Wie sich die Wege von Putin und Chodorkowski trennten
Für Wladimir Putin hatte der Erhalt Russlands Priorität. Michail Chodorkowski wollte freies Unternehmertum und eine Parlaments-Republik
Die Karriere von Wladimir Putin und Michail Chodorkowski begann in der Sowjetunion. Der 1963 in einer Chemiker-Familie geborene Michail Chodorkowski ging den Weg seiner Eltern und studierte Chemie. Der elf Jahre ältere Wladimir Putin studierte in St. Petersburg Jura und wurde 1985 als Mitarbeiter des KGB in die DDR entsandt. Putins Schlüsselerlebnis geschah vor der KGB-Zentrale in Dresden.
Am 5. Dezember 1989: Die Sowjetunion war schwach und handlungsunfähig. In Dresden stürmten Demonstranten die Stasi-Bezirkszentrale in der Bautzener Straße. Auch die nicht weit entfernt liegende Villa, in welcher der örtliche KGB residierte, wollten die aufgebrachten Bürger stürmen. Der diensthabende Offizier Putin trat vor das Tor und versuchte, mit den Demonstranten ins Gespräch zu kommen.
Der Sturm blieb aus. In einem Interview erinnert sich Putin an die Situation damals. "Ich ging zu den Leuten und fragte, was sie wollen. Ich sagte ihnen, hier sei eine sowjetische Militär-Organisation". Putin spürte, dass er Unterstützung braucht. "Die Leute waren aggressiv".
Er versuchte, bei der Sowjetarmee Hilfe anzufordern, doch am Telefon wird ihm erklärt, ohne Genehmigung aus Moskau könne man nichts machen und "Moskau schweigt". An diesem Abend habe er das das Gefühl gehabt, dass die Sowjetunion "nicht mehr existiert".
Sein Land sei an einer "Paralyse der Macht" erkrankt, erinnert sich Putin später im Interview1.
Chodorkowski wird Unternehmer und gründet eine Bank
In dem Jahr, wo Putin in Dresden vor den Demonstranten steht und keine Unterstützung aus Moskau spürt, gründet Chodorkowski die "Wirtschaftliche Innovations Bank des wissenschaftlich-technischen Fortschritts". Die Bank wurde ein Jahr später in Menatep umbenannt. Das Geld für das Finanz-Institut hatte Chodorkowski mit einer 1987 gegründeten Kooperative verdient. Die mit Ex-Kommilitonen gegründete Kooperative handelte mit Computern, Jeans und Cognac.
Die Gründung von Kooperativen war durch die Reformpolitik von Michail Gorbatschow möglich geworden. Die Kooperative von Chodorkowski verdiente gut, weil sie Lücken in der Staatswirtschaft nutzte und durch gute Beziehungen in den Staatsapparat an Aufträge kam.
Putin wählt nach dem Ende seiner Dienstzeit in Dresden den Staatsdienst. Er wird Mitarbeiter des Bürgermeisters von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak, einem Reformer, und ist von nun an zuständig für Auslandsbeziehungen.
Für die einfachen Russen werden die kommenden Jahre zum Alptraum. Unter Ministerpräsident Jegor Gajdar werden die festgesetzten Preise liberalisiert. Fabriken machen reihenweise dich, weil die Kooperation der russischen Betriebe mit den Betrieben in den nun unabhängigen Nachbarstaaten nicht mehr funktioniert.
Da dem Staat das Geld ausgeht, werden 1994 auf Auktionen große staatliche Rohstoff-Unternehmen verkauft. Gut ausgebildete junge Leute mit Komsomol-Vergangenheit und Eltern in einflussreichen Positionen kaufen die Unternehmen auf. Michail Chodorkowski kauft den Öl-Konzern Yukos.
Die Auktionen liefen juristisch nicht immer einwandfrei. Für den Kapitalismus, der sich Anfang der 1990er Jahre urwüchsig entwickelte, waren die sowjetischen Gesetze nicht brauchbar. Bei der Aufteilung staatlichen Eigentums waren oft Gewalt, Erpressung und Betrug im Spiel.
