Wer protestiert, fliegt raus: Berlins fragwürdige Abschiebepläne nach Palästina-Demonstrationen

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Berlin möchte vier Ausländer abschieben. Der Grund: Teilnahme an Demonstrationen. Keiner von ihnen wurde verurteilt. Und: Interne E-Mails stellen Israel-Politik infrage.
Vier in Berlin lebende Ausländer sollen auf Grundlage von Vorwürfen im Zusammenhang mit Protesten gegen das militärische Vorgehen Israels im Gazastreifen abgeschoben werden, berichtet die Investigativ-Plattform The Intercept. Demnach erfolgten die Abschiebungsbescheide des Landes Berlin unter politischem Druck und trotz interner Bedenken der obersten Einwanderungsbehörde des Landes.
Laut The Intercept sind drei der vier Betroffenen sogar Bürger von EU-Mitgliedsstaaten, die normalerweise Freizügigkeit innerhalb der EU genießen. Keiner der vier sei wegen einer Straftat verurteilt worden. Dem Bericht zufolge werden die Fälle mit der Praxis der USA verglichen, Abschiebungen zur Unterdrückung sozialer Bewegungen zu nutzen.
Anwalt: Taktik wie bei extremer Rechter
Alexander Gorski, ein Anwalt, der zwei der Demonstranten vertritt, sieht darin eine Taktik wie bei der extremen Rechten. Er wird von The Intercept zitiert: "Man sieht es in den USA und auch in Deutschland: Politischer Dissens wird zum Schweigen gebracht, indem der Migrationsstatus von Demonstranten ins Visier genommen wird."
Relationen zwischen Maßnahmen und Vergehen
Thomas Oberhäuser, Vorsitzender des Ausschusses für Migrationsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, betont gegenüber The Intercept, dass die angeführten Gründe im Verhältnis zur Schwere der Abschiebung stehen müssten. Eine Ausweisung aufgrund politischer Überzeugungen sei eine massive Überschreitung bisher geltender rechtsstaatlicher Standards.
Unterstützter der Hamas?
The Intercept nennt die Namen der vier Betroffenen: Cooper Longbottom, Kasia Wlaszczyk, Shane O'Brien und Roberta Murray, Bürger der USA, Polens und Irlands. Die Behörden werfen laut dem Bericht unterschiedliche Vergehen vor, die alle auf Polizeiakten zurückgehen und mit propalästinensischen Aktionen in Berlin zusammenhängen.
Einige der Vorwürfe seien geringfügig, wie die Beleidigung eines Polizisten. Allen vier werde aber auch ohne Beweise vorgeworfen, die Hamas zu unterstützen.
Interne Mails sollen politischen Druck belegen
Aus internen E-Mails, die The Intercept vorliegen, gehe hervor, dass es hinter den Kulissen politischen Druck gab, die Abschiebungsbescheide zu erlassen, obwohl Berliner Einwanderungsbeamte Einwände erhoben hätten.
Silke Buhlmann, Leiterin der Abteilung Kriminalprävention und Rückführung der Einwanderungsbehörde, habe ausdrücklich davor gewarnt, dass die rechtliche Grundlage für die Aufhebung der Freizügigkeit der drei EU-Bürger nicht ausreiche und ihre Abschiebung rechtswidrig wäre.
Der interne Einspruch sei jedoch von einem Vertreter der Berliner Senatsverwaltung abgewiesen worden.
Frist und Drohung von Zwangsmaßnahme
The Intercept berichtet, dass den vier Demonstranten vorerst die Ausreise aus Deutschland bis zum 21. April 2025 angeordnet worden sei, andernfalls drohten Zwangsabschiebungen.
Longbottom, ein US-amerikanischer Student, dem nur noch sechs Monate bis zum Abschluss seines Masterstudiums in Berlin fehlten, wäre es durch die Anordnung für zwei Jahre untersagt, in eines der Schengen-Länder einzureisen. Er lebt dem Bericht zufolge mit seinem Partner, einem italienischen Staatsbürger, in Berlin.
Die persönliche Situation der Betroffenen
Die Betroffenen äußern gegenüber The Intercept ihre Sorgen und Ängste angesichts der drohenden Abschiebung. Wlaszczyk bezeichnet Antisemitismusvorwürfe in Deutschland als überwiegend rassistische Taktik gegen Palästinenser, Araber und Muslime.
