Wie deutsche Medien die Bundesregierung am Hindukusch verteidigten

Wie kommt Kriegspropaganda in unsere Medien? Eine Fallstudie am Beispiel des Krieges in Afghanistan

Auf das folgende Zitat von Martin Sonneborn mit Bezug zu unserem Thema möchte ich zum Einstieg hinweisen. Sonneborn und sein Büroleiter haben den Schauprozess gegen Julian Assange in London verfolgt, kritisiert und dokumentiert. Und hier bringt der EU-Abgeordnete für Die Partei sein Fazit auf den Punkt:

Unsere Freiheit wird nicht am Hindukusch verteidigt;
sondern in Belmarsh.
Free Assange!

Im Gegensatz zur medialen Vorbereitung und Begleitung des Kriegs in Afghanistan, den man lange so nicht nennen durfte, haben sich die Medien im Skandalfall Assange auffallend zurückhaltend verhalten – erst langsam scheint es einigen im Journalismus Tätigen zu dämmern, dass hier ein wichtiger Präzedenzfall geschaffen wird, der sich auf sie und ihre Arbeit auswirkt.

Wenn das Aufdecken von Kriegsverbrechen als Verbrechen geahndet wird, die Verbrecher aber weiter unbehelligt agieren dürfen, dann ist das Signal klar – und wie u.a. Mark Nelson als Direktor des Centre for International Media Assistance sagte:

Keine Demokratie ohne freie Medien.

Ein Problembewusstsein in Medien und Politik dafür scheint es vorwiegend in Bezug auf andere Weltgegenden zu geben, die eigene "Wertegemeinschaft" wird zumindest vonseiten der Politik weniger kritisch in den Blick genommen.

Dazu passt auch der Satz des ehemaligen Verteidigungsministers Peter Struck, die Sicherheit Deutschlands werde "auch am Hindukusch verteidigt". Der Widerspruch zur Realität wurde damals von der Friedensbewegung bereits klar benannt, von Medien weitestgehend ignoriert. In weiteren Kreisen spricht es sich so langsam herum – nach vielen Toten mehr.

Was den Schauprozess gegen Julian Assange anbelangt, so setzen sich die Reporter ohne Grenzen, einige Journalistenverbände, viele Aktivisten und der Uno-Sonderberichterstatter Nils Melzer für seine Freilassung ein; diverse Medien berichten sporadisch darüber – eine Medienkampagne, wie im Falle Nawalny, gibt es in Sachen Assange nicht.

Der vielfache Nutzen des Afghanistan-Krieges

Seitdem man den Krieg "Krieg" nennen darf – dazu haben wesentlich der ehemalige Bundespräsident Köhler und der schillernde Verteidigungsminister von und zu Guttenberg beigetragen – wird er als Argument für eine sich durchsetzende Kriegs-PR genutzt.

Es ist allerhöchste Zeit über Euphemismen nachzudenken und Spins in realistische Bezeichnungen umzubenennen, damit sie weniger Illusionen verbreiten - evtl. lässt sich die Umbenennung des "Verteidigungsministeriums" in eine realistischere Bezeichnung als Schulwettbewerb ausschreiben.

Der aktuelle Sprachgebrauch erinnert an die in George Orwells messerscharfer Analyse 1984 formulierten Floskeln, wie etwa "Krieg ist Frieden" – wenn man es genau nimmt, ist das heute verbreitete "Krieg ist Friedenssicherung" nicht so weit davon entfernt. Es bedient zudem noch die Vorstellung (Prämisse), dass der Frieden realisiert sei, den es zu "sichern" gälte; dabei befinden wir uns inzwischen im Jahr 23 der neuen Weltkriegsordnung, die der Krieg in Jugoslawien und die Nato-Doktrin von 1999 einleiteten.

Verharmlosende Bezeichnungen, wie auch die Einführung einer (noch) moderaten Kriegsrhetorik tragen zur Gewöhnung an den Kriegszustand bei – ebenso die Mode. Das Camouflage-Design lässt sich in Schulklassen an vielen Stellen beobachten: Tarnfleck auf Federmäppchen, Schulranzen, Kleidung und Bleistiften. Diese werden nicht nur als Merchandise-Produkte der Bundeswehr (ein weiterer Euphemismus) verteilt, sondern sogar freiwillig gekauft.

Über die Militarisierung der Außenpolitik, auch mithilfe des Afghanistankrieges, hat Claudia Haydt ausführlich berichtet. Die Strategie ist durchschaubar, allerdings verlegen sich die meisten Medien auf reine Verlautbarungsberichterstattung, statt ihres Jobs einer vierten Gewalt nachzukommen.

Kriegswerbung – Krieg als Emanzipations- und humanitäres Projekt

Die Mehrheit der befragten Bevölkerung in Deutschland ist und war immer gegen den Afghanistan-Krieg gewesen. Zur Militarisierung der viel beschworenen "Verantwortung in der Welt" dient auch die Bundeswehr selbst; wobei gezielt die weltwirtschaftlichen Ausbeutungsstrukturen, die Krisen und Despoten befeuern, ausgeblendet werden müssen.

