Wie "akzeptabel" sind 180.000 Covid-Tote?
In den USA herrscht eine tiefe politische Kluft über die Reaktion der Trump-Regierung auf die Pandemie
Bisher wurden in den USA mehr als 5,8 Millionen Corona-Fälle bestätigt, über 180.000 Menschen starben an den Folgen einer Infektion. Zwar ist die Zahl der Todesopfer mit Abstand die höchste weltweit, doch pro eine Million Einwohner liegen USA hinter Länder wie Spanien (620) oder Italien (587). In Deutschland beträgt die Zahl der Todesfälle pro eine Million Einwohner 112. Zum Vergleich: Läge sie so hoch wie in den USA, gäbe es hier hierzulande über 46.000 Covid-19 bedingte Todesfälle. Wie unterschiedlich fiele dann allerdings entlang des politischen Spektrums die Meinung darüber aus, ob die Zahl der Toten "akzeptabel" wäre oder nicht? Unabhängig davon, dass es ohnehin inakzeptabel scheint, die Pandemie-Opfer dermaßen zu politisieren, scheint es in den USA deutlich von der Parteizugehörigkeit abzuhängen, wie diese Frage zu beurteilen ist.
Für die Demokraten um Herausforderer Joe Biden ist es eine eindeutige Sache. Sie versuchen Trump eine entscheidende Mitverantwortung für das Ausmaß der Pandemie zuzuschreiben, die neben den Todesfällen auch für eine Welle von Massenentlassungen sorgte. Derzeit liegt die Arbeitslosenquote bei etwas über 10 Prozent und das BIP ist im zweiten Quartal um ein Drittel geschrumpft. Trumps Handhabe der Maßnahmen bietet nach Ansicht der Demokraten die größte Angriffsfläche.
Wenn heute Abend US-Präsident Donald Trump auf dem Parteitag der Republikaner spricht, dürften die Corona-Toten jedoch kaum ein Thema sein. Sie spielten an den vergangenen Tagen der "Republican National Convention" schon keine Rolle, stattdessen wurde Trumps Umgang mit der Pandemie gepriesen: In Reden und Videos wurde der Präsident als entschlossener Krisenmanager dargestellt, Trump habe "entschiedene Maßnahmen ergriffen, um Leben zu retten." Trumps Anhänger, die nicht selten der Meinung sind, dass seine Taten und nicht sein Gerede oder seine Tweets zu beurteilen sind, sehen die USA als ein Land, das die Covid-19-Pandemie schon überwunden hat.
Für mehr als die Hälfte der Republikaner "akzeptabel"
57 Prozent der Republikaner sollen der Meinung sein, dass die Zahl der Coronavirus-Toten in den USA "akzeptabel" ist. Das fand eine Umfrage von CBS/YouGov mit 2.226 registrierten Wählern heraus. Unter den Demokraten sagte nur einer von zehn Befragten, die Zahl in den USA sei akzeptabel, während 90 Prozent sie für inakzeptabel hielten. Unter den Unabhängigen bezeichneten 33 Prozent die Zahl der Todesopfer als akzeptabel und 67 Prozent als inakzeptabel.
Auch in der Frage, ob der Umgang der USA mit der Coronavirus-Pandemie "gut läuft", unterschieden sich die republikanischen Befragten unter allen Wählern. 73 Prozent der Republikaner stimmten dieser Einschätzung zu. Insgesamt sagten nur 38 Prozent aller Befragten, dass es gut läuft. Die meisten Wähler - 62 Prozent - sagten, dass der Umgang mit der Pandemie "schlecht läuft", aber nur 27 Prozent der Republikaner teilten diese Ansicht.
