Wer hat, dem wird gegeben
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Thomas Piketty und andere Ökonomen legen neue Zahlen zur Ungleichheit beim Einkommen vor
"Reicher Mann und armer Mann / Standen da und sahn sich an. / Und der Arme sagte bleich: / Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich", schrieb Bert Brecht. Heutzutage bewahrheiten sich Brechts Zeilen mehr denn je.
Anfang Januar 2016 fand die Jahrestagung der American Economic Association statt, auf der führende Wirtschaftswissenschaftler neue Zahlen zur Ungleichheit beim Einkommen vorstellten. Und die Zahlen sind - wen wundert’s - abermals eindeutig: Die reichsten 1 Prozent der US-Bevölkerung verdienen immer mehr, so dass die ohnehin schon große Schere zwischen Arm und Reich noch weiter auseinanderklafft.
Seit längerem ist bekannt, dass das obere 1 Prozent der US-Amerikaner ein Viertel des gesamten Einkommens verdient, die Hälfte aller Wertpapiere besitzt und obendrein die Hälfte des gesamten nationalen Vermögens. Ökonomen wie Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman haben nun die Zahlen für die USA präzisiert.
Demnach hat sich das Einkommen der unteren 90 Prozent seit 1980 zwar leicht erhöht, genau genommen um jährlich 0,7 Prozent. Doch im Vergleich zu den unteren 90 Prozent wuchs das Einkommen der oberen 10 Prozent dreimal so schnell - und das Einkommen des oberen 1 Prozent sogar viermal schneller. Bis 1980 wuchs das Einkommen der unteren 90 Prozent etwa parallel mit der Wachstumsrate der Wirtschaft. Doch ab 1980 (also mit dem Beginn des Neoliberalismus) hat sich das Einkommenswachstum der unteren 90 Prozent deutlich verlangsamt, während die Wirtschaft weiter gewachsen ist.
Die Ökonomen wiesen auf der Konferenz darauf hin, dass das Einkommen der oberen 10 Prozent seit 1980 vor allem deshalb so rasant wächst, weil sie von immer weiter sinkenden Spitzensteuersätzen profitieren. Das deckt sich mit einer Studie des Ökonomen Thomas L. Hungerford, der die niedrigen Steuersätze für Reiche zum "allergrößten Faktor für die steigende Einkommensunterschiede" erklärt (die grundsätzliche Frage des Großeigentums bleibt hier freilich außen vor).
Der Spitzensteuersatz wurde von 94 auf jetzt 36,9 Prozent heruntergesetzt
Während des Zweiten Weltkriegs hatten die USA einen unglaublichen Spitzensteuersatz von 94 Prozent. In den darauffolgenden Jahrzehnten lag er bei durchschnittlich 70 Prozent, wenn man ein Jahreseinkommen von mehr als 200.000 US-Dollar hatte. Der neoliberale Präsident Ronald Reagan drückte den Spitzensteuersatz dann 1982 erst auf 50 Prozent, im Jahr 1988 auf 28 Prozent. Heute liegt der Satz in den USA bei 39,6 Prozent.
Diese 39,6 Prozent gelten auf dem Papier, in der Realität wissen die Reichsten oft genug, welche Steuerschlupflöcher sie nutzen können, um sich ihre Pfründe zu sichern. Die "New York Times" spricht von einer "income defense industry", bestehend aus einem mächtigen Heer von Rechtsanwälten und Lobbyisten, die alles daran setzen, das Geld über Steueroasen verschwinden zu lassen, und die gleichzeitig öffentlich dafür werben, die Spitzensteuersätze immer weiter herabzusenken.