Wie erfolgreich ist autokratischer Fußball?
Hinter dem Regenbogen wird man es erleben: Zur Hybrisgefahr gegen Ungarn und zum Zusammenhang von Politik und Fußball
Die Ungarn haben sich, wie ich glaube, als das heldenmütigste Volk der neueren Geschichte gezeigt. Sie haben gekämpft für die Freiheit und für nichts anderes. Die Fackel der Freiheit, die Ungarn angezündet hat, wird niemals wieder erlöschen.
Konrad Adenauer, 1956
Ob die CDU die Veröffentlichung ihres sogenanntes Wahlprogramm wohl absichtlich auf die Zeit während des Fußball-EM-Turniers geschoben hat, damit nicht so auffällt, wie wenig Substanz es hat, wie in sich widersprüchlich es ist und wie sehr die Partei es versucht, es allen irgendwie recht zu machen?
Das vermutete zumindest Markus Lanz am Dienstagabend im Gespräch mit dem saarländischen (CDU-)Ministerpräsident Tobias Hans. Womit er vermutlich nicht sagen wollte, dass das Programm ohne EM-Turnier substantieller ausgefallen wäre.
Eine andere Frage zum Zusammenhang zwischen Politik und Fußball scheint bereits zu 50 Prozent beantwortet: Wie erfolgreich ist autokratischer Fußball? Bislang überhaupt nicht. Sowohl Russland als auch die Türkei, zwei Muster-Fälle demokratisch ummäntelter Autokratien, sind als Tabellenletzte ihrer Gruppen jeweils ausgeschieden. Die vom Populismus mindestens angekränkelten Ukraine und Tschechien sind nur jeweils dritte ihrer Gruppen.
Heute kommt nun die nächste Probe aufs Exempel: die Ungarn, auch so eine lupenreine Demokratie. Dabei muss die deutsche Nationalmannschaft nicht nur den Gegner, sondern auch die Statistik-Historie besiegen. Denn natürlich sind Spanien, Italien, Frankreich und Holland für die deutsche Mannschaft im Prinzip der schwerere Gegner. Aber seit jeher hat sie sich gegen sogenannte Fußballzwerge oder vermeintlich schwache Gegner besonders schwergetan. Vor allem gegen Osteuropäer.
Erinnern wir uns: Bei der WM 1994 erlitt die DFB-Elf ihre entscheidende Niederlage gegen Bulgarien. 1998 war es wieder im Viertelfinale Kroatien. 2000 wurde gegen Rumänien (1:1) nicht gewonnen, 2004 verloren man 1:2 gegen die Tschechische Republik. 2008 verlor man 1:2 gegen Kroatien. Bei der WM 2010 verlor die Löw-Elf ihr einziges Vorrundenspiel 0:1 gegen Serbien. Bei der EM 2016 langte es gegen Polen immerhin für ein 0:0.
Demgegenüber steht in den letzten 25 Jahren ein einziger Turnier-Sieg gegen eine osteuropäische Mannschaft: 2006 wurde Polen mit 1:0 geschlagen; aber auch das war sehr schwer: erst in der 91. Minute (Odonkor, Neuville, man erinnert sich).
Die größte Gefahr für die Deutschen, so viel lässt sich schon vorab sagen, ist es trotzdem, die Ungarn zu unterschätzen. So wie man gerade bei uns auch immer wieder dazu neigt, Putin und Erdogan zu unterschätzen, Polen und Bulgaren. Oder so wie - zugegeben ein schiefer Vergleich - sich die versammelte Generalität der deutschen Wehrmacht 1941 die Rote Armee nicht als ebenbürtigen Gegner vorstellen konnte.
Die in Deutschland verbreitete systematische Unterschätzung Osteuropas auf allen Ebenen könnte sich auch heute Abend wieder als Achillesferse der deutschen Mannschaft erweisen.
Fußball-EM dieses Jahres ist übrigens die EM 2020 - zur Abwechslung erleben wir einmal die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen, nicht umgekehrt.
Auch bei der jetzt aufkommenden Diskussion um regenbogenfarbene Stadionbeleuchtung und ähnliche politische Folklore handelt es sich um Ablenkungskämpfe. Der eigentliche politische Skandal liegt nicht in der Schwulenfeindlichkeit der ungarischen Regierung, sondern woanders: Man hätte die WM niemals an Katar vergeben dürfen. Das ist ein viel größeres Problem als eine Stadionbeleuchtung.
Wer hindert eigentlich Nationaltorhüter Manuel Neuer, heute Abend zum Spielbeginn als Zeichen der Queerness-Verbundenheit niederzuknien? Wer hindert Jogi Löw, sich als Nationaltrainer, der möglicherweise heute sein Ende letztes Länderspiel erlebt, alles erlauben kann, niederzuknien, und sein Sponsorenlogo auf einen Regenbogenpulli zu tackern?
Warten wir es ab.
Auch Sport ist politisch. Doch das breite Eindreschen auf die UEFA, ist billig. "Niemand hindert den so wandelbaren bayerischen Ministerpräsidenten Söder daran, Orban im Regenbogenkostüm zu begrüßen. Niemand hindert die Bundeskanzlerin daran, das Wachbataillon beim nächsten Staatsbesuch kunterbunt antreten zu lassen. Stattdessen muss die UEFA als Sündenbock herhalten, die sich dafür tatsächlich eignet." (FAZ)
Das Beleuchten des Münchner Stadions in Regenbogenfarben aus Protest gegen die Politik des ungarischen Regierungschefs käme einer Belehrung und einem Pranger gleich. Einer Geste, die da sagt: Wir sind die Guten und ihr seid die Bösen.
Tatsächlich aber gibt es die Beleuchtung nur deshalb nicht, weil die Stadt München so dumm war, ihren Antrag als direkten Affront gegen Ungarn und damit gegen die Statuten der UEFA zu formulieren.
Die eigentliche Verteidigung unserer Werte findet ohnehin im Alltag statt.