Werden aus enttäuschten "Söhnen des Irak" wieder zornige junge Männer?

Keine Jobs, kein Geld: Die erwachten Sunniten läuten mit den Alarmglocken

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Den Awaking-Gruppierungen im Irak (siehe Das große "Erwachen" im Irak) wird von vielen Seiten zugestanden, dass sie ein maßgeblicher Faktor für den - relativen - Rückgang der Gewalt im Lande waren. Die friedensbringenden Erwachten wurden als Bekehrte gefeiert: Sunniten, die dem Widerstand und machmal auch al-Qaida den Rücken kehrten, um aus patriotischen Motiven den Besatzern zu helfen – beim Kampf gegen al-Qaida und generell gegen „fremde, ausländische Kämpfer, Terroristen und Dschihadisten“, die das berühmte Diktum des früheren amerikanischen Präsidenten George W. Bush beim Wort nahmen und den Irak ebenfalls als Hauptkampffeld begriffen und in größeren Scharen dorthin strömten.

Es gab allerdings schon immer auch Skeptiker, die der Erzählung von der rein patriotisch motivierten Bekehrung misstrauten. Sie hielten das amerikanische Geld, das an die Awakening-Gruppen und -Clans floß, einschließlich materieller Unterstützung (genannt wurden immer wieder auch Waffen) und der damit verbundenen Festigung von Machtpositionen in den lokalen Gefügen, für die tatsächlich wirksame Ursache, die die Guerillas zum befristeten Schulterschluss mit den Besatzern bewegte. Diese Fraktion dürften die jüngsten Meldungen aus dem Lager der Erwachten nicht überraschen, sondern in ihrer Sorge bestätigen.

Dass nämlich ein beträchtlicher Teil der lange Zeit von den Amerikanern bezahlten Sunniten keinen festen Job im von Schiiten geführten Staat bekommen werde, dass der Sicherheitsdienst der sunnitischen Kämpfer künftig weniger benötigt würde, und dass manche der Awakening-Führer auch hinter Gitter kommen könnten, war von den Skeptikern lange vorausgesehen worden. Jetzt ergaben Recherchen der New York Times, dass von 100.000 Erwachten gerade mal 5 Prozent, also 5.000 Mann, einen festen Posten bei den irakischen Sicherheitskräften bekamen. Da der niedrige Ölpreis den irakischen Staatshaushalt wichtiger Einnahmen beraubt, werden die Mittel knapp und das Einhalten von Gehaltszahlungen und von gegebenen Versprechen - Premierminister Maliki wollte 20 Prozent im Polizeidienst beschäftigen und die anderen 80 Prozent in verschiedenen Ministerien – wird schwierig: Die Hoffnung der Awakening-Sunniten auf Jobs und Einnahmen schwinden, der Groll gegen die schiitischen Machthaber wächst, so das Stimmungsbild, das die Zeitung übermittelt.

Dass Maliki bislang 164 Mitglieder der „Sons of Iraq“, wie man die US-freundliche „Stammesinitiative der Sunniten“ später zu nennen begann, hinter Gitter bringen ließ, ist ein weiterer Grund für die Empörung unter Sunniten. Auch wenn amerikanische Verantwortliche „gute Gründe“ für den Großteil der Festnahmen erkennen, von Seiten der „patriotischen Söhne“, die auch das anders sehen, heißt es, dass es in Wirklichkeit viel mehr sind. Zwischenfälle, bei denen ein bekannter Awakening-Führer im Gefängnis von Extremisten umgebracht wird, zeigen darüber hinaus, dass Gewalt und Rache im Irak noch immer teuflische Kreise bilden.

Ob die von Maliki enttäuschten Sunniten einen größeren Rachekreislauf neu beleben werden, ist allerdings schwierig zu beurteilen. Natürlich spekuliert der Bericht der New York Times mit dieser Möglichkeit. So wird angedeutet, dass manche Kämpfer wieder zur al-Qaida zurückkehren könnten und das Ganze wird mit Lage-Berichten von amerikanischen Militärs verbunden, die rund um Bagdad kleinere „Gewinne“ bei al-Qaida in Mesopotamien beobachten.

Doch dürften vor solchen Rückkehrüberlegungen, denen nicht nur große symbolische Bedeutung zukäme, ganz praktische Überlegungen stehen. Man braucht Geld fürs Überleben: Die Amerikaner zahlten gut; die irakische Regierung immerhin 600 Dollar für einen Offiziersposten und 250 bis 300 Dollar für einen normalen Regierungsposten. Darum geht es erstmal, um eine gute Verhandlungsposition, die klarmacht, wie wichtig die Erwachten für die Sicherheit Iraks sind.

Für die neue US-Regierung, die sich militärisch vor allem auf „Afpak“ (Afghanistan, Pakistan) konzentriert, wäre ein erneutes Aufflammen der Unruheherde im Irak fatal. Dazu kommt ein weiteres Problem: amerikanisches Geld, das vor Jahren noch palettenweise im Irak kursierte, ist weniger geworden.