Brenner“ diente seine Schnüffelei einer nicht näher bezeichneten „Informationssammlung und Gefahrenprävention“. Langfristiges Ziel sei demgegenüber die Infiltration der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) gewesen. Das lassen sich die Behörden durchaus etwas kosten: Neben dem baden-württembergischen Innenministerium hatten sich auch die Bundes-Schlapphüte auf den Weg nach Heidelberg gemacht und einem Aktivisten 5.000 Euro angeboten, sollte dieser für eine Informantentätigkeit zu gewinnen sein.
Wie diese Leute denken
Eine diffuse „Gefahrenabwehr“ diente auch in Österreich als Vehikel zur verdeckten Überwachung der dortigen Tierrechtsszene, die seit März 2010 zur Anklage von 13 Tierrechtsaktivisten geführt hat. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Organisation vorgeworfen, es stehen Haftstrafen bis zu fünf Jahren im Raum.
Spitzel-“Führer“ Stefan Wappel hatte sich für die Mission einer verdeckten Ermittlerin ihren Namen „Danielle Durand“ ausgedacht und ihr Wohnsitze in Wien und in der Steiermark verschafft. Um sie mit der nötigen Legende auszustatten führte er „Internetrecherchen und Gespräche“, um herauszufinden „wie diese Leute denken“. Aufträge bekam er von einer Sonderkommission, die auch die verdeckte Überwachung anwies. „Durand“ hatte Informationen über geplante Aktionen wie „Tiertransportblockaden oder Jagdstörungen“ mitgeteilt. Hierfür schrieb sie Berichte und schickte SMS während politischer Proteste. Sie war dafür manchmal mit einem manipulierten Mobiltelefon ausgerüstet, über das ihr „Führer“ im Raum geführten Gespräche mithören konnte.
Wieso eine Polizistin zur „Gefahrenabwehr“ immerhin fast zwei Jahre im verdeckten Einsatz ermittelt und dafür anscheinend sogar Sex mit einem später Angeklagten hat, sollte Wappel vor Gericht erklären. Von einem Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Organisation will er nichts gewusst haben und beharrt, die SOKO habe „alle rechtlichen Abklärungen“ vorgenommen, darunter die Information eines Staatsanwaltes.
Zahlreiche Ungereimtheiten markieren die Grauzone der verdeckten Ermittlungstätigkeit, die anscheinend der Vorbereitung des späteren Verfahrens und eben nicht der Gefahrenabwehr diente. Anders ist es nicht zu erklären, weshalb etwa Trinkflaschen zur DNA-Analyse gesichert wurden. Dadurch konnten sich die SOKO wie der „Führer“ von „Danielle Durand“ die Genehmigung nach der Strafprozessordnung sparen und organisierten ihren Einsatz offiziell nach dem Sicherheitspolizeigesetz. Allerdings wurde auch die österreichische Strafprozessordnung ab 1. Januar 2008 geändert, verdeckte Ermittlungen müssen fortan richterlich genehmigt werden.
Laut Staatsanwaltschaft war die verdeckte Ermittlung 2007 beendet worden, jedoch schrieb „Danielle Durand“ noch im September 2008 Mails an die zuvor Observierten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihre Spitzeltätigkeit bereits zur Verhaftung der jetzt Angeklagten geführt. Gleichzeitig sei sie laut Wappel „behutsam“ aus der Szene herausgelöst worden, inszeniert durch eine angebliche Umsiedlung nach Frankreich.
Die Vernehmung Wappels erhellt die Ausbildung verdeckter Ermittler: Nach der Polizeischule wurde „Danielle Durand“ im „Büro für verdeckte Ermittlungen“ aufgenommen, wo sie eine dreiwöchige Zusatzausbildung absolvierte und Fortbildungsveranstaltungen besuchte. Laut ihrem „Führer“, der seit 20 Jahren in dieser Funktion arbeitet, spitzelte sie zuvor in den Komplexen „Suchtmittel, Falschgeld, Eigentumskriminalität“.
Kooperation mit Europol
Seit einigen Jahren widmet sich auch die EU-Polizeiagentur Europol dem Themenkomplex „Animal Rights Extremism“. SOKO-Beamte aus Österreich haben hierfür an mehrmals jährlich stattfindenden Tagungen teilgenommen. Das Thema steht regelmäßig auf der Agenda des Komitees für innere Sicherheit (COSI), das durch Europol mit vierteljährlichen „Bedrohungsanalysen“ versorgt wird. Auch im jährlichen "Trendreport" zu Erscheinungsformen von Terrorismus in der EU kommt „Animal Rights Extremism“ Beachtung zu. Der Europäische Rat fordert gar ein „hohes Maß an Vorsicht und Wachsamkeit gegenüber Tierschutz-Extremisten“. Alle Erkenntnisse werden in der Europol-Analysedatei „Dolphin“ („nicht-islamistischer Extremismus“) gespeichert.