Doch der damalige für die Privatisierung zuständige Vize-Ministerpräsident Anatoli Tschubais, meinte später in einem Spiegel-Interview, das Wichtigste für den Aufbau einer neuen Gesellschaft sei in dieser turbulenten Zeit immerhin geleistet worden: die Schaffung von Privateigentum.
Krisen-Jahr 1998: Putin wird Geheimindest-Chef, Chodorkowski modernisiert Yukos
Während die neuen privaten Unternehmen entstanden, verschärfte sich der Kampf in der russischen Elite um Interessenssphären. Dieser Kampf wurde auch mit Hilfe der Fernsehkanäle ORT und NTW geführt, welche in der Hand der Oligarchen Boris Beresowski und Wladimir Gussinski waren. Der Kampf der Oligarchen untereinander und eine Finanzkrise im August 1998 brachten Russland dann an den Rand des Kollapses. Der Rubel verlor 60 Prozent seines Wertes.
Die Führung des Staates handelte unentschlossen. Dreimal wechselte im Jahr 1998 der Ministerpräsident. Der russische Staat war schwach wie nie. In Tschetschenien hatten Separatisten die Macht übernommen. Die russischen Truppen waren 1996, nach einem verlorenen Krieg, aus der Kaukasusrepublik komplett abgezogen.
Im diesem schicksalhaften Krisenjahr 1998 übernahm Wladimir Putin die Leitung des russischen Inlandgeheimdienstes FSB. Auch für Michail Chodorkowski war das Krisen-Jahr 1998 eine Lehre. Er versuchte, bei westlichen Investoren gegenüber Russland verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und modernisierte Yukos mit Hilfe westlicher Beratungsunternehmen wie Arthur D. Little und McKinsey. Yukos wuchs und gehörte bald zu den zehn größten Unternehmen Russlands. Chodorkowski wurde einer der reichsten Russen.
Auch Wladimir Putin, der 1999 Ministerpräsident und 2000 Präsident wurde, wollte Russland für ausländische Investitionen attraktiv machen. Seine Priorität war aber, den Zerfall staatlicher Strukturen zu stoppen und das geschwächte Russland wieder zu einem starken Staat zu machen.
Chodorkowski, der sich durch den Aufschwung seines Öl-Unternehmens gestärkt fühlte, hatte andere Vorstellungen von Russlands Zukunft. Er gründete eine Bildungs-Stiftung und begann vor den Duma-Wahlen 2003 Oppositionsparteien zu finanzieren. Der Öl-Magnat entwickelte Pläne, Russland in eine Parlaments-Republik umzuformen.
Chodorkowski wurde immer mehr zum Gegenspieler von Putin, der nach seinem Machtantritt 2000 begann, Kreml-kritische Medien zu schließen. Der Kreml-kritische Fernseh-Kanal NTW wurde 2001 von Gasprom übernommen. Die Eigner der Fernsehkanäle ORT und NTW, Boris Beresowski und Wladimir Gussinksy, gegen die Ermittlungen in Finanzangelegenheiten liefen, verließen Russland.
Schlagabtausch zwischen Putin und Chodorkowski im Kreml
Zum ersten direkten offenen Schlagabtausch zwischen Putin und Chodorkowski vor laufenden Fernsehkameras kam es im Februar 2003 bei einem Treffen des russischen Unternehmerverbandes mit dem Präsidenten im Kreml. Auf diesem Treffen kritisierte der Yukos-Chef einen angeblichen Korruptionsfall bei der Privatisierung eines Öl-Unternehmens, in den auch hohe Beamte verwickelt waren.
Über das selbstbewusste und fordernde Auftreten von Chodorkowski reagierte Putin verärgert und fragte, ob Chodorkowski denn selbst seine Steuern bezahlt habe. Putin sah es vermutlich auch als Angriff auf seine Strategie der Stärkung Russlands, dass der Yukos-Chef - ohne Absprache mit dem Kreml - mit den US-Öl-Unternehmen Chevron Texaco und Exxon Mobile über den Verkauf von Yukos-Anteilen verhandelte.
