Wie eine Polemik des Tübinger Oberbürgermeisters zu einer Rassismusdebatte ausartet
Das Diversity Management der Deutschen Bahn ist kein Antirassismusprojekt - Ein Kommentar
"Der Shitstorm wird nicht vermeidbar sein", ahnte der gelernte Populist. Gerade deshalb stelle er rhetorisch unter eine Werbung der Deutschen Bahn, auf der Personen zu sehen sind, die nicht so aussehen, wie sich ein Boris Palmer deutsche Staatsbürger vorstellt, die Frage: "Ich finde es nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die "Deutsche Bahn" die Personen auf dieser Eingangsseite ausgewählt hat. Welche Gesellschaft soll das abbilden?"
Die Türkische Gemeinde hat da kurz und bündig eine Antwort: "Unsere Gesellschaft Herr Palmer. Eine plurale und vielfältige Gesellschaft. Eine Gesellschaft die sich gegen Ihre Homogenitätsphantasien wehrt. Eine Gesellschaft die Ihre eindimensionalen Kriterien längt überwunden hat. Willkommen im Jahr 2019!"
Sheriff am Neckar
Mehr hätte man dazu nicht sagen müssen. Man könnte sich höchstens die Frage stellen, ob Palmer in Tübingen nicht mehr genügend unbotmäßige Studenten findet, die er als Sheriff am Neckar gleich höchstpersönlich verwarnen und mit Geldbußen belegen kann, dass er Zeit findet, sich mit dem Diversity Management der Deutschen Bahn anzulegen. Denn genau darum geht es bei der Werbung, gegen die er polemisiert. Man sollte sich den Text zum DB-Diversity Management mit all seinen Worthülsen der neoliberalen Ökonomie mal zu Gemüte führen:
Die Deutsche Bahn - bunt wie unsere Gesellschaft
Auf dem Weg zum Top-Arbeitgeber wollen wir unsere Vielfalt nutzen. Denn ob Jung oder Alt, Mann oder Frau, aus Deutschland oder einem anderen Land - die DB ist genauso bunt wie die Gesellschaft. Allein in Deutschland arbeiten über 200.000 Kolleginnen und Kollegen aus über 100 Nationen. Über 47.600 Frauen sind für die Bahn im Einsatz. Fast 90.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind über 50 Jahre alt, knapp 28.000 unter 30. Deren unterschiedliche Sichtweisen tragen zum unternehmerischen Erfolg der DB bei.
Dementsprechend ist die Wertschätzung und gezielte Förderung der Vielfalt unserer Mitarbeiter ein zentraler Bestandteil unserer Konzernstrategie zu werden. Vor diesem Hintergrund ist auch der DB-Konzern z. B. engagiertes Mitglied der Charta der Vielfalt. Mit der Unterzeichnung der Charta der Vielfalt hat sich die DB dazu verpflichtet, für Chancengleichheit unabhängig von Alter, Geschlecht, Ethnie, physischen und psychischen Fähigkeiten, religiöser und sexueller Orientierung einzutreten.
Eine vielfältige Belegschaft bringt wichtige Potentiale, wie kreative Lösungsansätze, fundierte Entscheidungen und innovative Entwicklungen, mit sich. Diese Vorteile von Vielfalt sind in einer schnelllebigen und globalisierten Welt unverzichtbar. Sie machen die Deutsche Bahn erst wettbewerbsfähig und erfolgreich.
Homepage der Deutschen Bahn
Es geht also nicht um das Abbilden der realen Gesellschaft in Deutschland, wie es sich der Türkische Bund erhofft, sondern um eine Unternehmensstrategie, die das Ziel hat, die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns Deutsche Bahn zu erhöhen.
