Wie deutsche Medien die Bundesregierung am Hindukusch verteidigten
Seite 2: Kriegswerbung – Slogans für den Krieg
Einen frühen Hinweis erhielt man durch die Umbenennung der "Operation", die zuerst "Infinite Justice" und schließlich "Enduring Freedom" genannt wurde. Claims (Slogan, Motto) sind wichtig für eine gelingende PR und Claims werden nur im äußersten Notfall geändert, ähnlich wie die Umbenennung politischer Parteien eine absolute Ausnahme darstellt und immer eine besondere Betrachtung verdient.
Umbenennungen aufmerksamkeitsrelevanter Slogans, Organisationsnamen oder Fachtermini sagen etwas über Konnotationen aus, die mitschwingen. Der Claim "Infinite Justice" klang zu sehr nach Selbstjustiz, weil "Justice" die Begriffe von "Gerechtigkeit" und "Justiz" aktualisiert. Die Rechtsprechung der Justiz ist aber Gerichten vorbehalten, eine solche spielte beim "Krieg gegen den Terror" keine Rolle. "Freedom" hingegen war doppelt gut nutzbar.
Es umging die Frage der Rechtsstaatlichkeit, des Völkerrechts und lieferte positive Konnotationen: Die Befreiung Afghanistans von al-Qaida, sowie die Befreiung des ganzen Landes von den Taliban – also Freiheit allumfassend, so die US-amerikanische Kriegs-PR. Auch der Wechsel von "infinite" zu "enduring" stellt eine Verbesserung dar, wenn die Idee von "endlos"/"unendlich" mit dem Aspekt von "nachhaltig" belegt wird.1
Man kann ja nicht ein Volk dazu bewegen, Krieg gegen ein anderes Volk zu führen. Das weiß man aus der Propagandaforschung. Es bedarf der Personalisierung des Bösen, ein Feindbild, eine möglichst leicht und präzise auszuschaltende Gefahr. Personalisierung und Dämonisierung im Kontext von Geopolitik (mit militärischen Mitteln) ist weitverbreitet und auch heute sehr aktuell.
Die Kaprizierung auf Osama Bin Laden und einer angeblichen Auslieferungsverweigerung durch die in Afghanistan Verantwortlichen, konnte im Nachgang zum traumatisierenden Terroranschlag 9/11 wirken – wenn man ausblendet, dass Bin Laden wegen genau dieses Anschlags nie gesucht wurde.
Tatsächlich gab es einen internationalen Haftbefehl gegen Osama Bin Laden für ältere Anschläge auf US-amerikanische Botschaften. Für den Einmarsch in Afghanistan fehlte ohne einen spezifischen Haftbefehl für 9/11 jegliche Rechtsgrundlage. Und es sei daran erinnert, dass auch das heute gerne angeführte Uno-Mandat ein nachträgliches war – nämlich nicht die gerne von den USA angeführte Resolution 1368.2
Dass Osama Bin Laden gar nicht wegen 9/11 hätte ausgeliefert werden können, spielt(e) in der breiten Berichterstattung keine Rolle. Zum (offiziellen) Tod Osama Bin Ladens Anfang Mai 2011 erwähnt der Journalist und Jurist Heribert Prantl in seinem sehr lesenswerten Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 3. Mai 2011 lediglich, dass Bin Laden mit internationalem Haftbefehl gesucht wurde und moniert, dass eine rechtsstaatliche Überprüfung und Verurteilung nie stattgefunden habe, um eine "Polizeimaßnahme", wie die gezielte Tötung in Pakistan evtl. zu werten wäre, zu legitimieren.
Es geht hier nicht um eine Unschuld Bin Ladens, aber um den Beibehalt der eigenen rechtsstaatlichen Verfahren und Grundsätze, die im "War on Terror" schon zu einem Vielfachen verletzt worden sind. Selbst US-Recht, das die Todesstrafe umfasst, setzt ein entsprechendes Urteil voraus. Prantl schreibt zur Erörterung eines anscheinend still angewandten "Feindstrafrechts":
Der US-Krieg gegen den Terror ist aber kein Krieg im klassisch völkerrechtlichen Sinn. Die USA haben sich bei ihrem Krieg gegen den Terror auch nie den Regeln des Kriegsvölkerrechts unterworfen. Der Krieg gegen den Terror ist ein US-Krieg eigener Art, auf den die Amerikaner die Regeln des klassischen Rechts nicht anwenden wollen.
Was Prantl nicht erörtert, ist, was der Inhalt des internationalen Haftbefehls war. Kleine Anfragen von Die Linke im Bundestag offenbaren, dass auch die Bundesregierung wusste, dass Bin Laden nicht wegen 9/11 verfolgt werden konnte – da war auch die US-amerikanische Justiz unabhängig genug, um sich hier nicht vor den Karren des Pentagon spannen zu lassen.
Die Seebestattung von Bin Laden – die einzige muslimische Seebestattung, von der ich hörte – hat zur Vernichtung aller DNA-Spuren im Meer geführt. Man muss die Eliminierung Bin Ladens am 1. Mai 2011 nicht anzweifeln, um dennoch die Frage zu stellen, warum man ab nun auf ihn als Propagandamittel verzichten wollte – denn er spielte eigentlich schon lange keine Rolle mehr im Konflikt.