Im Herbst 2003 war Putins Geduld mit dem Yukos-Chef, der inzwischen mit 15 Milliarden Dollar reichster Mann Russlands geworden war, am Ende. Am 25. Oktober 2003 stürmte eine Polizei-Spezialeinheit ein Flugzeug auf dem Flughafen von Nowosibirsk, in dem Chodorkowski saß. Der reichste Mann Russland, der es gewagt hatte, politisch gegen Putins Pläne Front zu machen, wurde verhaftet, seitdem saß er in Gefängnissen und Arbeitslagern.
Der Öl-Magnat wird wegen Steuerhinterziehung und angeblichem Diebstahl von Öl zu 14 Jahren Haft verurteilt. Andere Groß-Unternehmer, welche in den 1990er Jahren ebenfalls auf unklarem Wege zu Reichtum gekommen waren, blieben unbehelligt. Sie hatten sich Putin nicht entgegengestellt und sich von der Politik ferngehalten.
Wladimir Putin hatte gegen seinen bekanntesten Kritiker immer ein scharfes Wort geführt. Auf einer seiner Jahrespressekonferenzen hatte Putin den ehemaligen Yukos-Chef in einer emotionalen Rede sogar beschuldigt, er sei in einen Mord verwickelt. Doch am vergangenen Donnerstag, als der Kreml-Chef nach dem Ende der Pressekonferenz fast beiläufig die bevorstehende Begnadigung seines Kritikers ankündigte, klangen die Worte von Putin erstaunlich korrekt.
Chodorkowski habe eine "kranke Mutter" und habe "eine ernste Zeit" im Gefängnis verbracht, ließ Putin die erstaunten Journalisten wissen. Es war offensichtlich, dass Putin den Konflikt mit Chodorkowski beenden wollte. Als ewiger Häftling belastete der Ex-Yukos-Chef das Image Russlands. Als freier Mann war er Putin schon lange nicht mehr gefährlich.
"Die Zeit von Chodorkowski ist abgelaufen"
Der Moskauer Politologen Sergej Michejew vom Zentrum für politische Konjunktur glaubt nicht, dass der aus dem Arbeitslager Entlassene jetzt in Russland politisch aktiv wird. "Mir scheint, in diesem Fall gibt es eine stillschweigende Vereinbarung zwischen ihm und Putin, dass er in nächster Zeit nicht in die Politik geht", sagte der Politologe gegenüber Moskowski Komsomolez. Selbst wenn Chodorkowski in die Politik gehe, sei er für Putin "nicht gefährlich".
Auch Aleksej Malaschenko, Experte beim Moskauer Carnegie-Zentrum, meint in seinem Blog , die Freilassung zeige, dass Putin den ehemaligen Yukos-Chef "wirklich nicht mehr fürchtet, dass die Zeit von Chodorkowski abgelaufen ist". Mit der Freilassung nehme Putin dem ehemaligen Öl-Magnaten auch seine "politische Heiligkeit".
Für viele - auch für Gegner des ehemaligen Öl-Magnaten - war Chodorkowski ein Märtyrer, weil der ehemalige Yukos-Chef immer wieder erklärte, er werde sich nicht begnadigen lassen. Denn eine Begnadigung werde vom Kreml in jedem Fall als Schuldeingeständnis ausgelegt. Doch für seine Idee, ein westlich orientiertes Russland, wird der ehemalige Öl-Unternehmer vermutlich weiter streiten. Die Massen werden ihm jedoch nicht folgen. Die Strapazen der wilden Privatisierung in den 1990er Jahren - als monatelang keine Löhne und Renten gezahlt wurden und sich viele Russen nur mit Hilfe ihrer Datschengärten ernährten - sind noch nicht vergessen.
Der Schriftsteller Boris Akunin sieht in der Freilassung von Chodorkowski und den Frauen von Pussy Riot eine positive Entwicklung. "Ja, das Regime bleibt autoritär, nichtdemokratisch und korrumpiert. Aber Russland hört auf, ein Polizeistaat zu sein", schreibt der Schriftsteller in seinem Blog. Immerhin streite der Kreml jetzt mit den Opponenten und "spricht mit ihnen", was insgesamt schon ein Fortschritt sei.
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