Kein Wunder also, dass „Danielle Durand“ auch grenzüberschreitende Verwendung fand. Wappel hatte sie zu internationalen Treffen von Tierschützern im holländischen Appelscha und dem schweizerischen Luzern persönlich begleitet. Der Einsatz im Ausland sei „mit der dortigen Behörde akkordiert“ gewesen. Berichte habe es hiervon keine gegeben, allerdings „schriftliche Genehmigungen“. In den Ersuchen an die betreffenden ausländischen Behörden erklärte Wappel, dass es einen Verdacht auf die Existenz einer kriminellen Vereinigung gebe - von „Gefahrenabwehr“ also keine Rede mehr. Aus Holland kam die Ansage, Wappel solle für jede neue Ermittlungshandlung jeweils eine eigene Genehmigung einholen.
Amtshandlungen von Polizisten auf dem Hoheitsgebiet anderer Staaten müssen zuvor in einem Ersuchen dargelegt werden, dem dann – mit Auflagen versehen - entsprochen werden kann. Der Einsatz richtet sich nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem er stattfindet. Eilfälle sind meist nicht vorgesehen oder müssen unverzüglich mitgeteilt und die Erlaubnis kurzfristig nachgeholt werden. In der Regel müssen die nationalen Polizeibehörden mit Berichten versorgt werden. Anders als Angehörige von Geheimdiensten dürfen Undercover-Polizisten keine „milieubedingten Straftaten“ begehen, etwa um ihrer Legende Glaubwürdigkeit zu verschaffen – diese Grenze ist allerdings fließend und wird gern übertreten.
UMTS-Stick und Fahrdienste
Im Oktober diesen Jahres war in Großbritannien ein Spitzel mit weitreichenden internationalen Kontakten aufgeflogen. Der britische Polizist Mark Kennedy hatte vor 10 Jahren begonnen, linke Zusammenhänge auszuforschen. Kennedy wurde nur durch Zufall enttarnt als sein echter Pass bei ihm gefunden wurde. Als „Mark Stone“ war Kennedy immer wieder bei Aktionen, Demonstrationen und Camps in EU-Staaten unterwegs und unternahm Fahrdienste oder verlieh großzügig seinen UMTS-Stick für mobiles Internet.
In Island hatte Stone Workshops zu „Direkter Aktion“ gegen die Aluminiumverhüttung und Verschmutzung ganzer Landstriche organisiert. Der Spitzel war auch bei Gipfelprotesten zugegen und tauchte unter anderem beim G8-Gipfel in Heiligendamm auf. Kurz vor seiner Enttarnung erkundigte er sich bei französischen Aktivisten nach dem Stand der Mobilisierung zum nächsten G8-Gipfel in Frankreich.
Kennedy inszenierte mehrere sexuelle Affären und war regelmäßig in Berlin zu Besuch. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko mochte die Bundesregierung hierzu allerdings keine Stellungnahme abgeben und erklärte auf Nachfrage lediglich, es lägen „keine Anhaltspunkte für Verstöße gegen internationale Vereinbarungen vor“. Wenn dem so ist, waren die deutschen Behörden mindestens informiert, wenn nicht sogar an den Ermittlungen beteiligt. Über das Ermittlungsziel kann höchstens spekuliert werden.
Durchaus möglich, dass die verdeckten Ermittlungen zusammen mit deutschen Bundes- oder Länderpolizeien in einer sogenannten „Gemeinsamen Ermittlungsgruppe“ (GEG) durchgeführt wurden, wie sie seit Jahren unter EU-Mitgliedsstaaten immer üblicher werden. Die GEG bieten den Beteiligten eine Reihe von Erleichterungen. So können etwa Informationen untereinander ausgetauscht werden, ohne hierzu jeweils förmliche Anfragen stellen zu müssen. Auf Rechtshilfeersuchen kann ebenfalls verzichtet werden.
In einem von den EU-Agenturen Eurojust und Europol erstellten Handbuch werden die GEG und ihr „informeller Austausch von Sachkenntnis“ gelobt. Die beiden EU-Agenturen können jederzeit in eine GEG integriert werden oder ihre Einrichtung anregen - durchaus zum Vorteil für alle Beteiligten, denn Europol bringt den ungefilterten Zugang zu den weitgehenden Datensammlungen der Behörde mit, für deren Nutzung keine umständlichen Ersuchen gestellt werden müssen. Im Gegenzug darf Europol alle erlangten Informationen in seine Systeme einspeisen.
