Whistleblower und investigative Journalisten bald im Abseits?
Eine neue EU-Richtlinie will Geschäftsgeheimnisse besser schützen, könnte aber Aufdeckern von Missständen das Leben schwer machen
In Zeiten der Globalisierung und technischen Vernetzung wird der effiziente Schutz von Geschäftsgeheimnissen für Unternehmen immer wichtiger. Eine geplante EU-Regelung will hier der Wirtschaft helfen und unterschiedliche Länderregelungen harmonisieren. NGOs, Journalisten und Gewerkschaftsvertreter warnen allerdings: Aufgrund der Richtlinie könnten bedenkliche Praktiken von Unternehmen künftig unentdeckt bleiben, zumal bei Weitergabe und Veröffentlichung von Informationen mit kaum abschätzbaren rechtlichen Folgen zu rechnen wäre.
Es gebe einige "ernsthafte Bedrohungen für die Arbeit von Journalisten und Gewerkschaftsvertretern", kritisierte Mogens Blicher Bjerregard von der Europäischen Journalistenföderation (EFJ) die geplante EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Diese soll in den nächsten Monaten dem EU-Ministerrat nochmals vorgelegt und dann vom EU-Parlament beschlossen werden. Neben der EFJ haben auch zahlreiche andere Journalistenorganisationen, NGOs und Gewerkschaftsvertreter Protest eingelegt.
Journalisten fürchten aufgrund verschiedener Passagen und Formulierungen, dass sie künftig jede Information vorab von Juristen prüfen lassen müssten, bevor sie überhaupt eine Enthüllungsgeschichte veröffentlichen könnten.
Fallbeispiel LuxLeaks: Hier wurden 2014 rund 28.000 Seiten vertraulicher Dokumente von der Beraterfirma PricewaterhouseCoopers Journalisten zugespielt. An der Auswertung waren etwa 80 Journalisten aus über zwanzig Ländern beteiligt. Koordiniert wurde die Arbeit vom "International Consortium of Investigativ Journalists". In mühevoller Kleinarbeit konnten die "steuerschonenden" Konstruktionen und Vereinbarungen zwischen Luxemburg und internationalen Konzernen offengelegt werden. Dadurch sollen große Unternehmen die Steuern auf Gewinne auf teilweise bis zu einem Prozent gedrückt haben. Der britische Professor für Rechnungswesen Prem Sicca kritisierte diese Praktiken scharf, berichtete damals die Süddeutsche Zeitung. Sie würden dazu führen, "dass normale Menschen höhere Steuern zahlen müssen, weil ihre Steuervermeidungsschemata große Konzerne und reiche Menschen entlasten".
Pressefreiheit und Informantenschutz versus Geschäftsinteressen?
Die geplante EU-Richtlinie zum Schutz von Betriebsgeheimnissen könnte die mediale Aufbereitung und Veröffentlichung ähnlich gelagerter Fälle erheblich erschweren oder überhaupt unmöglich machen, befürchten Medienvertreter. Die Informationen, die zu LuxLeaks führten, wären ausschließlich Geschäftsgeheimnisse im Sinne der neue EU-Richtlinie gewesen, so die durchgängige Meinung.
War es nun im "öffentlichen Interesse", diese an Medien weiter zugeben oder nicht? Dem LuxLeaks-Whistleblower, der angibt, aus Gewissensgründen die Dokumente weitergeleitet zu haben, droht übrigens in Luxemburg eine Gefängnisstrafe von fünf bis zehn Jahren. Er wartet derzeit auf seinen Prozess.
Geht die neue EU-Richtlinie durch, so könnte sich die Situation generell noch verschärfen, warnen Kritiker. Verlage und Journalisten würden ebenfalls in Bedrängnis kommen, schließlich heißt es unter Kapitel II der Richtlinie "Rechtswidriger Erwerb, rechtswidrige Nutzung und rechtswidrige Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen":
Die Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses ist als rechtwidrig anzusehen, wenn sie ohne Zustimmung des Inhabers des Geschäftsgeheimnisses, vorsätzlich oder grob fahrlässig durch eine Person erfolgt, auf die eine der folgenden Bedingungen zutrifft:
a) Sie ist auf rechtwidrige Weise in Besitz des Geschäftsgeheimnisses gelangt.
b) Sie verstößt gegen eine Vertraulichkeitsvereinbarung oder eine andere Verpflichtung zur Geheimhaltung des Geschäftsgeheimnisses.
c) Sie verstößt gegen eine vertragliche oder andere Verpflichtung zur Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses.
Und:
Ebenfalls als rechtwidrig anzusehen ist die Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses, wenn eine Person zum Zeitpunkt der Nutzung oder Offenlegung wusste oder unter den gegebenen Umständen hätte wissen müssen, dass sie über eine andere Person in Besitz des Geschäftsgeheimnisses gelangt ist, die dieses rechtwidrig im Sinne des Absatzes 3 genutzt oder offengelegt hat.
