Wer braucht die neuen Stromtrassen?
Die öffentliche Debatte ist auf einfache schwarz-weiße Positionen fixiert
Zwei neue Stromleitungen erregen derzeit im Norden Bayerns, das heißt in Franken, wo man sich nicht gern Bayer nennen lässt, die Gemüter. Auch anderswo sind die Trassen höchst unbeliebt, von Stimmung, die an Militanz grenze, ist in der Oberpfalz die Rede.
Für Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer kommt die Aufregung ungelegen, denn im nächsten Monat soll seine CSU die Kommunalwahlen bestehen. Also rudert er zurück, was in der Bundespolitik für allerlei Aufregung sorgt. Ein Moratorium müsse her, der Netzausbau neu überdacht werden. Die bundespolitische Aufregung wird Seehofer nicht nur billigend, sondern gerne in Kauf nehmen. So kann er sich einmal mehr als Vertreter bayerischer Interessen gegen Berlin und Brüssel geben.
Die EU hat zwar mit der ganzen Geschichte herzlich wenig zu tun, aber da auch Merkels Mann in der EU-Kommission, Günther Oettinger seinen Kommentar dazu gab, sind eigentlich alle Zutaten für eine zünftige Inszenierung zusammen.
Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger vertritt natürlich weniger die ohnehin in derlei Fragen nicht vorhandene Position der Kommission, sondern agiert nur einmal mehr als Lobbyist der großen Energiekonzerne. Aber dafür haben wir die EU ja schließlich, um derartige Details nicht zu offensichtlich erscheinen zu lassen.
Auch sonst tun alle Seehofer den Gefallen, sich auf sein Spiel einzulassen. Merkel gibt ausnahmsweise einmal die böse Mahnerin, wo sie doch sonst derlei Streit gerne aussitzt und unpopuläre Entscheidungen von Ministern vertreten lässt, und zwar möglichst denen des Koalitionspartners.
Und Schleswig-Holsteins grüner Energieminister Robert Habeck kann schon einmal schwarz-grüne Koalition üben, indem er Merkels Rüge für Seehofer begrüßt und sich ganz staatstragend gibt: Im Grunde habe sie die Debatte für beendet erklärt. "Das finde ich genau richtig, und da kann ich nur danke sagen", zitiert der NDR.
Die Grünen wollen also die Bürgerbeteiligung abwürgen? Das wird der Minister natürlich im Zweifelsfall nicht so gemeint haben. Aber derlei Äußerungen fallen nicht nur auf seine Parteifreunde zurück, die in Bayern ebenfalls einen Wahlkampf zu bestehen haben.
Auch den Freunden der Energiewende kann derlei schnell anhängen. Dabei haben sich doch Umweltverbände und Bürgerinitiativen in den letzten Jahren viel Mühe gegeben, nach einvernehmlichen Wegen für einen Netzausbau zu suchen. Doch derlei Prozesse eignen sich offensichtlich schlecht für markige Wahlkampfreden und flotte Kommentare.
Erdkabel als Alternative?
Bei den Protesten gegen den Leitungsbau geht es meist um ein ganzes Bündel von Fragen. Viele stören sich an den Einfluss auf das Landschaftsbild, den Masten und Freileitungen haben. Mancher hat auch Angst vor elektromagnetischen Feldern. Gemeinsamer Nenner ist daher meist, die Leitungen als Erdkabel zu realisieren oder zumindest möglichst großen Abstand zu Siedlungen einzuhalten.
Die Diskussionen sind alt und in Schleswig-Holstein spricht sich zum Beispiel der Bundesverband Windenergie schon lange für Erdkabel aus, um den Einwänden der Bürger entgegen zu kommen und dem Netzausbau zu beschleunigen.
Dabei ging es dort allerdings um Verbindungen in den regionalen Netzen mit nicht ganz so hoher Spannung. Allerdings sind die beiden Trassen, die in Bayern derzeit die Gemüter erhitzen, als Gleichstromübertragung geplant, bei der ein Erdkabel auch bei sehr hohen Spannungen in Frage kommt. Tatsächlich sind Teilabschnitte beider Trassen durchaus auch als Erdkabel von den Betreibern angedacht (mehr Informationen hier).
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) hatte im Sommer letzten Jahres gegen den Netzausbauplan Beschwerde bei der EU eingelegt (was übrigens den bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer nicht davon abhielt, im Bundesrat für das entsprechende Gesetz zu stimmen).