Rechtliche Situation unklar
Die GEG gehen - wie die auch ansonsten innerhalb der EU weit fortgeschrittene grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit - auf ein Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EU-Rh-Übk) zurück, das der EU-Ministerrat vor zehn Jahren angenommen hatte.
Auch verdeckte Ermittlungen sind dort aufgeführt. Neben einem ähnlichen Abkommen der Vereinten Nationen sind es vor allem bilaterale Verträge, die nähere Bestimmungen festlegen. Der Einsatz oder Austausch von Undercover-Polizisten in und aus Deutschland ist hingegen nur mit den Niederlanden, Österreich, der Tschechischen Republik und der Schweiz geregelt. Die entsprechenden Verträge treffen Vereinbarungen etwa zur Dauer oder Berichtspflicht.
Grenzüberschreitende Observationen wie Ermittlungen können des Weiteren durch die Gemeinsamen Zentren der Polizei- und Zollzusammenarbeit befördert werden, wie sie unter deutscher Beteiligung bereits im polnischen Swiecko, in Kehl oder in Luxemburg existieren. Innerhalb der EU organisieren sich die polizeilichen Abteilungen zu verdeckten Ermittlungen in der „European Cooperation Group on Undercover Activities“ (ECG), zu deren Treffen auch das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) sowie das Zollkriminalamt eingeladen werden.
Mitunter kann es für die nationalen Polizeien vorteilhaft sein, wenn ausländische statt eigene Polizisten als Spitzel unterwegs sind. Die Bundesregierung bestätigt, dass ausländische verdeckte Ermittler keine Beamten eines deutschen Polizeidienstes darstellen, sondern als Vertrauenspersonen anzusehen sind. Mithin entfällt die lästige vorherige Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder eines Ermittlungsrichters. Im Falle des Einsatzes einer Vertrauensperson schrumpft die juristische Überprüfbarkeit auf einen Einwilligungsvorbehalt der Staatsanwaltschaft.
Anders jedoch, wenn sich die Spitzel innerhalb einer Gemeinsamen Ermittlungsgruppe organisieren. Da die beteiligten Beamten dort diverse hoheitliche Rechte erhalten, müsste das auch ihren Status als Vertrauensperson auflösen. Dann bräuchte es für jede Zwangsmaßnahme eine richterliche Entscheidung, ansonsten droht ein Beweisverwertungsverbot.
Ausländische Spitzel fliegen angeblich seltener auf
EU-Arbeitsgruppen und Institutionen, darunter die „Task Force europäischer Polizeichefs“, hatten sich unter deutscher Präsidentschaft 2007 mit neuen Maßnahmen hinsichtlich des grenzüberschreitenden Einsatzes von verdeckten Ermittlern beschäftigt. Ihre Notwendigkeit wurde damals mit dem Scheitern einer Reihe von Ermittlungen begründet, darunter 2005 allein in Deutschland 26 Fälle.
In der letzten Sitzung unter deutscher Leitung im Juli 2007 hatte der Rat eine Entschließung zur „Intensivierung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten be i der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Schwerkriminalität durch den vereinfachten grenzüberschreitenden Einsatz von Verdeckten Ermittlern“ verabschiedet.
Angestrebt ist etwa, Rechtsunsicherheiten aufzulösen und ausländische verdeckte Ermittler inländischen gleichzustellen. Damit entfiele ihr Status in Deutschland als Vertrauensperson. Die deutsche Initiative mündete in einem EU-weiten Fragebogen, dessen Ergebnisse 2008 ausgewertet wurden. Die grenzüberschreitende Ausleihe von Spitzeln soll vereinfacht werden, da eine Entdeckungsgefahr minimiert sei wenn mehr ausländische verdeckte Ermittler zum Zuge kämen.
Die „bisherigen praktischen Erfahrungen“ hätten gezeigt, dass ausländische verdeckte Ermittler „in gewissen Konstellationen leichter in kriminelle Vereinigungen eingeschleust werden können“, schrieb der damalige deutsche Ratsvorsitz in einem nicht-öffentlichen Vermerk.
Zuletzt hatte sich mit Gilles de Kerchové der EU-Terrorismuskoordinator zur Verbesserung grenzüberschreitender Zusammenarbeit geäußert und wie gewohnt übers Ziel hinaus geschossen. Auf seiner Wunschliste stehen neue Regelungen bezüglich „verdeckten Ermittlern oder Informanten, Überwachung des Telekommunikationsverkehrs, Ermittlungen betreffend Computersysteme, Verwendung von Sendern und sonstigen Aufzeichnungsgeräten an oder in Fahrzeugen, die im Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten zirkulieren“.