EU-Vertreter betonen, dass die Informations- und Pressefreiheit von der Richtlinie nicht tangiert wäre. Tatsächlich wird in der Richtlinie ansatzweise darauf hingewiesen. Was "im öffentlichen Interesse" liege und "legitim" an Information beschafft wurde, dürfe nach wie vor publiziert werden. Doch juristische Begriffe sind oft Auslegungssache. Und so stellen sich Journalisten die berechtigte Frage, wo die Grenze "im öffentlichen Interesse" gezogen wird. Was genau wird als Betriebsgeheimnis definiert? Der EU-Richtlinie zufolge könnte alles unterhalb von ohnehin geschützten Patenten auch als Geschäftsgeheimnis interpretiert werden, warnen Kritiker.
Selbst der deutsche Bundesrat sah den Richtlinien-Entwurf als nicht ausgereift an. In einer Zusammenfassung der Empfehlungen der befassten Ausschüsse heißt es:
Der Bundesrat stellt jedoch fest, dass das Ziel der Kommission, ein möglichst einheitliches Rechtsschutzniveau für Geschäftsgeheimnisse innerhalb des Europäischen Binnenmarkts zu gewährleisten, mit dem derzeitigen Richtlinienvorschlag nicht hinreichend erreicht wird. Darüber hinaus finden in dem Richtlinienvorschlag die Interessen des (vermeintlichen) Verletzers teilweise nur unzureichend Berücksichtigung.
Zensur und präventive Einschüchterung?
Otmar Lahodynsky, Redakteur des österreichischen Nachrichtenmagzins Profil, fasst in einem Artikel die Gefahren für die mediale Berichterstattung trefflich zusammen:
Eine Veröffentlichung ist demnach auch dann ungesetzlich, wenn ein Journalist gar nicht weiß, ob eine Insiderinformation illegal besorgt wurde. Auch hier werden investigative Journalisten gleichsam präventiv eingeschüchtert: Eine Berufung auf den in den Grundwerten der EU verankerten Schutz von Quellen genügt nicht mehr, in Hinkunft müsste der Weg, über den ein Informant zu Dokumenten gekommen ist, wohl mehr untersucht werden als deren Inhalt.
Otmar Lahodynsky
Dass die Regelung unter dem "Denkmantel" des Schutzes vor Betriebsspionage eine einseitige, unternehmerfreundliche "Zensur" in Gang gebracht wird, vermuten auch zahlreiche französische Journalisten, die derzeit gegen die Etablierung des neuen Wirtschaftsgesetzes ("Loi Macron") demonstrieren. Darin wird in einer Art Vorgriff auf die geplante EU-Richtlinie das "Geschäftsgeheimnis" in einer Art und Weise etabliert beziehungsweise abgesichert, welche die Öffentlichkeit von wichtigen Informationen abschneiden könnte. Einem Arte-Bericht zufolge drohen bei Veröffentlichung eines "Betriebsgeheimnisses" "Strafen von bis zu 3 Jahren Haft und 375.000 Euro".
Geschäftsgeheimis: Unklare Definition
Ein Angestellter, der aus Gewissensgründen bestimmte Informationen weiter gibt, wäre bei Durchsetzung der geplanten EU-Richtlinie wahrscheinlich ähnlich bedroht. Und das, obgleich nach den Skandalen wie LuxLeaks oder SwissLeaks vom Europarat ein besserer Schutz für Whistleblower gefordert wurde. Eine einheitliche EU-Richtlinie zu ihrem Schutz gibt es allerdings bis heute nicht. Die Beweislast, ob die Veröffentlichung eines Geschäftsgeheimnisses im öffentlichen Interesse gerechtfertigt sei, läge bei den Whistleblowern beziehungsweise bei Journalisten, kritisiert die Europäische Journalisten Föderation (EFJ).
Dabei besteht ein internationaler Konsens darüber, dass Hinweisgeber (Whistleblower) sowohl bei der Korruptionsbekämpfung als auch bei der Wahrung von anderen Rechtsgütern - zum Beispiel Qualitätssicherung im Bereich Medikamentenherstellung - eine wesentliche Rolle spielen.
Die unklare und "weit gefasste" Definition des Begriffs "Geschäftsgeheimnis" in der geplanten EU-Richtlinie lässt nach Ansicht von zahlreichen NGOs nichts Gutes erwarten. Das von der Plattform Corporate Europe Observatory (CEO) veröffentlichte Protest-Statement wurde unter anderen von mehreren NGOs, die im Gesundheitsbereich agieren, unterzeichnet. In diesem Bereich könnten laut CEO pharmazeutische Unternehmen versuchen, auch klinische Daten als Geschäftsgeheimnisse zu deklarieren, die für Forschung allgemein wichtig wären, etwa um spezielle Therapien zu evaluieren. Ebenso werden für die Bereiche Umwelt und Ernährungssicherheit Beispiele angeführt, die es genauer zu definieren gelte.
Das CEO-Statement kritisiert eingangs auch das "hastige" Vorantreiben der Richtlinie. Wahrscheinlich ist dies auch ein dezenter Hinweis darauf, dass Kritiker wieder einmal einen "Kniefall" der EU-Kommission vor mächtigen Konzernlobbys wittern. Wie das österreichische Nachrichtenmagazin Profil berichtet, wurde "intensive" Lobby-Arbeit betrieben - "koordiniert von der PR-Agentur Hill & Knowlton". Laut Profil beteiligten sich unter anderen Konzerne wie "Alston, DuPont, General Electric, Michelin, Intel und Nestlé" an dieser Lobby-Aktion.