Werbebranche sucht Klicks

IVW versucht sich an Neustrukturierung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Das Nürnberger Marktforschungsunternehmen GfK untersuchte im Frühjahr das Verhalten von Online-Nutzern in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Altersunabhängig sind "E-Consumer eine innovative und risikofreudige Zielgruppe", fand GfK-Geschäftsführer Michael Spohrer heraus. Von 56 Millionen Internetnutzern in diesen Ländern haben bereits 21 Millionen schon einmal online eingekauft - Tendenz steigend. Beste Aussichten also für die Werbewirtschaft. Doch sie hat ein Problem: Im Schnitt lässt sich nur ein Prozent der Besucher eines Internetangebots auf einen Klick auf ein Werbebanner ein.

Aufgrund der niedrigen Klickraten experimentieren die Agenturen zunehmend mit anderen Modellen. So verändert beispielsweise der Comet-Cursor, den Nutzer sich kostenlos auf die Festplatte laden können, seine Form auf Bannern, die auf Comet ansprechen - und verdoppelt damit die Klickraten. Der Cursor baut eine Verbindung zwischen Nutzer und Marke auf - allerdings auf Kosten der Privatsphäre: Der Mauszeiger verschickt die so genannte GUID an den Hersteller. Die GUID ist die Nummer, mit der jede Netzwerkkarte identifiziert werden kann - und damit auch der Rechner. Auf diese Weise kann Comet mit den eingesammelten Daten Rückschlüsse auf den Nutzer ziehen.

Zuletzt sorgte die Internet-Marketingfirma Doubleclick für Aufsehen: Sie wollte die Daten von Werbebannern mit zugekauften Adressensätzen verbinden. In den USA kaufte Doubleclick die Firma Abacus und verfügte damit über die Daten von 88 Millionen US-Haushalten. Aufgrund von Verbraucherprotesten legte die Firma das Projekt allerdings vorerst auf Eis. Nicht zuletzt aufgrund solcher umstrittener Erhebungsverfahren bieten einige Agenturen wie Cyber-Profit und Fair-Ad auch "Surfen gegen Bezahlung" an. Sie reichen einen Teil des Werbeetats an die Surfer weiter, die im Gegenzug freiwillig ihre Daten preisgeben und einen umfangreichen Frageboten ausfüllen. Eifrige Surfer verdienen sich so bei 90 Pfennig bis 1,10 Mark die Stunde im Monat 30 bis 50 Mark hinzu - oder erhalten gar einen freien Internetzugang («Wir wollen der Internetgemeinde die Zeit geben, die sie für die Akzeptanz von Cookies braucht«. Die deutsche Führungsspitze des größten Online-Werbers im Interview).

Kritik kommt jedoch nicht nur von den Verbrauchern, auch die Branche selbst nimmt sich ins Gebet. Dabei geht es hauptsächlich um faire Ermittlungsmethoden des eigenen Erfolgs. Grundsätzlich dreht sich in der Werbewirtschaft alles um zwei Fragen: Wie ziehe ich viele Besucher auf meine Website. Und: Wie erhöhe ich die Klickraten? Kann ich meinen Werbekunden viele Besucher vorweisen, sind sie bereit für das Banner auf meiner Homepage zu zahlen. Wenn nicht, kräht kein Hahn nach ihr. Allerdings ist es nicht ganz einfach, die Besucher zu zählen: Handelt es sich um Zufallsbesucher oder interessierte Besucher? Wieviele Mausklicks lang sehen sie sich auf meiner Homepage um? Oder handelt es sich gar nur um eine ferngesteuertes Computerprogramm, das die Besucherzahlen künstlich erhöhen soll - um vielleicht mehr Werbekunden anzulocken?

Tim Meadows, Vizegeschäftsführer von Nielsen NetRatings, weiß, dass im Kampf um Werbeetats "viele Websites ihre Nutzerzahlen zum Teil um 50 bis 100 Prozent aufblasen". Besonders begabte Werber entwickelten sogar Programme, die einen Computer alle zehn Sekunden automatisch immer wieder die gewünschte Seite oder ganz gezielt die Banner-Werbung anklicken läßt. Doch es gibt nicht nur elektronische Manipulationen: Einige Firmen beauftragten ihre Angestellten stundenlang auf die firmeneigenen Website zu klicken.