Zu Beginn der deutschen Beteiligung am Kriegseinsatz in Afghanistan wurden Soldaten als Ärzte und Hilfstrupps jenseits militärischer Aufgaben gezeigt. Die neue PR-Ausstattung mit eigenen "Journalisten" sorgte für Fotos wie die folgenden, die über Agenturen und Medien verbreitet werden. Die sog. "humanitäre Intervention" der Nato-Doktrin von 1999 wird beispielsweise im Spiegel (ab 2001 und folgende Jahre) verbildlicht:

Dabei wurden mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Werbung für den Krieg und für die Bundeswehr gleichzeitig. Die Sympathie-Initiative für Soldaten und Bundeswehrärzte bereitete die späteren Solidaritätsforderungen vor, die gerne dann aufgebracht wurden, wenn es Kritik am Kriegseinsatz und der Ausweitung des Krieges durch die vielen Drohnentoten gab. Diese Instrumentalisierung "unserer Soldaten" muss als das bezeichnet werden, was es ist: Missbrauch, die in eine Art moderner Dolchstoßlegende münden konnte.

Das Ausschöpfen historischer Ikonografien bei der folgenden Darstellung ist auffällig, etwa wenn Soldaten Kindern etwas schenken. Hier wird das Hilfskonzept durch das des Befreiers für die besonders schutzwürdigen Kinder ergänzt, das nicht nur in Deutschland im kollektiven Gedächtnis verankert sein dürfte – erinnert sei an historische Pressefotos von GIs, die Kindern Schokolade schenken.

Interessant ist bei diesem Beitrag der Nürnberger Nachrichten, der auf einer dpa-Meldung beruht, die Text-Bild-Schere zwischen dem Foto und der Überschrift. Nicht selten, aber hier besonders perfide, wie mit positiven Imagefotos für (Verständnis für) Krieg und Tod geworben wird.

Die Finanzmittel für die Bundeswehr-PR nehmen zu. Wenn große Aufträge vergeben werden, wird darüber mindestens in den Fachzeitschriften der Werbebranche berichtet – etwa hier ein Beitrag aus Werben und Verkaufen.

Screenshot

Der Rechercheaufwand ist also überschaubar, um die beteiligten eigenen Stabsstellen – etwa in Strausberg bei Berlin – und die beauftragten Agenturen und weitere Medien-Kooperationspartner – wie etwa RTL mit einer Adventure-Show mit Sonja Zietlow oder der Jugendzeitschrift Bravo mit einem Rekrutierungs-Quiz – zu ermitteln.

Dies alles ist Teil einer riesigen Imagekampagne für Krieg als Fortsetzung der politischen Mittel. Die Aufstockung der Rüstung spricht hierzu ergänzend eine eindeutige Sprache. Natürlich haben Regierung und Parlament eine besondere Verantwortung für "unsere Soldaten", zumal sie gegen das Mehrheitsvotum der befragten Bevölkerung diese in die Kriegseinsätze schicken.

Der immer wieder bemühte Solidarität-Frame (Rahmung als…) für Soldaten und für Frauen und Kinder vor Ort (s.u.) widerspricht dem Fakt, dass sie zu Zwecken entsendet werden, die das Völkerrecht aushöhlen; so auch zur "Ressourcen- oder Ressourcenwege-Sicherung" (s. Nato-Doktrin 1999).

Eigentlich müsste dringend die Frage gestellt werden: Wer lässt hier wirklich die Soldaten im Stich? Diejenigen, die gegen Krieg sind, oder diejenigen, die Soldaten in Einsätze schicken, wo sie laut Grundgesetz nichts zu suchen haben und mit fadenscheinigen Begründungen hehrer Aufgaben manipuliert werden?

Gerade die wechselnden Kriegsgründe, die man am Beispiel des Afghanistankrieges nachzeichnen kann, lassen schnell die PR-Strategien erkennen. Erinnern wir uns – wenn es viele Medien zum Ende des 20-jährigen Einsatzes versäumt haben –, mit welchen Argumenten der Kriegseinsatz begründet wurde: Zunächst sollte es um die Verfolgung des Terrorverdächtigen Osama Bin Laden gehen (s.u.), dann um die Freiheit für alle, mit besonderem Fokus auf Fortschritt für Frauen, bis hin zum Bau von Brunnen und Mädchenschulen.

Jenseits der vielleicht relevanten Einzelaspekte ist allein am Austausch der Argumentation je nach politischem Wind die Instrumentalisierung durchschaubar. Bevor wir einen Blick auf die wechselnden Claims werfen, die nicht weniger entlarvend sind, hier noch ein Hinweis auf eine psychische Komponente, die nicht zu unterschätzen ist und die einen Teil der Erklärung dafür liefern dürfte, warum so viele Betroffene noch lange am Glauben an "die gute Sache" festhalten (müssen).

Die Einsicht in einen offensichtlich sinnlosen Einsatz, mit Opfern des eigenen Lebens und das der Familie, ist verständlicherweise schwer erträglich. Gerade im Todesfall ist es nachvollziehbar, dass Angehörige von Kriegsopfern den Verlust besser oder nur dann ertragen, wenn er sinnhaft erscheint. Wo einfach kein Sinn zu erkennen ist, wird die Depression unerträglich.

Deshalb ist das Eingeständnis so schwierig, wie es auch Daniel Lücking beschreibt, ein ehemaliger Soldat und heutiger Journalist, der anfangs an die Mission in Afghanistan glaubte und der durch ein schweres post-traumatisches Belastungssyndrom (PTBS) gehen musste, um sich heute kritisch gegenüber derlei Einsätzen positionieren zu können.