Wer hat H.C. Strache gewählt?

"Gemeindebau: Bis heute eine Ikone des "Roten Wien" - der 1930 fertiggestellte Karl-Marx-Hof in Döbling, dem 19. Wiener Gemeindebezirk. Foto: Dreizung/CC BY-SA 3.0

Die FPÖ drang stark in die Kernschichten der Sozialdemokraten vor. Ärger über die Flüchtlingspolitik und vermeintlich sinkende Lebensqualität motivierten offenbar zur Stimmabgabe für die freiheitliche Partei

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Das im Vorfeld befürchtete Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz eins zwischen der regierenden SPÖ und der FPÖ blieb bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen am Sonntag aus (Wahl in Wien: FPÖ bleibt deutlich hinter SPÖ). Mit rund 39 Prozent der Wählerstimmen konnte die SPÖ ihre Führungsposition behaupten. Die FPÖ legte um rund sechs Prozent zu und kam nach den Zahlen von Sonntagabend auf etwa 32 Prozent der Stimmen.

Die Grünen mussten leichte Verluste hinnehmen. Eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition in der Hauptstadt Österreichs ist allerdings rein rechnerisch möglich. Der amtierende Bürgermeister Michael Häupl schloss im Vorfeld eine Koalition mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache definitiv aus.

Damit positionierte sich Häupl eindeutiger als Partei- beziehungsweise Amtskollegen in anderen Bundesländern. Die Tageszeitung Der Standard interpretierte den Wahlausgang als Häupls taktischen Erfolg und berichtet, dass "rund ein Viertel der SPÖ-Wähler" angab, "Hauptmotiv für die Stimmabgabe" wäre gewesen, ein Zeichen gegen H.C. Strache zu setzen.

Arbeiterschaft wandert zur FPÖ

Der taktische Erfolg ist allerdings nicht ungetrübt. Immerhin musste die SPÖ Verluste von etwa fünf Prozent hinnehmen. In einer ersten Stellungnahme räumte der sozialdemokratische Bürgermeister gemischte Gefühle ein. Man müsse mit Sicherheit eine Menge an Veränderungen in der SPÖ durchführen, meinte Häupl gegenüber dem ORF.

Die besinnlichen Töne kommen nicht von ungefähr. Wie erste Analysen zeigen, gelang es der FPÖ tief in klassische Wählerschichten der Sozialdemokraten vorzudringen. Das Meinungsforschungsinstitut SORA schreibt dazu:

Hätten bei dieser Wahl nur Personen im Wiener Gemeindebau gewählt, wäre die FPÖ mit 47% vor der SPÖ mit 42% auf Platz 1 gekommen. Alle anderen Parteien konnten im Gemeindebau kaum Stimmen für sich gewinnen.

Unter "Gemeindebau" versteht man Wohnblocks des kommunalen sozialen Wohnungsbaus in Wien. Er ist untrennbar mit dem "roten Wien" der Zwischenkriegszeit verbunden. Gemeindebauten gelten seit damals als Hochburgen der sozialdemokratischen Wähler- beziehungsweise der Arbeiterschaft. Die Wohnungen zeichnen sich durch sehr günstige Mieten aus. Dass in diesen "roten Hochburgen" die Mehrheit für die SPÖ verloren geht, beschert den sozialdemokratischen Politikern bereits seit etlichen Jahren Kopfzerbrechen.

Schon Jörg Haider konnte im Segment der Arbeiter punkten. Auch unter H.C. Strache wandert die Arbeiterschaft zusehends zur FPÖ ab. SORA berichtet in einer Wahltagsbefragung unter 2.045 Wahlberechtigten über das "Wahlverhalten nach Erwerbsstatus", dass die FPÖ in der Arbeiterschaft die Sozialdemokraten dieses Mal sogar überholte:

Unter Arbeitern war bei dieser Wahl die FPÖ stärkste Partei, sie kam mit 53% auf eine absolute Mehrheit. Unter Angestellten erzielte die FPÖ 32% und lag damit hinter der SPÖ mit 36%. Öffentlich Bedienstete wählten in Wien mit 50% überdurchschnittlich SPÖ gefolgt von der FPÖ mit 21% und den Grünen mit 17%. Unter Personen in Ausbildung sind die Grünen mit 24% besonders stark.

Ärger über Flüchtlingspolitik hilft FPÖ

Inhaltlich konnte die FPÖ Ängste in Zusammenhang mit der Asylwerberfrage für sich nutzen. Die Wahlstrategen bereiteten das Thema propagandistisch auf. Thilo Sarrazin trat während des Wahlkampfs bei einer vom Freiheitlichen Bildungsinstitut organisierten Veranstaltung auf und warnte laut FPÖ-Presseaussendung vor einer "tiefgreifenden und unwiderruflichen kulturellen Veränderung" in Europa als Folge der Flüchtlingsbewegung, "in der in erster Linie Millionen Muslime nach Europa" strömen würden/.

Immer wieder wurden von der FPÖ Artikel lanciert, die auf ein vermeintlich hohes Kriminalitätspotenzial unter Asylwerbern verwiesen. Bei den FPÖ-Wählern wurde das Flüchtlingsthema schließlich besonders intensiv diskutiert. Auffällig ist dabei die unterschiedliche Gefühlslage in dieser Frage.

Während bei den Wählern aller anderen Parteien Ärger über die Flüchtlingspolitik nur begrenzt eine Rolle in der Einschätzung spielte, gaben immerhin 43 Prozent der befragten FPÖ-Wähler an, Ärger zu empfinden.

Ein weiteres wichtiges Wahlmotiv war zudem die Einschätzung der Lebensqualität in Wien. Wer meinte, dass sich die Lage verschlechtert hätte, tendierte eher zur Wahl der FPÖ. Fragen zur "Sicherheit und Kriminalität" und die "Kosten des täglichen Lebens" waren neben der Flüchtlingsfrage die im Vorfeld der Wahl diskutierten Top 3-Themen bei FPÖ-Wählern.

Die Flüchtlingsfrage war zwar auch allen anderen Wählern wichtig, bei den Wählern von SPÖ, Grünen und NEOS lagen aber auf Platz zwei immerhin Fragen zu Bildung und Schule. Über Fragen zu "Wirtschaft und Arbeitsplätzen" diskutierten im Vorfeld besonders häufig ÖVP-, SPÖ- und NEOS-Wähler.

Michael Häupl konnte schließlich als Person punkten. Immerhin 54 Prozent der von SORA befragten Wähler wünschten sich den SPÖ-Mann Häupl als Bürgermeister. Er zieht nun bereits zum fünften Mal als oberster Stadtführer ins Rathaus ein.