Es gab zudem immer wieder Gerüchte, dass er als nierenkranker und dialysepflichtiger Patient sowieso nicht die Verstecke in den Höhlen Tora Boras hatte überleben können.
Aber aus medienwissenschaftlicher Sicht bzw. Sicht der Propagandaforschung stellt sich die Frage andersherum: Warum braucht man Bin Laden ab jetzt nicht mehr? Ab dem 1. Mai 2011 ist er nun endgültig für tot erklärt. Was hat sich seither diskursiv verändert? Von Medienseite sind vermutlich keine weiteren Recherchen zu erwarten.
Auch Strategiepapiere sind kein dominantes Medienthema. Weder das PNAC-Paper des Think Tanks Project of a New American Century noch die Ausführungen des Präsidenten-Beraters Zbigniew Brzeziński zur "Pivot-Area" und der zentralen Rolle, die Afghanistan zukommt, wenn man die Welt als Schachbrett und die eigene Geopolitik als legitim betrachtet.
Die Personalverknüpfung zwischen den strategischen Denkern neuer US-amerikanischer Größe und Weltherrschaft – in persona Dick Cheney, Paul Wolfowitz und Donald Rumsfeld – mag manche dazu verleitet haben, diese Strategen des "War on Terror" als Hintermänner hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 zu vermuten.
Dabei ist – wie immer in der Geschichte – zwischen einem Grund und einem Anlass für Kriegshandlungen zu unterscheiden. 9/11 mag nicht der Grund für den Marsch nach Afghanistan gewesen sein, aber als Anlass konnte man es gut gebrauchen.
Exkurs: 9/11 und 9/09
Das heißt nicht, dass bezüglich 9/11 alles aufgeklärt wäre, welcher Art die Verschwörung zur Durchführung eines solch perfiden Terroraktes genau war. Eine Verschwörung war es, denn es war ja ganz offensichtlich kein Einzeltäter.
Interessant ist in dem Zusammenhang nicht nur, dass man mittels des Labels "Verschwörungstheorie" journalistische Recherchen per se unter Verdacht stellt, sondern auch, dass Medien – die das jahrzehntelang mittrugen – hin und wieder selbst mit der Klärung eines Missing Link in der "offiziellen Darstellung" des Anschlagshergangs aufwarten. So das ZDF in einem Beitrag von 2016 über den Wissenschaftler Frank Greening, der die vielfach gehörten Explosionsgeräusche vor dem Zusammensturz der Türme zu erklären sucht.3
Seine These lautet: Schmelzendes Aluminium explodiert, wenn es mit Wasser in Berührung kommt. Und Wasser stamme aus den Sprenkelanlagen im World Trade Center, das Aluminium aus den Flugzeugen, die in den beiden Türmen verbrannt sind. Soweit, so plausibel – zumindest für mich Laien. Erstaunlich für mich als Medienbeobachterin ist aber, dass das ZDF nach langen Jahren von einer "Erklärungslücke" gesprochen hat, während es – wie die meisten Medien zuvor – jede kritische Nachfrage zu Plausibilitätslücken im bekannten Narrativ sofort als Verschwörungstheorie brandmarkte.
Damit hätte das öffentlich-rechtliche zweite TV-Programm zudem eine weitere Erklärungslücke aufgemacht: den Zusammensturz des dritten Turms WTC 7, in den kein Flugzeug geflogen ist.
An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich davor warnen, sich jetzt zu Fantasien und Theorien hinreißen zu lassen. Die Erklärungslücken sind ja nicht durch Journalisten, die ihren Job machen, zu schließen, sondern von denen, die behaupten, sie wüssten, wie alles war und könnten es lückenlos erklären.
Ein Ereignis vom 9. September 2001 ist mit Blick auf den Krieg in Afghanistan noch wichtig und im Windschatten von 9/11 weitestgehend aus dem Blick geraten. Auch wenn die Rolle Ahmad Shah Massouds idealisiert werden könnte, so scheint mir sein Tod zwei Tage vor den Anschlägen vom 11. September durchaus relevant zu sein.
Wenn ich, wie zuletzt am 1. September 2021 auf Telepolis, die Frage stelle "Wer tötete Ahmad Shah Massoud?", dann heißt das übersetzt: Was wäre mit ihm anders gewesen? Als langjähriger Verbündeter der USA hätte man ihn kaum übergehen können. Hätte es den Krieg so geben können? Wäre Hamid Karsai als afghanischer Präsident vorstellbar gewesen?
Der Journalist und langjährige Al-Jazeera-Korrespondent Aktham Suliman beschreibt sehr lesenswert in seinem Buch "Krieg und Chaos in Nahost – eine arabische Sicht", wie Hamid Karsai sich plötzlich aus dem Nichts via Telefon-Call direkt aus Tora Bora auf der entscheidenden Petersberger Afghanistan-Konferenz ins Gespräch brachte.
Unabhängig von noch ungeklärten Details rund um 9/11 bleibt festzuhalten, dass eine Instrumentalisierung des Schocks und der Angst stattgefunden hat – ein aus der Geschichte bekanntes Phänomen und von Naomi Klein in ihrem Buch Die Schockstrategie beschrieben – und uns die Kriege in Afghanistan und arabischen Ländern, wie den Irak, verkauft hat.