"Der mit dem Gesetz verordnete Netzausbau geht weit über den tatsächlichen Bedarf hinaus und ist viel zu stark auf den Ausbau von Windparks in Nord- und Ostsee ausgerichtet. Hingegen wird der Ausbau der Windenergie an Land, insbesondere in Süddeutschland, in den Planungen nur ungenügend berücksichtigt. Zugleich dienen die geplanten Stromnetze nicht vorrangig dem Ausbau erneuerbarer Energien, sondern vor allem dem europäischen Stromhandel und der besseren Auslastung fossiler Kraftwerke", sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.
Diese Kritik hat es derzeit schwer, in der auf einfache schwarz-weiße Positionen fixierten medialen Öffentlichkeit durchzudringen. Dort schreibt man lieber von "Windstromleitungen und "Hauptschlagader der Energiewende". Der Energiewende, zumal wenn man sich diese vor allem als eine dezentrale Angelegenheit vorstellt, wird damit ein Bärendienst erwiesen.
Neue Kohlekraftwerke und die geplanten Stromtrassen
Schauen wir hingegen auf die Pläne für neue Kohlekraftwerke, dann kommen doch erhebliche Zweifel am Sinn der neuen Leitungen auf. Zum einen ist da die "Gleichstrompassage Süd-Ost", die von Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt nach Meitingen bei Augsburg in Bayern führen soll. Sie verbindet also das ostdeutsche Netz mit Süddeutschland, wo im Gegensatz zu Ostdeutschland viele Großverbraucher sitzen. Dafür haben Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen viel Braunkohle, und Vattenfall hat erst 2012 im sächsischen Boxberg 2002 ein neues Braunkohlekraftwerk in Betrieb genommen. Das läuft nun mit einer Spitzenleistung von 675 Megawatt (MW) rund um die Uhr und konkurriert mit dem Windstrom, an den es sich wegen seiner systeminhärenten Trägheit nicht anpassen kann.
Also muss der Strom möglichst weit weg transportiert werden. Verschärfen wird sich die Situation weiter, wenn zu Beginn des nächsten Jahrzehnts in Profen, im Süden Sachsen-Anhalts, ein weiteres 660-MW-Braunkohlekraftwerk in Betrieb gehen sollte, dass die Mibrag dort bauen will. Nahezu zeitgleich soll die Ost-West-Trasse fertiggestellt werden. Nur ein Zufall?
Noch fraglicher ist zum anderen der Nutzen des sogenannten Suedlinks, für den sich der Grüne Robert Habeck so ins Zeug legt. Von Wilster (Schleswig-Holstein) an der Elbe soll eine Verbindung ins nordbayerische Grafenrheinfeld geschaffen werden. Bei Wilster steht übrigens das AKW Brokdorf, das gigantische 1410 MW Leistung ins Netz einspeist. 2021, ein Jahr vor der voraussichtlichen Fertigstellung von "Suedlink", wird es stillgelegt. Das heißt sein Strom wird nicht in die neue Leitung gedrückt, aber das AKW muss in der Region natürlich ersetzt werden.
Ansonsten geht im nahegelegenen Hamburg dieses Jahr Vattenfalls umstrittenes Kohlekraftwerk Moorburg mit 1600 MW ans Netz. Ebenfalls noch in diesem Jahr ans Netz geht weiter westlich in Wilhelmshaven ein Großkraftwerk mit 830 MW. In Stade, mehr oder weniger gegenüber von Wilster an der Elbe gelegen läuft derweil das B-Plan-Verfahren für ein 930-MW-Kohlekraftwerk von Dow Chemicals. Und elbabwärts in Brunsbüttel liegen zwar die Pläne für ein neues 800-MW-Kohlekraftwerk auf Eis, aber ganz aufgeben sind sie noch nicht.
Nun mag man wie Franz Alt meinen (Seehofers Energiewende-Wende), dass Bayern die Verbindung unbedingt braucht, um seine AKW zu ersetzen. Aber das AKW Grafenrheinfeld in der Nähe vom unterfränkischen Schweinfurt wird bereits 2015 abgeschaltet, die beiden neuen Leitungen jedoch erst 2022 fertig. Wenn überhaupt. Als Ersatz für den alten Strahlenmeiler taugen sie daher schlecht.
Vielleicht wäre es ja mal Zeit, statt unpopuläre Großprojekte und teure Offshore-Windparks mit undemokratischer Eile durchzudrücken, die Energiewende kleinteiliger zu konzipieren. Vor allem müssten dafür auch Wärme- und Stromversorgung zusammen gedacht, also viele kleine Blockheizkraftwerke mit Wärmespeichern gebaut werden. Die könnten dann zum Beispiel mit Windgas betrieben werden, das sich über das bestehende Netz aus dem Norden beziehen ließe.