Wie der IS in Afghanistan langfristig den Frieden bedroht

Seite 2: Sehr unterschiedliche Ideologien

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In den letzten Monaten und Jahren berichteten sowohl die afghanische Regierung als auch die Taliban regelmäßig darüber, wie sie gegen den ISKP vorgingen, indem sie ganze Distrikte säuberten. Nach Angaben von Regierungsvertretern verhafteten Regierungskräfte einen Tag vor den Angriffen mehrere Schlüsselfiguren des ISKP in Kabul.

Zwar sind auch einige ehemalige Taliban-Mitglieder dem ISKP beigetreten, aber die Taliban stehen mit der Terrorgruppe selbst in einem massiven Konflikt. Dieser ist in erster Linie auf ideologische Fragen zurückzuführen, die von Außenstehenden, die mit islamischer Polemik nicht vertraut sind, oft übersehen werden.

"Die ideologische Hürde zwischen den beiden Gruppen ist immer noch sehr hoch. Daher dürften Taliban-Kämpfer nach einem Friedensabkommen kaum zum IS überlaufen wollen", sagt Thomas Ruttig. Theologisch steht der IS für einen aus dem Ausland importierten salafistischen Extremismus. Die Taliban vermarkten sich dagegen als einheimische Söhne des Bodens, als Erben der tief verwurzelten, jahrhundertealten sunnitisch-hanafitischen Traditionen in Afghanistan.

Es gibt Beobachter, die glauben, der ISKP sei immer noch ein kleiner, unbedeutender Akteur. Dem steht die Tatsache entgegen, dass der ISKP bislang nicht ausgeschaltet werden konnte, obwohl seit 2015 angeblich mehr als 10.000 seiner Kämpfer getötet wurden - ob von den afghanischen Streitkräften, der US-Luftwaffe oder den Taliban.

"Dies zeugt von einer unglaublichen Widerstandskraft, da sie weiterhin ständig neue Anhänger rekrutieren und ihre Arbeit fortsetzen können, während sie gleichzeitig derart hohe Verluste verkraften", sagt Andrew Watkins, bei der International Crisis Group als Senior Analyst für Afghanistan tätig.

Unbekannte Größe

Schätzungen gehen heute immer noch von Hunderten, vielleicht sogar von 1.000 oder mehr Mitgliedern aus. Allerdings gibt es Anlass zu Zweifeln an diesen offiziellen Zahlen, insbesondere an der Darstellung der afghanischen Regierung, die nach Ansicht vieler Beobachter ein undurchsichtiges, problematisches Verhältnis zum ISKP pflegt.

Einige Fachleute halten es für möglich, dass die Regierung die Existenz des ISKP dazu nutzen möchte, die Taliban für bestimmte Terroranschläge verantwortlich zu machen. Sie erinnern dabei an eine ähnliche strategische Beziehung wie die zwischen dem Assad-Regime und dem IS in Syrien. Andere wie Watkins meinen, solche Theorien seien lediglich "Verschwörungstheorien, die kaum ein Körnchen Wahrheit enthalten".

"Es ist nicht zu leugnen, dass sich die afghanische Regierung gegenüber ISKP-Kämpfern und -Kommandeuren zeitweise sehr seltsam verhielt. Sie wurden lebend festgenommen und in der Haft ungewöhnlich gut behandelt", sagt Watkins. "Doch jegliche Analogien zwischen den Beziehungen der afghanischen Regierung zum ISKP und des Assad-Regimes zum IS, liegen völlig daneben. Die afghanische Regierung hat erhebliche militärische Mittel für ihre Kampagne gegen den ISKP in Nangarhar aufgewendet. In den letzten fünf Jahren hat sie zeitweise sogar implizit Maßnahmen ergriffen, die den Taliban in den ländlichen Gebieten der Provinz klar zugutekommen könnten", betont Watkins.

Was den Friedensprozess anbelangt, so Watkins, mische sich die Terrorgruppe aus ideologischen Gründen ein.

"Der ISKP ist unmittelbar nach dem Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban deutlich aktiver geworden. Sie prangern das Abkommen als Beweis dafür an, dass die Taliban die Kufr - also die Ungläubigen - seien, als die man sie stets gesehen habe. Vor Februar reklamierte die ISKP nicht einen einzigen Anschlag für sich. Doch in den Tagen vor der Unterzeichnung in Doha nahm die Terrorgruppe ihre Aktivitäten mit voller Gewalt wieder auf."