Rechte und Nationalisten aller Couleur werfen der Deutschen Bahn und anderen Unternehmen vor, sie unterminieren mit der Charta der Vielfalt das deutsche Reinheitsgebot. Nur sollten Linke und Freunde einer emanzipatorischen Gesellschaft jetzt nicht den Fehler machen, das Diversity Management der Deutschen Bahn mit einem Antirassismusprogramm zu verwechseln. Das muss man zumindest denen unterstellen, die Palmer Rassismus vorwerfen, weil er am Diversity Management mäkelt. Es mag sein, dass der Vorwurf berechtigt ist, dass er selber der Bahn antirassistische Motive für die Werbung unterstellt.
Diversity Management nicht mit Antirassismusprogrammen verwechseln
Tatsächlich aber wird auch an der Causa Palmer wieder deutlich, wie schwer es auch Linken fällt, die modernen Unternehmensstrategien zu kritisieren, die mit progressiv klingenden Textbausteinen arbeiten.
Da ist ja die Deutsche Bahn in guter Gesellschaft. So entwerfen Großinvestoren Zukunftsbilder von den Nobelwohnungen, auf denen in der Regel Menschen mit unterschiedlichen Herkünften dargestellt sind, die zum gutverdienenden Mittelstand gehören und für die Armut ein Fremdwort ist. Auch sie werben wie die Deutsche Bahn mit einer Zukunftsversion, in der Hautfarbe und Herkunft nicht mehr die dominante Rolle spielen. So weit so positiv.
Nur darf man auch nicht vergessen, dass der moderne Kapitalismus andere Selektionsmechanismen als Herkunft und Hautfarbe hat. Dazu gehört vor allem das Einkommen bzw. der Verdienst. So sieht man auf den Fotos der Neubauten in Hochglanzbroschüren in der Regel Menschen des gehobenen Mittelstands, aber kaum Menschen mit geringen Einkommen. Die sind in der Welt der Player und Marktbeherrscher sowieso eher Störfaktor. Natürlich finden sich auch in der Werbung der Deutschen Bahn keine Menschen mit geringen Einkommen. Genau hier müsste eine linke Kritik ansetzen, die eben nicht wie die Rechten das Diversity Management kritisiert, weil es angeblich nicht Deutsch genug ist.
"Werbung will Aufmerksamkeit erregen, überraschen, manchmal belustigen, manchmal provozieren, manchmal sogar verstören. Werbung bildet nicht die Realität ab. Wer glaubt, dass sie das täte, muss ein niedliches Bild von den Regeln des Kapitalismus haben", schreibt die Taz-Kommentatorin Bettina Gaus. Damit liefert sie implizit auch eine präzise Kritik am Statement der Türkischen Gemeinde, das als Replik auf Palmer sympathisch, aber doch naiv ist. Was Palmer von rechts kritisiert, ist Strategie eines kapitalistischen Unternehmens. Eine linke Auseinandersetzung damit, die eben nicht einfach diese kapitalistischen Strategien affirmiert, fehlt weitgehend.
Der Publizist Axel Berger machte in einen Artikel in der Tageszeitung Neues Deutschland auf englischsprachige Kritik am Diversity-Konzepten in Bezug auf die Bildungspolitik aufmerksam:
In dem bemerkenswerten Sammelband The State, Business and Education Public: Private Partnerships Revisited haben die Entwicklungswissenschaftlerinnen Gita Steiner-Khamsi und Alexandra Draxler kürzlich Fallstudien zu Bildungsprivatisierung in verschiedensten Ländern veröffentlicht. Vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern greife derzeit die Privatisierung - gefördert vom Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der US-Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, dem britischen Ministerium für Internationale Entwicklung (DFID) und anderen Trägern. Wie in den USA und auch in Europa öffne man "mit Phrasen wie dem Bekenntnis zur Inklusion, der Berücksichtigung von Diversität und der Vielfalt individueller Entwicklungsgänge" einen riesigen Markt dem Profit - und konterkariere das "Recht auf freie und tief greifende Bildung", schreiben die Herausgeberinnen.
Axel Berger
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