O'Brien sagt, seine Illusion von Berlin sei durch die mangelnde Reaktion auf den "Genozid" zerstört worden. Für Murray breche durch die drohende Ausweisung nach drei Jahren in Berlin eine Welt zusammen.
Anwälte reichen Eilanträge ein
Gorski und andere Anwälte hätten nun einen Eilantrag auf einstweiligen Rechtsschutz und eine formelle Berufung eingereicht, in der die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnungen angefochten werde. Er warnt laut The Intercept, dass diese Fälle ein Probelauf für eine breitere Repression gegen Einwanderer und Aktivisten in Deutschland seien. "Sie werden als Versuchskaninchen benutzt", zitiert ihn der Bericht.
Tatsächlich sorgt gewaltsames polizeiliches Vorgehen gegen Demonstranten für zunehmende Kritik, auch auf internationaler Ebene. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sehen darin einen Angriff auf die Versammlungsfreiheit und vergleichen die Repression gegen Demonstranten sogar mit dem Vorgehen autoritärer Staaten.
Schon im vergangenen Jahr wies Amnesty International darauf hin, dass in Deutschland vorwiegend zwei oppositionelle Gruppen von staatlicher Gewalt bedroht seien: Klimaaktivisten und propalästinensische Gruppen.
Die Vorfälle zeigen laut Kritikern beunruhigende Parallelen zwischen dem Vorgehen demokratischer Staaten gegen unliebsame Demonstranten und der Repression in Autokratien. Die EU-Kommission plant derweil eine Vereinfachung von Abschiebungen, was die Debatte weiter anheizt.
Versammlungsfreiheit für Ausländer in Deutschland
Klar ist: Der anhaltende Nahostkonflikt sorgt in Deutschland für heftige Debatten und wirft grundsätzliche Fragen auf. Etwa: Dürfen Ausländer in Deutschland an öffentlichen Versammlungen teilnehmen und diese veranstalten? Ja, jedoch basiert ihr Recht nicht direkt auf dem Grundgesetz, sondern auf der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Versammlungsgesetz, das keine Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit vornimmt.
Ausländer können sich also nicht direkt auf die Versammlungsfreiheit des Grundgesetzes (Art. 8 GG) berufen, die nur für Deutsche gilt. EU-Bürger genießen jedoch Schutz durch europäisches Recht.
Historischer Hintergrund des Nahostkonflikts
Vor der Gründung des Staates Israel 1948 war das Gebiet als Mandatsgebiet Palästina bekannt, das von Großbritannien verwaltet wurde. Während des Palästinakriegs 1948 flohen oder wurden etwa 700.000 Palästinenser aus ihren Häusern vertrieben, ein Ereignis, das als Nakba bekannt ist. Der bis heute anhaltende Konflikt zwischen Israel und Palästina dreht sich um Territorialansprüche, Sicherheit und Staatlichkeit. Israel kontrolliert seit 1967 Gebiete, die international als besetzt gelten.´
Deutschland und Israel
Deutschland hat im Rahmen des Wiedergutmachungsabkommens von 1952 Zahlungen an Israel geleistet, die bis 1965 abgeschlossen wurden. Es gibt keine laufenden Zahlungen mehr.
Gazastreifen und Westjordanland
Der Gazastreifen wird offiziell von der palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet, wird aber de facto von der Hamas regiert und gilt als besetztes Gebiet. Palästina umfasst das Westjordanland, Ostjerusalem und den Gazastreifen.
Gaza ist ein spezifisches Gebiet innerhalb Palästinas. Der aktuelle Krieg am Gazastreifen resultiert aus dem anhaltenden Konflikt zwischen Israel und der Hamas.
UNO stuft Hamas nicht als Terrororganisation ein
Die Hamas wird von den Vereinten Nationen (UN) nicht als Terrororganisation eingestuft, der Sicherheitsrat hat auch keine Sanktionen erlassen, auch wenn er von der islamistischen Organisation die Freilassung von Geiseln fordert.
Allerdings haben die USA, Kanada, die Europäische Union, Japan, Israel, das Vereinigte Königreich, Australien und Neuseeland sie Hamas als Terrororganisation klassifiziert. Einige dieser Länder wenden diese Definition sowohl auf die militärische als auch auf die politische Führung der Hamas an.
Es gibt Bemühungen, die UN dazu zu bewegen, Hamas als Terrororganisation zu klassifizieren, wie durch einen Brief von US-Senatoren, der die UN auffordert, die Hamas zu sanktionieren. Diese Bemühungen sind jedoch bisher erfolglos geblieben.