Schließlich geht es in Deutschlands Werbewirtschaft auch um die Frage, wie die Zahlen von Online-Netzwerken und -Kooperationen ausgewertet werden sollen. Bislang veröffentlichte die Bonner "Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern" (IVW) die Besucherzahlen gesamter Kooperationen wie "Focus Online", zu der nicht nur die Online-Version der Zeitschrift Focus, sondern auch das Auktionshaus E-Bay und der Autohändler Autoscout-24 gehört. Ein fairer Vergleich mit anderen Angeboten ist so kaum möglich.

Die IVW-Zahlen sind begehrt: Führende Online-Vermarktungsunternehmen wie EMS vom Gruner + Jahr Verlag oder Adlink vermarkten am liebsten IVW-geprüfte Angebote. Die Stellung von IVW beruht auf ihrer Monopolstellung: Neben Besucherzahlen von Online-Angeboten stellt der Verein im Auftrag des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger im Printbereich die Auflagenzahlen von Zeitungen und Zeitschriften fest. Für Verlagsmanager, Chefredakteure und die Werbebranchen sind die IVW-Zahlen so etwas wie eine harte Währung.

So unumstritten die Zahlen der IVW im klassischen Printbereich sind, so umstritten sind sie im Online-Bereich. Schließlich akzeptiert die IVW auch die redaktionellen Websites von Vermarktungsgemeinschaften oder Webkataloge der Drogeriemarkt-Kette Schlecker. Kurze redaktionelle Anreißer genügen, um in den Genuss einer IVW-Zahl zu kommen. Auf der offiziellen Website stehen wahllos journalistische Inhalte neben Suchmaschinen und E-Commerce-Angeboten. Der Vorschlag von "Spiegel online" zwischen journalistischen Medien und Serviceangeboten zu unterscheiden stieß jedoch bei der IVW auf Ablehnung.

In der Kritik stand lange auch die Ermittlungsmethoden der Besucherzahlen. Bislang werden die Seitenabrufe mit einer speziellen Software gezählt. Jeder Besucher wird in ein elektronisches Gästebuch, dem so genannten Logfile eingetragen. Gezählt werden Homepages, Inhalte, Werbeseiten und Navigationsseiten. Seiten, die automatisch innerhalb einer gewissen Zeitspanne erneuert werden, zählt die IVW nicht. Dies ist jedoch gerade bei den beliebten Börsendiensten der Fall. Dort bleiben die Nutzer aber länger auf einer Seite, um die Aktualisierung abzuwarten und nehmen deshalb die Werbung intensiver wahr.

Die IVW hat auf die Kritik reagiert und jetzt ein neues Zählverfahren der Online-Nutzer eingeführt. Wie Wolfgang Neuber, Bereichsleiter Online bei der IVW feststellte: "Kooperationen haben ihre Einzelangebote zwar teilweise ausgewiesen, konnten aber die Nutzungszahlen zusammenschmeißen, wenn es um die Auflistung in einer bestimmten IVW-Kategorie ging." Ab Juli müssen sie jedoch alle Einzelangebote innerhalb einer Kooperation ausweisen, wenn diese über eine eigenen Adresse im Internet verfügen. Dies galt zuvor nicht für Partner, die weniger als fünf Prozent der gesamten Page Impressions eines Netzwerks hatten oder nicht mindestens eine Million Page Impressions verbuchen konnten.

Dies wird die Top Ten der beliebtesten Internetzeitschriften durcheinanderwürfeln: Lag "Focus Online" im Mai noch mit rund 190 Millionen Seitenabrufen auf Platz ein, gefolgt von "Coupé" mit rund 62 Millionen, könnte sich das jetzt umdrehen. Denn nur 30 Millionen Abrufe entfielen auf die Online-Ausgabe des Focus-Magazins, 132 Millionen jedoch auf das E-Bay. Auch in der Zuordnung der Netzpresse wird es Veränderungen geben. Denn "eine Online-Zeitschrift kann sich nicht als General-Interest-Anbieter ausgeben, wenn die Masse der Klicks im mit der Zeitung verbundenen Reisebüro gemacht wird", so Neuber. Manfred Klaus, Geschäftsführer der Focus-Digital-Tochter IAC wünscht sich jedoch auch eine Umgruppierung einiger Angebote in andere Sparten. Bislang stehen nämlich unter General Interest neben Frauen-Sites wie "Elle Online" das Comedy-Angebot von "TV Total" oder der "Praline".