Ein möglicher Grund dafür, dass die Republikaner die Zahl der Coronavirus-Todesfälle für akzeptabel halten, liegt darin, dass sie Zweifel an der Richtigkeit der Zahlen haben. 64 Prozent der republikanischen Teilnehmer waren der Meinung, dass die Zahl der Todesopfer in den USA niedriger ist als die Zahlen, die offiziell gemeldet werden. Dagegen glauben zwei Drittel der Demokraten (68 %), dass die Zahl der Todesfälle durch COVID-19 höher ist als berichtet. Insgesamt waren 44 Prozent aller Befragten der Meinung, dass die Zahl der Todesopfer höher liegt. Dem stimmten nur 18 Prozent der Republikaner zu.
Die Umfrage gibt auch Aufschluss darüber, woher das Beharren der Republikaner darauf kommt, dass alles in Ordnung sei. Ganze drei Viertel der befragten Republikaner glauben, dass es Amerika heute besser geht als vor vier Jahren. Als Gründe nannte sie: "Vertrauen in Donald Trump" (82 %), "der Wirtschaft geht's gut" (70 %) und weitere 70 Prozent sagten, dass es den USA besser geht, liege daran, dass die Demokraten nicht an der Macht sind.
Zum Zeitpunkt der Umfrage vermeldeten die USA mehr als 176.000 Covid-Tote. Dass die Meinungen so weit auseinander gehen scheint erwartbar und auch intendiert: Die zuspitzende Umfrage fand am Wochenende zwischen den Mega-Events der Parteitage der Demokraten letzte Woche und der Republikaner diese Woche statt.
Sechzig "Nine Elevens"
Dem Ergebnis nach zu urteilen, dürfte Trump seine Anhängerschaft kaum vor den Kopf stoßen, wenn er bei seiner Rede auf dem Parteitag der Republikaner die Opfer der Pandemie übergeht. Für die meisten Republikaner ist Amerika eine Nation, in der die Wirtschaft noch recht gut läuft, in der die Bemühungen, mit dem Coronavirus umzugehen, zumindest ein wenig gut laufen und in der der Präsident sehr gute Arbeit leistet. Für sie löst das Virus in erster Linie weniger Besorgnis aus. Sie halten die vielen Todesopfer für eine übertriebene Zahl, die für viele bisher als akzeptabel angesehen werden kann.
Die bisherigen Corona-Toten sind für Trump kaum der Rede wert. Im Mai klang das noch anders. Damals wollte Trump gegen China Stimmung machen und sagte: "Das ist wirklich der schlimmste Angriff, den wir je hatten. Das ist schlimmer als Pearl Harbor. Das ist schlimmer als das World Trade Center [Terroranschlag vom 11. September]. Einen solchen Angriff hat es noch nie gegeben, und es hätte nie passieren dürfen. Er hätte an seinem Ursprung gestoppt werden können. Er hätte in China aufgehalten werden können."
Der japanische Angriff auf den US-Marinestützpunkt in Hawaii am 7. Dezember 1941 forderte 2.400 Menschenleben und bei den Terroranschlägen in den Vereinigten Staaten am 11. September 2001 starben fast 3.000 Menschen. Die Pandemie forderte bisher über 180.000 Tote in den USA, anders gesagt: sechzig Terroranschläge in der Dimension von "Nine Eleven". Wie würden die Republikaner reagieren, wenn an jedem dritten Tag ein solcher Terroranschlag passieren würde? Wären dann 180.000 Tote "akzeptabel"?
Inakzeptabel scheinen für die Republikaner jedenfalls die Proteste und Ausschreitungen in Kenosha, Wisconsin, zu sein. In der Nacht zum Montag hatte ein weißer Polizist einem schwarzen Amerikaner sieben Mal in den Rücken geschossen. Dort hat gestern ein 17-Jähriger, der zu einer weißen Bürgerwehr gehören soll, mit einem Maschinengewehr zwei unbewaffnete Demonstranten erschossen und einen weiteren verletzt. Trump, der solche Krawalle für seinen Wahlkampf gegen Biden instrumentalisieren will, wird sich zu den Taten des jungen Trump-Anhängers äußern müssen.